Oliver Kalkofe: Sieg der Blödigkeit. Ist die Vernunft noch zu retten?

Oliver Kalkofe: Sieg der Blödigkeit. Ist die Vernunft noch zu retten? München 2024, Knaur Verlag, ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur, ISBN 978-3-426-56056-3, Hardcover, 235 Seiten, Format: 13,2 x 2,32 x 20,9 cm, Buch: EUR 22,00, Kindle: EUR 18,99, auch als Hörbuch lieferbar.

Abb.: (c) Knaur

„Hach, wie herrlich entspannend, wenn man das logische Denken und die widerspenstige Wirklichkeit einfach mal ein Mittagsschläfchen machen lässt und sich stattdessen lieber ein persönliches geistiges Parallel-Universum erschafft. Von zu viel Nachdenken kriegt man nur Muskelkater im Kopf!“

(Seite 121)

Seit den 1990er-Jahren schätze ich Oliver Kalkofes präzise Beobachtungen und seinen bissigen Witz. Seine Texte sind nicht ganz stubenrein formuliert. Das mag nicht jeder. Ich lese sie gern und stimme ihm meist zu.

Hat das Buch eine Botschaft für die Leser:innen? Oder gar eine Lösung für die gefühlt ständig zunehmende Blödheit? Hm …, dass man selbst nie zu denken aufhören sollte, vielleicht. Dass es nichts bringt, sich über alles und jedes zu empören. Dass es manchmal besser ist, die Leute labern zu lassen und dem Geschwätz mit Gelassenheit und Humor zu begegnen. Wobei der Spaß natürlich aufhört, sobald andere zu Schaden kommen. Da sind wir dann gehalten, „den Bekloppten in die Bowle zu pinkeln“ (Seite 10). Das sagt sich so leicht …!

Das Buch ist eine Sammlung von „Rants“: Oliver Kalkofe pickt sich haarsträubende Phänomene heraus und nimmt diese gekonnt auseinander. Der Leser, sofern er über ähnliche Erfahrungen und Ansichten verfügt wie der Autor, liest, grinst, nickt und sagt sich: „Ja, genau so isses!“

Werden die Leut‘ denn wirklich allerweil blöder, oder sieht das nur so aus, weil man heutzutage mühelos und ungefiltert seine Meinung ins Internet tröten kann und dort selbst für den abseitigsten Unfug Unterstützung findet? Wer sich, wie der Autor (Jahrgang 1965), an die Prä-Internet-Ära erinnern kann, weiß, dass es auch da schon Deppen gegeben hat, nur hat man nicht so viel von ihnen mitgekriegt. Damals war man noch viel diskreter blöd. Das war schön.

Denken ist anstrengend. Das Gehirn verbraucht jede Menge Energie. Kein Wunder, wenn man da zu ressourcenschonenden Maßnahmen greift und einfache Lösungen für komplexe Probleme sucht. Die Medien, die mit immer weniger Text, dafür mit immer mehr Bildern und plakativen Schlagzeilen arbeiten, tragen dazu bei. Tun sie das, weil das Publikum immer denkfauler wird, oder verdummen die Leute, weil die Medien so vorgehen? Gute Frage!

„[…] Ein Hirn zu haben und dies auch zu benutzen, ist keine Schande und schadet nicht einmal dem Klima.“

(Seite 21)

Ist vielleicht künstliche Intelligenz die Antwort auf die wachsende natürliche Dummheit? Es sieht nicht danach aus. Aber ich habe mich köstlich amüsiert über die KI-schlaue elektrische Zahnbürste, die mit zahlreichen Varianten einer „unzufriedenen Fresse“ die Putzleistung des Autors beurteilt. Wovon er nicht sehr angetan ist. 😀

Noch mehr genervt als von übergriffiger Technik ist Kalkofe von Influencern, die er für komplett nutzlos hält. Wie das „nichtssagende Protokollieren der individuellen Bedeutungslosigkeit zu einem bedeutsamen Wirtschaftsfaktor geworden ist“ (Seite 46), kann er nicht nachvollziehen. Werbung war früher mal finanziell notwendige Unterbrechung des Fernsehprogramms. Und heute? „Jeder hohlbirnige Instagram-Gesichtspampenverkäufer denkt, er oder sie sei das eigentliche Programm.“ (Seite 48)

Aber auch, wenn wir nicht alle Entwicklungen verstehen und gutheißen mögen: Leben bedeutet nun mal Veränderung. Wäre es anders, würden wir heute noch auf den Bäumen sitzen. Wir können nur hoffen, dass uns der Fortschritt nicht wieder dorthin zurückführt.

