Sarah Crouch: Middletide. Was die Gezeiten verbergen. Roman, OT: Middletide, aus dem amerikanischen Englisch von Lena Kraus, München 2025, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3-423-28474-5, Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 379 Seiten, Format: 13,8 x 3,9 x 21,5 cm, Buch: EUR 24,00, Kindle: EUR 16,99, auch als Hörbuch erhältlich.

„Das Gefängnis von Point Orchards war eigentlich nicht wirklich ein Gefängnis. Es war eher ein Anbau hinten an der Polizeiwache. […] Elijah drehte sich immer wieder von einer Seite auf die andere, während ihm die Frage nicht aus dem Kopf ging, die sich sicher sämtliche Insassen dieser Zelle stellten: Wie war er nur hier gelandet?“
(Seite 294/295)
Das Blockhaus im Wald
Orchards Point/Washington State 1973: Als Elijah Leith, 17, noch ein Kind war, war das Leben am Rande des Küstenstädtchens im Puget Sound für ihn in Ordnung. Seit er denken kann, hat er mit seinen Eltern in ihrem Blockhaus im Wald gewohnt. Die Mutter hat sich um Familie, Haushalt, den Gemüsegarten und die Hühner gekümmert, sein Vater, ein Automechaniker, ist mit ihm zum Jagen und Fischen gegangen. Doch inzwischen ist dem jungen Mann diese Welt zu eng geworden. Auch wenn er hier eine Freundin hat – Nakita Mills, die Tochter des Reverends aus dem Squalomah-Reservat —, zieht er nach San Francisco. Schriftsteller will er werden.
Anfangs schreibt sich das Pärchen noch Briefe, doch irgendwann reißt der Kontakt ab. Vergessen können sie einander nie.
Rückkehr nach 20 Jahren
Rund 20 Jahre später: Nach dem Tod seiner Eltern kehrt Elijah Leith nach Orchards Point zurück. Als Autor ist er krachend gescheitert. Zwar hat er einen Roman veröffentlicht, doch der hat sich schlecht verkauft und wurde von der Kritik verrissen. Was werden die Leute sagen, wenn er jetzt sein verwahrlostes Elternhaus herrichtet und dort wieder einzieht? Ein alter Freund seines Vaters bringt es auf den Punkt: Es ist ihnen egal. Elijah ist einfach wieder da.
Er jobbt also in der Autowerkstatt, in der schon sein Vater gearbeitet hat und bringt sein Zuhause auf Vordermann. Sein Leben ist fast so wie vor 20 Jahren, nur seine Jugendfreundin Nakita ist nicht mehr für ihn frei. Ein paar Mal geht er mit der attraktiven geschiedenen Ärztin Dr. Erin Landry aus, aber die Beziehung funktioniert nicht und er trennt sich von ihr. Das nimmt sie gar nicht gut auf, wie bald die ganze Stadt weiß. Und als Erin im Januar 1994 tot auf Elijahs Grundstück gefunden wird, steht für die Leute fest, dass er sie umgebracht hat. Zumal die Tat genau so begangen wurde, wie er es in seinem Roman beschrieben hat.
Wer will Elijah den Mord anhängen?
Wäre es nicht total bescheuert von ihm, so vorzugehen? Da versucht doch jemand, ihm die Tat anzuhängen! Aber wer? Und warum? Privat hat Elijah kaum Kontakte, und beruflich hat er sich auch nichts zu Schulden kommen lassen. Er hat Autos repariert, harmlose Artikel für die Lokalzeitung geschrieben und ab und zu regionale Produkte auf dem Wochenmarkt verkauft. Nichts, womit er sich Feinde gemacht haben könnte. Was übersieht er?
Die einzigen, die zu ihm halten, sind Jugendfreundin Nakita und ihr Vater, der Reverend. Die setzen Himmel und Hölle in Bewegung, um herauszufinden, wer die Ärztin wirklich auf dem Gewissen hat und warum ausgerechnet Elijah dafür büßen soll. Eliah selbst kann nicht viel unternehmen. Er sitzt entweder in Untersuchungshaft oder mit einer elektronischen Fußfessel auf seinem Grundstück fest. Er kann nur in seinen Erinnerungen kramen – und in seinen Unterlagen.
Ein ungeheuerlicher Verdacht
Ein altes Foto bringt ihn auf einen ungeheuerlichen Verdacht. Hilfssheriff Jeremy Hart kann sich mit Elijahs wilder Theorie anfreunden, aber auf den kommt’s leider nicht an. Die Geschworenen sind es, die überzeugt werden müssen. Und das wird schwierig …
Elijah, der Held in diesem Mix aus Krimi und Liebesgeschichte, ist kein Supermann. Er hat Fehler und er macht Fehler. Als Leser:in hofft und bangt man mit ihm. Er steckt ja auch in einer völlig absurden Situation!
Ich bin sonst kein Freund stark konstruierter Kriminalfälle. Hier mache ich eine Ausnahme, weil genau das der Punkt ist: Werden die Geschworenen und „die Leute“ an einen raffinierten, komplexen Masterplan glauben, wenn es für alles auch eine ganz einfache Erklärung gibt? Und gibt es das perfekte Verbrechen? – Hoffentlich nicht!
Zeitsprünge und spannende Unterhaltung
Man muss schon gut aufpassen, weil die Geschichte von 1973 bis 1994 kreuz und quer durch die Jahre springt, sonst kommt man leicht durcheinander: Moment …! Was ist bereits passiert und was noch nicht? Wo steht der Held gerade beruflich, persönlich und beziehungstechnisch? Das ist, vor allem gegen Schluss, ein bisschen anstrengend, aber es bringt uns der Wahrheit schrittweise näher.
Der Roman dient der Unterhaltung, das ist jetzt nichts besonders Tiefsinniges. Aber ich fand die Geschichte spannend und clever konstruiert. Man mag beizeiten ahnen, wer dem verkrachten Schriftsteller einen Mord anhängen will, aber es bleibt immer noch die Frage nach dem Motiv. Und ob und wie er vor Gericht aus der Nummer wieder rauskommt, das muss sich auch erst weisen.
Aufgrund der Anmerkung der Autorin hatte ich gehofft, dass man vom Leben des indigenen Stammes der Squalomah ein bisschen mehr mitkriegt. Das spielt hier aber nur eine Nebenrolle. Aber gut …! Was mich auch noch interessiert hätte: Was nun aus dem Romanmanuskript wird … und aus dem spektakulären Haus, „das wie eine Skihütte aussieht“. Doch das bleibt wohl unseren Spekulationen überlassen.
Die Autorin
Sarah Crouch ist vor allem für ihre Leistungen im Bereich der Leichtathletik als Profi-Marathonläuferin bekannt. Die Autorin ist im Pazifischen Nordwesten der USA aufgewachsen und lebt momentan mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern im Süden. ›Middletide – Was die Gezeiten verbergen‹ ist ihr Debütroman.
Die Übersetzerin
Lena Kraus schreibt auf Englisch und übersetzt aus dem Englischen und Norwegischen ins Deutsche. Nach ihrem Studium in Anglistik und Skandinavistik in Freiburg ist sie nun Doktorandin in kreativem Schreiben an der Universität von Edinburgh und arbeitet an ihrem ersten Roman. Sitzt sie nicht am Schreibtisch, ist sie oft in ihrem Kajak auf der Nordsee vor der Küste Schottlands zu finden. Sie lebt in Deutschland und Schottland.
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Rezensentin: Edith Nebel
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