Oksana Havryliv: Nur ein Depp würde dieses Buch nicht kaufen. Wirklich ALLES über das Schimpfen, Beschimpfen, Fluchen und Verwünschen, München 2023, Verlag Komplett Media GmbH, ISBN 978-3-8312-0612-4, Klappenbroschur, 221 Seiten, Format: 13,6 x 2,3 x 21,3 cm, Buch: EUR 22,00 (D), EUR 22,60 (A), Kindle: EUR 18,99.

Weil mich das Thema „Schimpfen“ fasziniert, seit wir vor über 20 Jahren im internationalen Kollegenkreis unsere Schimpfwörter verglichen haben (und weil ich kein Depp sein wollte), habe ich mir dieses Buch zugelegt.
Unser kollegialer Schimpfwörtervergleich war ebenso unwissenschaftlich wie lustig. Damals habe ich zum ersten Mal registriert, dass in unterschiedlichen Gegenden unterschiedliche Themenbereiche fürs Schimpfen herhalten müssen, je nachdem, welche Tabus dort vorherrschen. Der Autorin ist das Phänomen vertraut: Sie stammt aus der Ukraine, hat Germanistik studiert und lebt und arbeitet in Österreich.
Natürlich hat das Thema noch mehr interessante Aspekte zu bieten.
Warum wir schimpfen
Geschimpft wird immer und überall, mit anderen Worten aber aus den gleichen Gründen: wenn zum Beispiel etwas nicht klappt wie erhofft oder wir uns über jemanden aufregen. Fluchen und Schimpfen verschafft uns Erleichterung. Gleichzeitig sind alle, die uns hören, gewarnt: „Achtung! Diese Person ist gerade auf 180! Kopf einziehen und warten, bis die Gefahr vorüber ist!“
Schimpfen baut Stress ab, kann tatsächlich schmerzlindernd wirken, der Angstbewältigung dienen und in Form von Protestgesängen den Zusammenhalt Gleichgesinnter fördern. Schimpft man solidarisch mit Freunden über einen Dritten, kann das auch eine tröstende Funktion haben („Dieser XXX hat dich doch gar nicht verdient!“).
Gründe zum Schimpfen gibt es irgendwie immer, und manchmal hat so eine emotionale Unmutskundgebung ja auch eine positive Wirkung. Doch die Sache ist ambivalent. Schimpfen kann Ersatz für körperliche Aggressionen sein oder diese erst provozieren. Verbale Aggression kann ebenso Machtdemonstration wie ein Ausdruck der Hilflosigkeit sein. Und man kann einander in beleidigender Absicht beschimpfen oder nur im Scherz.
Fluchen, Schimpfen und Verwünschen
Wir lernen den Unterschied zwischen Fluchen, Schimpfen und Verwünschen kennen – mit zahlreichen Anwendungsbeispielen. Wobei die kreativen und bildgewaltigen Verwünschungen meine Lieblingsdisziplin sind. 😉
Wir erfahren, warum Kinder von Schimpfwörtern so begeistert sind und wie man am besten damit umgeht … welche besondere Funktion das Schimpfen und Fluchen bei Teenagern hat und wie stark das Schimpfverhalten bildungs- und geschlechtsabhängig ist.
Verschiedene Schimpfkulturen
Wie eingangs erwähnt: Es gibt regionale Unterschiede. Die einen schimpfen fäkal, andere mit Begriffen aus Religion („Sakrament!“) oder Sexualität. Wieder andere beleidigen wortreich und fantasievoll die Verwandten des Gegners. Warum das so ist, erklärt uns die Autorin auch.
Wenn man in einer Sprache auf eine Weise schimpft und in einer anderen ganz anders, wie geht man dann vor, wenn man Beschimpfungen (in Büchern oder Filmen) übersetzen muss? Sicher nicht wörtlich! Um den richtigen „Beschimpfungsgrad“ wiedergeben zu können, muss man sich in den Schimpfkulturen beider Sprachen sehr gut auskennen. Aber so funktioniert Übersetzen ja generell.