Übertreiben wir es vielleicht manchmal in unserem Übereifer und machen damit aus ursprünglich gut gemeinten Dingen wie sensibler Sprache oder Triggerwarnungen einen überbevormundenden Affenzirkus? Und müssen wir uns tatsächlich über jeden Sch**ß aufregen? Überall kleine Hulks und Wutbürger! Wir scheinen das richtige Maß verloren zu haben. Vielleicht geht’s uns ja zu gut.

„Fühlt der Mensch sich zu wohl, wird er schnell unzufrieden. […] Hat man den Frieden und die Demokratie erst mal gesichert und gefestigt, beginnen die Ersten wieder, aus Egoismus und Übermut an ihrer Demontage zu arbeiten.“

(Seite 95)

Als Medienschaffender macht sich Oliver Kalkofe natürlich Gedanken über das Fernsehen und dessen Wirkung, über Krimis, Nachrichten und Fake News. Was er von Filmen und Serien mit offenem Ende hält, demonstriert er sehr anschaulich.

Wir lernen, was es mit der „Generation H.O.R.S.T. auf sich hat, wo die zu finden ist, und warum der Begriff „B-Promis“ für die Mitwirkenden an den diversen Dschungel- und Knattershows zu hoch gegriffen ist. Einen Alternativ-Vorschlag hat er auch.

„Der Großteil dieser uns als ‚prominent‘ angepriesenen Durchschnittsbürger ist von derart überragender Unbekanntheit, dass selbst ihre eigenen Eltern sie erst mal googeln müssten.“

(Seite 181)

Bei diesem Thema wird der Autor so richtig schön gemein.

„Nach Jahrhunderten mühevoller Kämpfe für Freiheit, Gleichheit, Humanität, Wohlstand, individuelle Selbstbestimmung und wissenschaftliche Aufklärung zeigen sich immer mehr Menschen bereit, aus reiner Bequemlichkeit auf all diese stolzen Errungenschaften zu verzichten.“

(Seite 224)

Mit diesem Buch predigt der Autor dem Chor. Das werden ja nur die Menschen lesen, die ohnehin seiner Meinung sind. So sehr man sich als Leser bestätigt fühlt und so amüsant die Beiträge sind – am besten in kleinen Portionen genossen -: Das ganze fühlt sich auch ein wenig nach Zombie-Apokalypse an. Was bringt es uns, wenn wir unseren Verstand gebrauchen, die Doofen aber immer lauter und mehr werden und am Schluss das Sagen haben?

Die, die er meint, leben in ihrer Blase und sind für Argumente nicht empfänglich. Was also sollen wir tun, um die Entwicklung aufzuhalten? Ich weiß es nicht. Der Autor auch nicht so wirklich. Wenn also jemand ein paar schlaue Ideen hat …!

Oliver Kalkofe wurde 1965 in Hannover geboren und ist in Peine aufgewachsen. Die TV-Satire KALKOFES MATTSCHEIBE machte ihn zu einem der bekanntesten Comedians Deutschlands und wurde mit dem Grimme-Preis sowie mit dem Deutschen Comedypreis ausgezeichnet. Seit 2017 tritt er regelmäßig in der NDR-Satiresendung extra 3 als Laudator für politische Themen auf. Gemeinsam mit Oliver Welke produziert Oliver Kalkofe seit 2022 den wöchentlichen Podcast Kalk & Welk – Die fabelhaften Boomer Boys, derzeit der erfolgreichste Podcast der ARD.

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Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com 
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