Peter Grandl: Reset. Die Wahrheit stirbt zuerst, Thriller, München 2025, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3-423-28472-1, Hardcover mit Schutzumschlag, 493 Seiten mit s/w-Illustrationen von Marie Zimmer, Format: 13,8 x 4,35 x 21,5 cm, Buch: EUR 22,00, Kindle: EUR 16,99, auch als Hörbuch lieferbar.

„Weltweit häufen sich die Meldungen von Deepfakes. Wie der Generalsekretär schon betonte, haben wir so etwas in dieser Perfektion noch nie zuvor erlebt, nicht einmal annähernd. Sie könnten einen [Videocall] von Ihrer Mutter erhalten und würden nicht bemerken, dass Sie mit einer KI sprechen. […] Der […] grauenhafteste Vorfall in einer ganzen Reihe von derartigen Ereignissen führte gestern zu einem Abschuss einer Verkehrsmaschine in Deutschland.“
(Seite 147)
Die Geschichte spielt im Oktober 2024. Die ersten rund 150 Seiten halten uns mit einer rasanten Abfolge unfassbarer Ereignisse in Atem, die zunächst in keinem Zusammenhang zu stehen scheinen. Doch dann wird ein Muster erkennbar: Unsere gesamte digitale Kommunikation ist kompromittiert! Perfekt gemachte KI-Fakes gaukeln uns Fakten vor, die wir nicht in Zweifel ziehen.
Deepfakes auf allen Kanälen
In Frankreich zum Beispiel erhält ein Mann einen Videoanruf mit einer schockierenden Todesnachricht. Als er völlig aufgelöst am Ort des Geschehens eintrifft, findet er das mutmaßliche Unfallopfer und die Anruferin quietschfidel und ahnungslos vor. Ein geschmackloser Scherz, könnte man meinen, genau wie im Fall der deutschen Juristin, die einen Anruf von ihrem längst verstorbenen Mann erhält. Doch dabei bleibt’s nicht. In Tel Aviv werden zwei Unternehmer aufgrund einer Falschinformation als Terroristen liquidiert, und ein Jagdflieger der Bundeswehr schießt kurz vor München eine aus London kommende Passagiermaschine ab, die angeblich von Terroristen mitten ins Flughafenterminal gesteuert werden sollte. Über 170 Tote!
So ein Abschuss erfolgt natürlich nicht leichtfertig und wird im Nachgang gründlich untersucht. Die Briten schicken einen eigenen Ermittler nach München: Valentine O’Brien (34) vom Metropolitan Police Service. Die Leitung dieses Joint Investigation Teams hat die Erste Kriminalhauptkommissarin Camille Milloz aus Karlsruhe. Valentine und sie haben eine gemeinsame Vorgeschichte, doch das darf jetzt keine Rolle spielen. Erste Datenanalysen legen tatsächlich nahe, dass die Ereignisse an Bord der Lufthansa-Maschine nicht so waren, wie man bisher gedacht hat.
Wer steckt dahinter? Die üblichen Verdächtigen?
Alles Fake? Wer macht denn sowas? Und wozu? Die üblichen Verdächtigen werden ins Visier genommen, doch das mit dem terroristischen Akt einer ausländischen Macht scheidet als Erklärung aus, denn diese lebensgefährlichen Fakes treten in der ganzen Welt auf.
In Lyon werden unter der Leitung der Interpol hochkarätige Expertinnen und Experten aus allen Kontinenten zusammengezogen, die dem Spuk ein Ende bereiten sollen. Seiko Ito vom Japanischen Geheimdienst und ihr Lebensgefährte Akira Nagashima entwickeln dabei eine ebenso abenteuerliche wie plausible Theorie.
