Melanie Metzenthin: Wer aus dem Schatten tritt, Roman. (Band 1), Luxembourg 2025, Tinte & Feder, ISBN 978-2-49671662-7, Softcover, 309 Seiten, Format: 12,6 x 2,54 x 18,59 cm, Buch: EUR 11,99, Kindle: EUR 4,49, auch als Hörbuch lieferbar.

„Ich glaube, die meisten Leute sind ganz froh, wenn keiner mehr darüber redet und man alles unter den Teppich kehren kann. Damals hat kaum einer Fragen gestellt, weil es zu gefährlich war, und heute stellt kaum noch jemand Fragen, weil es zu schambesetzt ist.“ Er seufzte.
(Seite 170)
Fräulein Doktor im Kampf gegen die Ewiggestrigen
Hamburg 1958: Fräulein Doktor Renate Schwarz, 26, tritt ihre erste Arbeitsstelle im Allgemeinen Krankenhaus Ochsenzoll an, einer psychiatrischen Klinik. Sie hätte auch in der Hausarztpraxis ihres Onkels anfangen können, aber das wollte sie nicht. Die Arbeit in der Psychiatrie interessiert sie mehr.
Eingestellt wurde sie von Chefarzt Dr. Siemko. Ihm hat die Vorstellung gefallen, dass eine moderne junge Frau frischen Wind in den Klinikalltag bringen würde. Doch seit dem Vorstellungsgespräch hat sie ihn nicht mehr gesehen. Er verschanzt sich in seinem Büro und überlässt sie zwei misogynen alten Grantlern: Oberarzt Dr. Kleinschmidt und Dr. Lehmann, der trotz fortgeschrittenen Alters noch immer einfacher Stationsarzt ist.
Diese zwei Intriganten tun alles, um die junge Ärztin schnellstmöglich zu vergraulen. Renate kommt auf die Männerstation zu den „hoffnungslosen Fällen“ und wird dort nach allen Regeln der Kunst schikaniert. Ohne den guten Draht zu Oberpfleger Karlsson und anderen Mitarbeitern wäre dieses Arbeitsklima gar nicht auszuhalten.
Leider hat sie niemanden, mit dem sie ihre Situation zufriedenstellend besprechen könnte. Ihr Onkel ist zwar klug, lebenserfahren und einfühlsam, doch in ihre Lage kann er sich nur bedingt hineinversetzen. Ihre Eltern leben nicht mehr, ihre Studienkolleginnen sind in alle Winde zerstreut oder haben Ausbildung und Beruf aufgegeben, als sie Ehefrau und Mutter wurden. Von denen ist auch kein Rat in Karrierefragen zu erwarten.
Das rettende Netzwerk
Was Renate schließlich hilft: Der Club „Die Akademikerinnen“, den die Kinderärztin Ella Thiessen zusammen mit der Juristin Sophia Kellermann ins Leben ruft. Renate ist Gründungsmitglied. Sie knüpft dort wertvolle Kontakte und findet eine gute Freundin. Das macht manches leichter.
Bei ihrer Arbeit in der Klinik eckt sie nach wie vor an, weil sie jung ist, weil sie eine Frau ist und weil sie höflich aber kritisch manche Diagnose und althergebrachte Behandlungsmethode hinterfragt. Doch was immer sie sagt oder tut: Für ihre Kollegen ist das alles neumodischer Firlefanz, den sie mit aller Macht bekämpfen.
Rätselhafter Tod eines Patienten
Als einer von Renates Patienten zu Tode kommt, hat sie Zweifel und Fragen: Wenn es Suizid war, hat sie dann eine Mitschuld, weil sie in den Therapiegesprächen seine sorgsam verdrängten Kriegserinnerungen aufgewühlt hat? Und wenn es Mord war? Wenn er sich nicht nur wahnhaft eingebildet hat, verfolgt zu werden? Vielleicht hat er ja im Krieg etwas Schreckliches getan oder mit angesehen und ist jetzt von jemandem erkannt und getötet worden? In diesem Fall müsste man doch zur Polizei gehen!
Ein Mitglied des Akademikerinnen-Clubs macht sie mit Hauptkommissar Alfred Studt von der Mordkommission bekannt, der ihr inoffiziell einen Rat geben soll. Die beiden verstehen sich auf Anhieb und diskutieren – anonymisiert – nicht nur diesen einen Fall. Dabei merken sie, wie sehr sie von den Fachkenntnissen des jeweils anderen profitieren. Bald hat Renate bei Studts Familienanschluss, was auch ihren Kollegen nicht verborgen bleibt.
Ein ungeheuerlicher Vorwurf
Als der Kommissar eines Tages tatsächlich dienstlich in der Klinik vorstellig wird, geben Dr. Kleinschmidt und Dr. Lehmann Renate die Schuld daran. Sie muss Interna ausgeplaudert haben, sonst wäre die Polizei nicht hier! Schon reiben sie sich die Hände: Nun ist sie fällig! Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht, ja! Jetzt fliegt sie in hohem Bogen aus der Klinik!
Oh, oh, denkt der Leser, das kann übel enden! Mal sehen, für wen!
Der Roman ist eine interessante Mischung aus Krimi („Wie ist der Patient ums Leben gekommen?“), feministischem Manifest (der Akademikerinnen-Club und Renates Erfahrungen im Beruf), „Abenteuer Diagnose“ („Was fehlt dem Patienten? Das ist doch keine klassische Schizophrenie!“) und einer politischen Zeitreise in die 50er-Jahre.
Zeitreise in die 50er-Jahre
Es stellt sich die Frage, wie schwierig es für jemanden wie Renate war, herauszufinden, was während des Krieges wirklich passiert ist, wer wovon wusste und wer Dreck am Stecken hat. Niemand hat gern über die N*zizeit gesprochen, es gab keine offizielle Aufarbeitung und selbst die Beschaffung von Büchern zu dem Thema war schwierig, weil kaum welche existierten. Zum Glück waren nicht alle Zeitzeugen gewillt, über das Ungeheuerliche zu schweigen …
Neben Kommissar Alfred Studt begegnen wir in diesem Band noch weiteren Personen, die wir aus der Roman-Trilogie DIE HAFENSCHWESTER kennen. Insider werden sich über das Wiedersehen freuen. Wer die HAFENSCHWESTER-Reihe noch nicht gelesen hat, kann der Handlung trotzdem folgen.
WER AUS DEM SCHATTEN TRITT ist der erste Band einer Reihe (Trilogie?). Ich bin schon gespannt auf neue Geschichten aus Renates beruflichem Werdegang und auf den regen Austausch zwischen Psychiaterin und Polizist. Ich weiß natürlich nicht, ob diese gemeinsamen Ermittlungen weiterhin Thema sein werden, aber ich würde es mir wünschen.
Die Autorin
Melanie Metzenthin lebt in Hamburg, wo sie als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie arbeitet. Sie hat bereits zahlreiche Romane veröffentlicht, in denen psychische Erkrankungen oft eine wichtige Rolle spielen, darunter die beiden Bestseller »Im Lautlosen« und »Die Stimmlosen«. Für »Mehr als die Erinnerung«, den Auftakt zu ihrer »Gut Mohlenberg«-Reihe, wurde Melanie Metzenthin mit dem DELIA-Literaturpreis ausgezeichnet. Beim Schreiben greift die Autorin gern auf ihre berufliche Erfahrung zurück, um aus ihren fiktiven Charakteren glaubhafte Figuren vor einem realistischen Hintergrund zu machen.
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Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
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