Nora Kain: Frevel. Historischer Thriller, München 2024, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3-423-26399-3, Klappenbroschur, Format: 13,6 x 3,15 x 21 cm, Buch: EUR 17,00 (D), EUR 17,50 (A), Kindle: EUR 14,99, auch als Hörbuch lieferbar.
Einen „Thriller über die blutigen Anfänge der Rechtsmedizin“ verheißt der Klappentext. Man kann also davon ausgehen, dass es hier zu unappetitlichen Szenen kommt. Aber mir war’s dann doch zu viel „Schlachtplatte“ – und ich konnte die Heldin nicht leiden. Als historischer Roman wiederum ist die Geschichte ausgesprochen interessant. Ich fürchte jedoch, dass das wieder eine der Reihen ist, die ich nicht weiterverfolgen werde. Doch von vorn:
Grausiger Mord an einem Ratsherrn
Frankfurt, 1800: Melchior Gründeroth, Spross einer namhaften Frankfurter Patrizierfamilie und Mitglied des Frankfurter Rats, wird ermordet in seinem Haus aufgefunden, erstochen mit einem spitzen Gegenstand, auf den sich Kriminalrat Pfeiffer und Dr. Theophil Pontus keinen Reim machen können. Was ist das?
Journalist Johann, der sich zum Tatort vorgewieselt hat, weiß sehr wohl, worum es sich bei der Mordwaffe handelt (ich auch!). Er behält es aber für sich, um unangenehmen Fragen aus dem Weg zu gehen. Klarer Fall: Der junge Mann hat was zu verbergen! Dass hier eine Hauptfigur ohne einen Nachnamen durch die Geschichte läuft, ist auch ein bisschen ungewöhnlich. Den Mann sollten wir im Auge behalten!
Johann ist jung und fühlt sich bei seiner Arbeit der Wahrheit verpflichtet. Anders als sein desillusionierter Chef, der gern auch mal mit übertriebenen und erfundenen Geschichten sowie plumpem Antisemitismus die Auflage seiner Zeitung steigert.
Journalist Johann sucht den wahren Mörder
Mit der Erklärung, ein geistig beeinträchtigter Bettler habe den Ratsherrn ermordet, gibt sich der ehrgeizige Journalist nicht zufrieden. Dass der Bettler das getan hat, ist völlig unmöglich! Melchior Gründeroth hatte eine Menge Feinde. Vielleicht war’s einer von denen? In einem unbeobachteten Moment lässt Johann einen auf Hebräisch verfassten Brief vom Tatort mitgehen. Nicht, dass er ihn lesen könnte, aber er hat Kontakte. Und er ist wild entschlossen, herauszufinden, wer tatsächlich den Tod des Ratsherrn zu verantworten hat.
Arzttochter Manon ermittelt ebenfalls
Bei seinen Ermittlungen läuft Johann immer wieder Manon Pontus über den Weg, Dr. Theophil Pontus‘ ebenso neugieriger wie unkonventioneller (Teenager? -)Tochter. Diese erfährt durch ihren Vater von der Ermordung des Ratsherrn und eilt schnurstracks auf den Markt, um sich dort nach den neuesten Gerüchten umzuhören. Über Gründeroth wissen die Marktfrauen nichts, dafür aber einiges über eine verschwundene Hebamme und eine Reihe grausiger Frauenmorde in der Judengasse.
Manon ist fasziniert. Die Judengasse ist für sie eine völlig fremde Welt, zu der sie sich Zugang verschafft, indem sie der jüdischen Kleiderhändlerin Esther folgt. Der passt das zwar nicht, aber die dickfellige Manon lässt sich einfach nicht abschütteln und steckt überall ihre neugierige Nase rein.
Keine Frage: Die Arzttochter ist anders als die anderen Frauen in ihrem Umfeld. Sie assistiert ihrem Vater bei seinen Obduktionen und redet vor allen Leuten ungeniert über körperliche Vorgänge und medizinische Details. Ihre ältere Schwester Jeannette, verheiratet und deutlich angepasster als Manon, ist entsetzt über ihr Verhalten, kann aber nicht viel dagegen tun.
Naseweise Göre
Ein wenig erinnert mich Manon an Sidonie Gabrielle Colettes Romanheldin „Claudine“. Das war auch so eine intelligente, verwilderte Tochter eines weltfremden verwitweten Wissenschaftlers, der keine Ahnung davon hatte, dass man ein Mädchen wenigstens ein bisschen gesellschaftskompatibel erziehen sollte.