Der große Neustart
Die Gruppe verfolgt zwei Ansätze: 1.: Die Urheber des KI-Virus ausfindig und mitsamt deren Ausrüstung unschädlich machen und 2.: einen weltweiten Reset:
„Du kannst ES löschen, aber bevor du das tust, hat der Virus andere Units infiziert und verbreitet sich erneut. […] Um ES auszubremsen, müsste man alle Handys, alle Rechner, alles, was mit einer CPU läuft, runterfahren. […] Und dann löschen wir ES.“
(Seite 216)
Die Rückkehr der analogen Technik
Ja, und das bitte zügig, denn inzwischen wird die komplette elektronische Kommunikation mit Bullsh*t geflutet, Flug- und Zahlungsverkehr sowie Energie- und Lebensmittelversorgung sind zusammengebrochen. Jetzt hilft nur noch der Rücksturz in die Vergangenheit: handgeschriebene Briefe, Fax und Telex kommen zum Beispiel wieder zu Ehren und die New York Times reaktiviert uralte Satzverfahren und Druckmaschinen sowie die Rentnerinnen und Rentner, die diese vorsintflutliche Technik noch bedienen können. Für fakefreien weltweiten Informationsaustausch sorgen die guten alten Funkamateure. „CQ, CQ!“ (Die Funker dürfen hier, im Gegensatz zu den Soldaten und dem Flughafenpersonal, ihren Jargon nicht exzessiv verwenden. Schade, den hätte ich verstanden.)
Die Welt bekämpft das Chaos …
Es war schön zu sehen, dass kleinkarierte Händel auf einmal in den Hintergrund treten und die Menschen mit Kreativität und Galgenhumor versuchen, gemeinsam im Chaos zu überleben. Und auf einmal betrachtet man – auch als Leser! – die olle analoge Technik mit ganz neuem Respekt.
… und Valentine sucht seine Schwester
Ja, und während alle Welt zusammenhilft, um diesen Wahnsinn zu beenden, macht sich der britische Polizist Valentine O’Brien klammheimlich vom Acker, um seine Schwester Maggie (22) zu suchen, mit der er zuletzt Kontakt hatte, als sie noch in den Kindergarten ging. So fesselnd und faszinierend ich den technisch-organisatorischen Aspekt der Katastrophenbekämpfung finde, bei diesem Handlungsstrang habe ich mich leicht veräppelt gefühlt.
Erst nachdem sich die Valentine-und-Maggie-Geschichte aus der Fülle des übrigen Romanpersonals herausgeschält hatte, sind mir die Parallelen aufgefallen: Margaret(e), Valentin(e), Marthe, Wagner – und Maggies Lover, der Doktor, heißt mit Vornamen Heinrich. Zefix, das passt ja alles wie die Faust aufs Auge! (Kann es sein, dass der Doktor in einer älteren Fassung noch Heinrich Feischt geheißen hat? So ist es zumindest auf Seite 317 stehengeblieben.)
Packender Science-Fiction-Thriller mit schrägem Twist
Ich glaub‘, ich verstehe die Idee dahinter, aber begeistert bin ich nicht davon. Dadurch bekommt der sehr technisch-realitätsnahe Science-Fiction-Thriller einen eigenartig schrägen Dreh, der in einem wilden, James-Bond-artigen Showdown gipfelt. Das mag allein an meiner Erwartungshaltung liegen und andere Leser sehen das womöglich ganz anders. Ich bin einfach die ganze Zeit von einem sehr profanen Grund für all die Ereignisse ausgegangen: von einer politischen Ideologie, Macht- und/oder Habgier.
Ich fand den Roman wahnsinnig spannend und betrachte seither alle Nachrichten und Postings mit noch größerer Skepsis als zuvor. Was ja kein Fehler ist. Wenn’s eine Verfilmung gäbe, würde ich mir die ansehen. Dass ich mit dem Valentine-Maggie-Heinrich-Handlungsstrang etwas fremdle, kann ich aber nicht leugnen.
QRU und 73 😉
Der Autor
Peter Grandl hat als Regisseur, Drehbuchautor und Creative Director einer Werbeagentur gearbeitet, bevor er seinen Durchbruch als Schriftsteller hatte. Seine preisgekrönten Thriller beschäftigen sich mit brisanten Themen unserer Zeit, das Debüt ›Turmschatten‹ ist von Paramount verfilmt worden. Peter Grandl ist leidenschaftlicher Bergwanderer und Musiker, er lebt mit seiner Familie bei München.
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Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
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