Dan Schreiber: Waschbären, die im Dunkeln leuchten

Dan Schreiber: Waschbären, die im Dunkeln leuchten und andere absurde Theorien, seltsame Ideen und skurrile Experimente, OT: The Theory of Everything Else. A Voyage into the World of the Weird, aus dem Englischen von Dejla Jassim, Daniel Müller und Karolin Viseneber, München 2024, Wilhelm Heyne Verlag, ISBN 978-3-453-60685-2, Klappenbroschur, 223 Seiten mit zahlreichen s/w-Abbildungen, Format: 13,7 x 1,8 x 20,7 cm, Buch: EUR 16,00, Kindle: EUR 10,99.

Abb.: (c) Heyne

Mein Fehler: Ich kannte den Autor nicht und hatte ein Buch über Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen erwartet, deren absurd anmutende Theorien zunächst verkannt und verlacht worden sind. Es geht aber eher in die Richtung „seltsame Leute glauben seltsame Dinge, vor allem unter dem Einfluss gewisser Substanzen“ und „selbst brillante Forscher:innen können neben der Spur sein“. Das ist über weite Strecken höchst amüsant, hat aber nicht den Informationswert, den ich mir von dem Werk versprochen hatte. Hier geht’s um Menschen, die abgefahrenes Zeug glauben wie das hier:

„Der Geschichte nach wurde Jesus bei der Kreuzigung durch seinen Bruder ersetzt, was Jesus das Leben rettete. Daraufhin floh er in Richtung Japan, an einen Ort, den er gut kannte, da er in seinen jungen Jahren dort studiert hatte. […] Um sich in Shingo zu integrieren, nahm er [einen japanischen Namen] an und baute Knoblauch an. Schließlich heiratete er eine Frau namens Miyuko und bekam drei Töchter mit ihr.“ 

(Seite 153)

Manch eine:r wird jetzt sagen, absurder als die Sache mit der Auferstehung sei das auch nicht. Doch wer, bitte, denkt sich sowas aus? Und wozu? Es gibt sogar eine Jesus-Grabstelle in Shingo. Aber gut, das ist zwar skurril, jedoch nicht weiter problematisch. 

Beunruhigend fand ich dagegen die Stories über Wissenschaftler, die einerseits bahnbrechende Entdeckungen und Erfindungen machen und andererseits völlig abseitige Dinge für möglich halten. Wie zum Beispiel der Nobelpreisträger, dem wir unter anderem den PCR-Test verdanken. Er glaubt an Geister, Astrologie und eine Art von Telekinese, und er erzählt überall herum, dass er sich auf dem Weg zum Klo mit einem leuchtenden Waschbären unterhalten hat. Und das ist erst der Anfang! Es wird noch wilder. Entschuldigung, aber was hat der gute Mann denn eingeworfen? Hat das bleibende Schäden hinterlassen? Wenn das alles so ist, wie der Autor es hier schildert, ist das Klischee vom „verrückten Professor“ gar nicht so abwegig.

Manch ein hochdekorierter Wissenschaftler scheint den Höhenflug gekriegt und sich jenseits seines Fachgebiets in absurde Theorien verrannt zu haben. Das ist nicht ungefährlich, weil viele Leute geneigt sein dürften, einem prominenten Naturwissenschaftler zu glauben, auch wenn er von dem, was er da gerade erzählt, null Ahnung hat. Nur weil einer einen (Nobel-)Preis erhalten hat, ist er ja nicht automatisch allwissend. Er ist ein herausragender Experte auf seinem Gebiet, mehr aber nicht.

Verständnis hatte ich für den Physiker Wolfgang Pauli. An seiner Stelle wäre ich auch geneigt gewesen, an unheimliche Mächte zu glauben:

„Wann immer er sich elektrischen Apparaturen näherte, gaben sie den Geist auf. Allein seine Präsenz im Raum schien auszureichen, um die Geräte kaputt zu machen.“ 

(Seite 49)

Diesbezüglich scheint er überdurchschnittlich viel Pech gehabt zu haben, und die Anekdoten rund um diesen „Pauli-Effekt“ sind recht putzig. –  Erstaunlich viele Zufälle prägen auch das Leben und die Arbeit der chinesischen Pharmakologin und Nobelpreisträgerin Youyou Tu. Wenn einem ein Autor mit so einem Plot käme, würde man sagen: „Jetzt hör aber auf!“

Herzlich gelacht habe ich über die Geschichte vom „weichen Stein“. Manchmal ist das vermeintlich Übersinnliche einfach nur … Bullsh*t! 😀 – Und die Frage, warum sich niemand darüber aufregt, dass die Filzläuse aussterben, mutmaßlich wegen des Waxings, ist irgendwie berechtigt, wenn sich der Beitrag auch wie pure Comedy liest.

„Warum gibt es keine Naturschutzorganisationen, die sich für den Erhalt dieser nachweislich gefährdeten Spezies einsetzt?“ 

(Seite 108) 
Abb.: © Heyne, Foto: E. Nebel

Grenzwertig sind dagegen die hier geschilderten Forschungen an Meeressäugern, um nicht zu sagen: ziemlich abartig. – Und die Vorstellung, Topfpflanzen als Tatzeugen, verdeckte Ermittler oder Astronauten einzusetzen, schießt zwar heftig über das Ziel hinaus, aber dass Pflanzen eine Reaktion auf Gefahr und Bedrohung zeigen, scheint man tatsächlich mittels eines Lügendetektors nachweisen zu können.

Faszinierend fand ich die Beiträge über Scharlatane und deren Entlarvung. Das hat Krimi-Elemente! Über dieses Thema könnte ich ohne weiteres ein ganzes Buch lesen. Auch wenn die Hochstapler aus Geldgier oder Geltungssucht ihren Mitmenschen etwas vorgemacht haben, haben manche aus Versehen Positives bewirkt: Durch ihr Tun haben sie die Aufmerksamkeit auf ein Thema (z.B. Naturschutz) gelenkt und Menschen inspiriert, die sich dann ernsthaft und ehrlich dafür engagiert haben.

Von furzfreien Bohnen über Telepathie-Tests im All bis zu Nahtoderfahrungen, von Bigfoot über begnadete Schwindler bis zu durchgeknallten Forschern erstreckt sich die Sammlung in diesem Kuriositätenkabinett. Die Beiträge sind staunenswert, witzig und auch mal verstörend. 

Das Buch ist kurzweilig und unterhaltsam keine Frage! Ein nennenswerter Wissenszuwachs ist mit der Lektüre aber nicht verbunden. Man könnte jedoch zu dem Schluss kommen, dass sogar aus bescheuerten Ideen manchmal etwas Sinnvolles entstehen kann. Und dann hätte die ganze Spinnerei auch ihr Gutes.

Dan Schreiber ist Autor, Podcaster und Moderator und hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Präsentieren faszinierender Fakten mit Comedy zu kombinieren. Er ist der Produzent und Co-Moderator des meistgestreamten Podcasts Großbritanniens, »No Such Thing As A Fish«, der über 400 Millionen Mal heruntergeladen wurde. Außerdem ist er Co-Moderator des Podcasts »The Cryptid Factor« und Mitgestalter der mit der Rose d’Or ausgezeichneten BBC-Radio 4-Panelshow »The Museum Of Curiosity«. Er lebt in London und hat inzwischen selbst keine Ahnung mehr, woran er glauben soll.

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Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com 
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