Ich habe volles Verständnis für Manons Wissbegier, ihren Eifer und ihr Streben nach Unabhängigkeit, aber ihre rücksichtslos-trampelige Direktheit, ihre Selbstüberschätzung und ihre Besserwisserei machen sie mir nicht sympathisch. Sie mag als moderne, emanzipierte junge Frau gemeint sein, doch für mich ist sie eine taktlose, ungezogene Göre.
Der Verdächtige ist seit Jahren tot
Wie gesagt: Irgendwann läuft Manon bei ihren Nachforschungen dem Journalisten Johann über den Weg und fortan schnüffeln sie gemeinsam herum. Eine Spur führt sie zu dem Serienmörder Adam Rau, genannt der „Aal“. Der Modus Operandi bei den aktuellen Frauenmorden stimmt exakt mit seinem früheren Vorgehen überein: Die Frauen wurden regelrecht ausgeweidet. Das Problem ist nur: Der „Aal“ ist vor drei Jahren für seine Taten hingerichtet worden. Johann selbst war bei der Hinrichtung vor Ort. Notgedrungen … sein Chef hatte ihn mitgeschleift. Er selbst kann so einem blutigen Spektakel nichts abgewinnen. Ihm graust, und deshalb hat er damals nicht so genau hingesehen.
Kann es sein, dass ein anderer Mann an Adam Raus Stelle hingerichtet wurde und er selbst weiter mordet? Es sieht ganz danach aus. Doch warum hätte jemand so ein Komplott einfädeln sollen? Wer hätte ein Interesse daran und den nötigen Einfluss? Wieso hat man nie zuvor was von den Morden im Judenviertel gehört? Was verschweigt Esthers Bruder, der Arzt Dr. Hertzel Spira? Warum und wohin ist Rabbi Schmuel verschwunden? Und wie hängt das alles mit dem Mord an dem Ratsherrn zusammen? Oder tut es das gar nicht?
Wer ist die geheimnisvolle Frau?
Leserinnen und Leser fragen sich zudem, wer die Ich-Erzählerin ist, deren schreckliche Erlebnisse in kursiver Schrift zwischen Johanns und Manons Privatermittlungen eingestreut sind. Spricht hier die verschwundene Hebamme Sibylle? Man weiß es nicht, und diese Texte sind, im Gegensatz zu den anderen Kapiteln, auch nicht datiert.
Im Laufe der Ermittlungen freunden sich Johann und Manon an, lernen voneinander und bringen sich durch ihre Neugier mehr als einmal in Lebensgefahr …
Als historischen Roman fand ich die Geschichte hochinteressant. Zwar muss mir niemand das Judentum erklären, aber wie die Koexistenz damals funktioniert hat – oder eben nicht funktioniert hat — war sehr aufschlussreich. Und wie die Rolle der Frau aussah, sieht man sehr schön an all den Anforderungen, die Manon Pontus nicht erfüllt. Sie ist ja nicht einmal von Johanns Geheimnis schockiert!
Interessante Fakten, nervige Heldin
Ich fand die Handlung recht komplex und bin nicht sicher, ob ich in vollem Umfang verstanden habe, wer hier was aus welchem Grund getan hat. Ich war etwas überfordert. Ob die Geschichte wirklich ein bisschen überfrachtet ist oder ob ich nur nicht engagiert genug gelesen habe, weil ich die Heldin nicht mochte, kann ich nicht einmal sagen. Wenn mich eine Romanfigur nervt und es mir egal ist, was aus ihr wird, kann ich nicht mit ihr mitfiebern.
Johann, dessen Familiennamen wir aus gutem Grund erst recht spät erfahren, hat zwar eine faszinierende Vorgeschichte, bleibt aber als Person ein wenig blass.
Also: Es tut mir leid, das war trotz erhellender historischer Informationen nicht mein Fall. Und bei Fortsetzungen werde ich passen.
Die Autorin
Nora Kain ist das Pseudonym einer deutschen Bestsellerautorin. Sie lebt in Frankfurt und ist als studierte Historikerin seit langem davon gefesselt, welche blutgetränkten Geheimnisse die Geschichte ihrer Heimatstadt bereithält, wenn man nur weiß, wo man zu suchen hat. ›Frevel‹ ist ihr erster historischer Thriller. Wenn sie nicht am Schreibtisch sitzt, gibt sie ihr Wissen im Historischen Museum Frankfurt als Tourguide an die Besucher*innen weiter. (Ich habe ja den Verdacht, dass hinter Nora Kain die Autorin Julia Kröhn steckt. Aber das ist nur eine Vermutung: https://juliakroehn.at)
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Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
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