Saskia Fröhlich: Introvertiert, na und? – Lieber nur dabei statt mittendrin, Frankfurt 2024, S. Fischer Verlag GmbH, ISBN 978-3-596-71122-2, Klappenbroschur, 272 Seiten, unter Mitwirkung von Maximilian Winkel, Format: 13,4 x 1,92 x 21,3 cm, Buch: EUR 18,00, Kindle: EUR 14,99, auch als Hörbuch lieferbar.

Von Saskia Fröhlich und ihren Aktivitäten als Comedienne und Content Creatorin hatte ich noch nie gehört. Eine Freundin hat mir von diesem Buch erzählt, und weil auch ich zur Gruppe der Introvertierten gehöre, dachte ich, das muss ich lesen.
Lieber Ruhe als Remmidemmi
INTROVERTIERT, NA UND? Ist humorvoll-anekdotisch geschrieben und eindeutig für eine Zielgruppe gedacht, die ungefähr halb so alt ist wie ich (64). Von meiner Introversion weiß ich schon lange: Ich hatte Psychologie als Schulfach, was ich heute noch für eine verflixt gute Idee halte. Die Autorin dagegen hat sich bis ins junge Erwachsenenalter hinein fragen müssen, „was mit ihr nicht stimmt“: In einer Welt, in der es normal zu sein scheint, wild auf Partys, viele Menschen und neue soziale Kontakte zu sein, will sie nur ihre Ruhe haben. Die Interaktion mit Menschen empfindet sie als anstrengend. Smalltalk machen zu müssen, unversehens im Mittelpunkt zu stehen oder gar an Partyspielen teilnehmen zu sollen, ist ihr ein Graus. Ruckzuck ist da ihr „sozialer Akku“ leer, sie fühlt sich gestresst und überfordert.
Sehr eindrucksvoll schildert sie eine Party, die für sie völlig aus dem Ruder läuft und die sie schließlich unter Tränen fluchtartig verlässt. Die Reaktion ihres extrovertierten Partners: „Was ziehst du denn wieder für eine Fresse?“ (Den Kerl hätte ich auch verlassen!). Er ist sauer und verlangt, dass Saskia sich ändert. Das würde sie ja gerne tun, um sich weiteren Ärger zu ersparen, aber sie weiß nicht, wie.
Sozialkontakte: anregend oder erschöpfend?
Erst viel später wird ihr klar, dass eine solche Persönlichkeitsveränderung nicht erstrebenswert und auch nicht machbar ist. Saskia ist weder „seltsam“ noch „gestört“, sie ist schlichtweg introvertiert. Das ist eine angeborene Eigenschaft und ebenso wenig dauerhaft veränderbar wie die Augenfarbe.
Kurz und knapp: Extrovertierte beziehen Energie aus dem Kontakt mit ihren Mitmenschen, Introvertierte kostet soziale Interaktion Energie, und sie müssen sich davon in einer reizarmen Umgebung erholen, um ihre „Akkus“ wieder aufzuladen. Sie können sich das nicht abtrainieren, sie sind eben so gestrickt. Sie können aber lernen, ihre Bedürfnisse zu erkennen, sie im Bedarfsfall zu kommunizieren und mit ihren Kräften hauszuhalten.
Die Autorin schreibt hier für „Intros“ und für „Extros“ und wirbt für gegenseitiges Verständnis. Sie erklärt den Unterschied zwischen Introversion, Schüchternheit und mangelndem Selbstbewusstsein. Introvertierte Menschen sind nicht automatisch einsam, menschenfeindlich, depressiv oder haben eine soziale Phobie. Es kann Überschneidungen geben, muss aber nicht.
Introvertiert! Kann man das ändern?
Wie gesagt: Man entscheidet sich nicht dafür, introvertiert zu sein, um sich interessant zu machen, wie manche vielleicht denken. Man ist „intro“ oder man ist es eben nicht. Zwar kann man situationsbedingt, z.B. für ein Vorstellungsgespräch, das Verhalten einer extrovertierten Person imitieren, aber man kann nicht dauerhaft zu einer werden.