Verbale Aggression und verbale Gewalt
Es gibt also verschiedene Beschimpfungs-Codes. Wird eigentlich verbale Gewalt ausgeübt, wenn der Empfänger den Code gar nicht versteht und die Beleidigung nicht als solche bei ihm ankommt? Was ist überhaupt der Unterschied zwischen verbaler Aggression und verbaler Gewalt? Die Autorin zitiert im Buch einen ihrer Schüler, der die Sache treffend auf den Punkt bringt.
So unterhaltsam die zum Teil typisch österreichischen Beispiele sind – besser wär’s natürlich, wir würden uns einer gewaltfreien Kommunikation befleißigen. Störrische Maschinen kann man gern weiterhin beschimpfen, doch seine Mitmenschen besser nicht.
Ich fürchte aber, so ganz wird man das nicht aus den Leuten herauskriegen. Verbale Gewalt umfasst ja nicht nur absichtliche persönliche Beleidigungen, sondern auch Drohungen und das Verbreiten von Lügen und anderen Falschinformationen. Und das ist für viele einfach zu „nützlich“. ☹
Gewaltfreie Kommunikation – kriegen wir das hin?
Am Beispiel ihrer Schüler-Workshops zeigt die Autorin, dass Kinder oft Schimpfwörter aufschnappen und ganz selbstverständlich verwenden, ohne eine konkrete Vorstellung von deren Bedeutung zu haben. Wenn man ihnen erklärt, was sie da gerade gesagt haben, sind sie überrascht bis entsetzt. Nein, DAS hatten sie nicht zum Ausdruck bringen wollen! Sie wollten den anderen nur in seine Schranken weisen oder ein bisschen ärgern. Manchen Ausdruck wollten sie in Zukunft nicht mehr verwenden. Immerhin! Sie haben über die Bedeutung und Wirkung ihrer Worte nachgedacht.
Wie sollen wir eigentlich reagieren, wenn uns jemand in beleidigender Absicht anspricht und wir nicht wollen, dass die Situation eskaliert? Zurückpöbeln? Mit einem schlagfertigen Spruch kontern? Oder einfach so tun, als hätte man die Pöbelei nicht gehört oder nicht verstanden? – Das kann alles funktionieren aber auch mächtig in die Hose gehen. Es gibt gewisse Erfahrungswerte aber leider kein Patentrezept.
Interessante Aha-Erlebnisse
Mir hat das Buch einige Aha-Erlebnisse beschert. So hätten wir beispielsweise gar nicht so entsetzt sein müssen über die Ausdrucksweise früherer Nachbarn. Wir hatte das Gesagte lediglich wortwörtlich verstanden, nicht aber die anders geartete Schimpfkultur.
Meinen Wortschatz konnte das Buch nicht nennenswert erweitern, ich war wohl vorher schon ganz gut dabei. (Seine kulturellen Einflüsse sucht man sich nicht aus!) Ich bin jedoch geneigt, mir als Beifang eine hier erlernte Schreibweise anzueignen, mit der man auf kultivierte Weise Geringschätzung ausdrücken kann, wenn man das unbedingt möchte. Das eigentliche Ziel sollte ja die gewaltfreie Kommunikation sein …
Dass die Autorin ihre Beispiele auch aus dem politischen Bereich wählt, ist naheliegend und nachvollziehbar, wird aber vielleicht nicht jedem gefallen. Das wollte ich hier nur kurz erwähnt haben.
Die Autorin
Dr. Oksana Havryliv ist gebürtige Ukrainerin, studierte dort Germanistik und lehrt und forscht seit vielen Jahren als Sprachwissenschaftlerin an der Universität Wien. Mit dem Schimpfen beschäftigt sie sich nun schon seit mehr als 30 Jahren und ist eine echte Expertin der Malediktologie. Angefangen hat ihre Begeisterung für und die Beschäftigung mit dem Schimpfen als Witz bei einem Wiener Heurigen, woraufhin sie das Thema für ihre Promotionsarbeit wählte.
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Rezensentin: Edith Nebel
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