Maximilian Doeckel, Jonathan Focke: «Aber meiner Tante hat’s geholfen». Wie wir Scheinargumente, unwissenschaftlichen Unsinn und Pseudoexperten entlarven, Hamburg 2025, Rowohlt Verlag, ISBN 978-3-49-901538-0, Klappenbroschur, 285 Seiten mit diversen s/w-Grafiken, Format: 13,3 x 2,19 x 21 cm, Buch: EUR 18,00, Kindle: EUR 14,99, auch als Hörbuch lieferbar.

„Populismus und Wissenschaftsleugnung werden wohl nie ganz verschwinden. Umso wichtiger ist es, dass es Menschen gibt, die die Tricks der Scharlatane kennen und unwissenschaftlichem Unfug entschieden entgegentreten.“
(Seite 258)
Mumpitz? Nein, danke!
Es ist eines meiner Lieblingsthemen: Wie Leute versuchen, uns in ihrem Interesse ein X für ein U vorzumachen und wie wir sie dabei ertappen können. Die „Quarks Science Cops“ – wieder zwei Podcaster, die ich nicht kannte – helfen uns da kompetent und unterhaltsam auf die Sprünge. Und das ist gut so, denn je mehr Leserinnen und Leser wissen, wie unseriöse Zeitgenossen vorgehen, um uns ihre Bullsh*t-Produkte oder -Ideen zu verkaufen, desto geringer ist die Gefahr, dass die damit durchkommen.
Kapitel 1: Die Fehler der menschlichen Wahrnehmung
Wir sollten nicht alles glauben, was wir denken! Wir haben ein schnell funktionierendes, intuitives Denksystem („Gefahr! Weg hier!“) und ein willentliches System fürs bewusste Nachdenken über komplexe Sachverhalte. Das ist etwas langsamer und anstrengender. Beide Systeme haben ihre Berechtigung. Nur: Das intuitive Denken sucht überall Muster, auch da, wo gar keine sind. Und es verwechselt manchmal Kausalität mit Korrelation: Wurde die Erkältung jetzt besser, weil wir Selleriesaft getrunken haben (Kausalität), oder wäre die Krankheit sowieso innerhalb einer Woche besser geworden (Korrelation)?
Wir erfahren, wie der Placebo-Effekt wirkt, was ein Bestätigungsfehler ist und wir lernen, was es mit der anekdotischen Evidenz auf sich hat: Unser Gehirn liebt Geschichten. Die sind leichter zu erfassen als Zahlen und Fakten. Kommt also eine Story gefällig und halbwegs plausibel daher und passt sie in unser Weltbild, neigen wir dazu, sie zu glauben. Und das kann uns in die Irre führen!
Kapitel 2: Warum Wissenschaft so wichtig ist und wie sie funktioniert
Zugegeben; dieses Kapitel ist ein bisschen dröge. Aber ganz ohne Grundlagen geht es eben nicht. Hier sehen wir, wie weit uns die Wissenschaft gebracht hat, wie sie entstanden ist und wie man wissenschaftlich denkt. Weil aber auch Wissenschaftler nur Menschen sind, zeigen uns die Autoren auch, was da manchmal schiefläuft.
Kapitel 3: Sciencewashing für Einsteiger
Jetzt kommen die fiesen Tricks! Zum Beispiel sinnfreier, aber wichtig klingender Mumpitz in der Werbung. Es hört sich nach „wissenschaftlich bewiesen“ an, ist aber Quatsch statt Quantenmechanik. Besonders gut wirkt dieser Unfug, wenn er in Werbespots von angeblichen Expert:innen präsentiert wird: Vom Schauspieler im weißen Doktorkittel, z.B., oder von Wissenschaftler:innen, die zwar welche sind, aber auf einem ganz anderen Gebiet. Wenn also die Linguistin im Labor herumfuhrwerkt, uns etwas vom Mikrobiom erzählt, um uns damit ihr Heilmittel zu verkaufen.
Nicht einmal auf zitierte Institute, Akademien und Gesellschaften ist unbedingt Verlass. Das klingt zwar seriös und offiziell, muss es aber nicht sein. Die Begriffe sind nicht geschützt.
Kapitel 4: Sciencewashing für Fortgeschrittene
Wenn mit Studien geworben wird, muss man sich zuerst einmal fragen, ob es die tatsächlich gibt. Das kann man herausfinden. Wer aber weder Wissenschaftler noch Wissenschaftsjournalist ist, wird in der Regel nicht wissen, wie er das prüfen kann. Sowas erfährt man hier.