Was es für ein Kind bedeutet, in einer extrovertiert gepolten Welt ein „Intro“ zu sein, beschreibt die Autorin unter anderem anhand ihrer eigenen Erfahrungen. Ihre Mutter muss damals einiges richtig gemacht und nie versucht haben, ihre Tochter umzuerziehen.
„Eltern sollten darauf achten, Extroversion nicht als das gesellschaftlich bevorzugte Verhalten bei ihren introvertierten Kindern als Maßstab zu setzen. […] Es ist wichtig, dass Eltern die individuellen Bedürfnisse und Vorlieben ihrer Kinder akzeptieren und fördern, auch unabhängig davon, ob der Nachwuchs introvertiert oder extrovertiert ist.“
(Seite 132/133)
Beispiele dafür gibt’s im Buch.
Tipps, aber keine Patentrezepte
Patentrezepte für den Umgang mit Smalltalk, mit unvermeidlichen Kontakten oder gar fürs Dating hat die Autorin nicht. Sie beschreibt amüsant und anschaulich die Schwierigkeiten, die „Intros“ damit haben und gibt den ein oder anderen Tipp. Da kann man sich gegebenenfalls was abgucken.
„Introvertiert“ und „extrovertiert“ darf man sich nicht wie „0 oder 1“ vorstellen. Es gibt fließende Übergänge. Egal wie stark man betroffen ist, man nimmt hier doch einiges an Informationen und Bewältigungsstrategien mit. Ich denke schon, dass man sich ein paar Fertigkeiten draufschaffen kann. Mit Fremden zu sprechen oder gar telefonieren zu müssen, war für mich in jungen Jahren ein deutlich größeres Problem als heute. Also muss ich dazugelernt haben.
Ein scheinbarer Widerspruch
Saskia Fröhlich spricht auch den scheinbaren Widerspruch zwischen ihrer Introversion und ihren öffentlichen Auftritten an. Ich sehe da gar keinen Gegensatz. Wenn sie auf der Bühne steht, präsentiert sie ihr eigenes, gut vorbereitetes Programm und hat jederzeit die volle Kontrolle. Es kann – abgesehen vielleicht von gelegentlichen Zwischenrufen – nicht zu einer unvorhersehbaren Interaktion mit fremden Menschen kommen. Also alles im grünen Bereich, selbst für einen Intro.
Wohldosierte Kontakte
Es war schön, sich in einem Buch mal so richtig repräsentiert und von einer Autorin verstanden zu fühlen. Wir Intros sind nun mal, wie wir sind, und das ist in Ordnung so. Ich zitiere ja immer gern die Aussage einer Diskussionsteilnehmerin in einem US-amerikanischen Internetforum: „Peopling is exhausting“. Soziale Kontakte bedeuten für uns eine gewisse Anstrengung. Und es ist okay, wenn wir diese, wie die Autorin empfiehlt, deshalb wohl dosieren.
Die Autorin
Saskia Fröhlich, geboren 1996, ist Stand-up-Comedienne und Content Creatorin. Das Markenzeichen der gebürtigen Ruhrpottlerin ist ihr Schlechte-Laune-Humor – sarkastisch, ehrlich und ohne Hemmungen. Bevor sie sich für die Comedy-Karriere entschied, studierte sie BWL und arbeitete bei einem überregional aktiven Escape-Game-Betrieb – zusammen mit ihrem Co-Autor.
Der Co-Autor
Maximilian Winkel, geboren 1993, ist studierter Germanist und Historiker und lebt ihm Ruhrgebiet. Er arbeitet (weiterhin) für besagtes Escape-Game-Unternehmen und konzipiert Rätsel und Storylines für Online-Escape-Spiele, Outdoor-Abenteuer und klassische Live-Escape-Rooms.
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Rezensentin: Edith Nebel
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