Existieren die Studien, sind die nächsten Fragen: Wer hat sie durchgeführt? Wer hat sie bezahlt? Wurden sie korrekt ausgeführt, geprüft und in seriösen Wissenschaftsmagazinen veröffentlicht? Wurde mit Auslassungen und/oder statistischen Tricks gearbeitet? Und haben die genannten Studien überhaupt was mit dem beworbenen Produkt und dessen angeblicher Wirkung zu tun oder befassen sie sich mit ganz anderen Themen?
Wie da teilweise getrickst und geschummelt wird, macht einen fassungslos. K*ckdreist! Und das wenigste davon könnte ein Laie herausfinden.
Kapitel 5: Wie man sich vor wissenschaftlichen Belegen drückt
Hier geht es um Totschlagargumente wie zum Beispiel:
- „… aber das machen Menschen doch seit Jahrhunderten so!“ Was die Sache nicht automatisch sinnvoller oder richtiger macht.
- „… aber es ist doch als Arzneimittel zugelassen!“ – Man reibt sich verwundert die Augen, wenn man hier liest, wie das in Deutschland mit der Arzneimittelzulassung in manchen Bereichen funktioniert.
- „… aber in der Wissenschaft gibt es auch Mindermeinungen!“ – Ja, doch nur wenige konnten sich als bahnbrechende neue Erkenntnis durchsetzen. Sie mussten wissenschaftlich belegbar sein. Reine Behauptungen bringen nichts.
Es existieren noch mehr dieser Pseudoargumente, die wir alle kennen. („Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde …“). Wie man sie entkräften kann, steht im Buch.
Kapitel 6: Die Macht des Zweifels
Nicht nur Verkäufer dubioser Produkte bedienen sich dieser Techniken. Populisten auch. Und sie verstehen es, Zweifel zu säen, z.B. „Sooo sicher ist das mit dem Klimawandel auch nicht.“ (Seite 213). Da sagen sich die Leute: „Wenn das alles noch nicht gesichert ist, dann muss ich mein Verhalten auch nicht ändern.“ Und, zack, haben die gewonnen, in deren Interesse es ist, dass alles beim Alten bleibt.
„Zucker, Tabak, Klima – unabhängig von der Branche oder vom Themengebiet sind Großkonzerne, Parteien und andere mächtige Interessensgruppen mit ihren Strategien der wissenschaftlichen Desinformation immer wieder erfolgreich.
(Seite 237)
Kapitel 7: Was jetzt passieren muss
Man kann natürlich individuell gegen unwissenschaftliche Aussagen anargumentieren, aber eigentlich müsste viel mehr geschehen als das. Die Tricks der Scharlatane zu kennen, ist erst der Anfang. Es wäre z.B. sinnvoll, generell das Wissenschaftsverständnis zu fördern und strengere Regeln für unbelegte Werbeversprechen zu implementieren. Die Autoren haben noch mehr kluge und einleuchtende Vorschläge. Es müsste sie nur jemand umsetzen.
Die Beispiele in dem Buch sind amüsant bis schockierend. Auch, wenn man von manchen Methoden vielleicht schon gehört hat: Es ist interessant und aufschlussreich, vor Augen geführt zu bekommen, wie wir manipuliert werden sollen. Unterhaltsam ist das ganze auch. Podcaster können gut Geschichten erzählen! Die Fußnoten haben die Funktion witziger Zwischenrufe, was zwar manchmal den Lesefluss hemmt, aber zum Amüsement beiträgt. Ich kann die Lektüre empfehlen.
Die Autoren
Maximilian Doeckel ist Wissenschaftsjournalist und arbeitete als freier Journalist für verschiedene Sendungen des WDRs, vor allem für Wissenschafts- und Unterhaltungsformate. Inzwischen ist er festangestellter Redakteur in der Quarks-Redaktion. Zusammen mit Jonathan Focke ist er einer von zwei Science Cops.
Jonathan Focke hat Wissenschaftsjournalismus mit dem Schwerpunkt Physik an der TU Dortmund studiert und als Redakteur für die Sendung „Quarks & Co“ und die Wissenschaftsredaktion im Hörfunk gearbeitet. Seit 2016 ist er Redakteur im Digitalteam von Quarks und inzwischen Produktverantwortlicher der digitalen Marke. Zusammen mit Maximilian Doeckel ist er einer von zwei Science Cops.
Affiliate Links
- Buch: https://amzn.to/4hcuZEl
- Kindle: https://amzn.to/4hemAjI
- Hörbuch: https://amzn.to/4hklW4n
Ich bekomme eine kleine Provision, wenn ihr über diesen Link ein Produkt kauft.
Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
www.boxmail.de