Sophie Morton-Thomas: Das Nest, OT: Bird spotting in a small Town, aus dem Englischen von Lea Dunkel, Bielefeld 2025, Pendragon Verlag, ISBN 978-3-86532-909-7, Klappenbroschur, 301 Seiten, Format: 20.6 x 13.5 x 2 cm, Buch: EUR 22,00, Kindle: EUR 19,99.

Fran hat einen Wohnwagenpark …
Vor wenigen Jahren ist Fran Redlock (39) mit ihrem Mann Dom und ihrem Sohn Bruno (11) von Surrey nach Norfolk in ein abgelegenes Küstendorf gezogen. Dom macht beruflich „irgendwas mit Finanzen“, Fran hat einen Wohnwagenpark gekauft und ist, neben dem „Familienmanagement“, vollauf damit beschäftigt, die Anlage zu verwalten, in Schuss zu halten und die Urlaubsgäste zu betreuen.
Ihr geliebtes Hobby, das Malen, ist dabei auf der Strecke geblieben. Was sie immer noch mit großer Hingabe macht: Vögel beobachten. Besonders die Zwergseeschwalben haben es ihr angetan. Als sie ein Nest dieser seltenen Bodenbrüter entdeckt, ist sie überglücklich. Als Leser hat man den Eindruck, dass sie sich für dieses Gelege genauso verantwortlich fühlt wie für ihre problembehaftete Familie.
… und eine problematische Familie
Frans griesgrämiger Ehemann Dom scheint Geheimnisse zu haben und redet kaum noch mit ihr. Dabei war das doch mal die große Liebe! Sohn Bruno plappert zwar ständig, aber was ihn wirklich bewegt, davon hat Fran keine Ahnung. Das weiß allenfalls Brunos gleichaltrige Cousine Sadie, die mit ihren Eltern in einem von Frans Mobilheimen wohnt. Mietfrei, denn weder Ros – Frans jüngere Schwester – noch ihr Lebensgefährte Ellis haben einen Job. Doch davon, dass die beiden an ihrer prekären Situation etwas ändern wollen, ist nichts zu spüren. Sie kreisen ergebnislos um ihre Probleme, vernachlässigen darüber ihre Tochter und verlassen sich in allem auf Fran, die einen zunehmend deprimierten Eindruck macht.
So schleppt sich die Familie durch ihr trostloses Leben, bis zwei Veränderungen eintreten, die alles auf den Kopf stellen werden: Brunos und Sadies Schulklasse bekommt eine neue Lehrerin und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Wohnwagenpark schlägt eine Roma-Familie ihr Lager auf.
Die neue Lehrerin mischt die Gemeinde auf
Die Lehrerin, Ms McConnell, ist modern, unkonventionell und macht sich ziemlich exzentrisch zurecht. Frans Nichte Sadie ist Feuer und Flamme und vertraut der Lehrkraft ihre Sorgen und die intimsten Familiendetails an. Doch die „Freundschaft“ hält nicht lange. Schnell kommt’s zum Zerwürfnis, das darin gipfelt, dass Sadie vom Unterricht suspendiert wird. Auch gut. Dann verbringt sie ihre neu gewonnene Freizeit eben bei den interessanten Nachbarn, den Roma.
Sadie freundet sich mit Tad (65), dem verwitweten Chef der Roma-Sippe, an und mit dessen kognitiv eingeschränkter Tochter Jade. Cousin Bruno hält sich lieber an Tads Bruder Charlie (Mitte 40), denn der versteht, wie Brunos Mutter, etwas von Vogelkunde, und kochen kann er auch!
Wer reißt hier V ö g e l n die Köpfe ab?
Die Eltern kriegen nur am Rande mit, was ihre Kinder treiben. Fran wird erst hellhörig, als sie unterwegs immer wieder Vogelkadaver findet, denen man den Kopf vom Körper gerissen hat. Das ist das Werk eines Menschen! Wenn hier ein Verrückter unterwegs ist, sind womöglich auch die Kinder in Gefahr. Sollten jedoch Bruno und Sadie selbst für den gewaltsamen Tod der Vögel verantwortlich sein, was Fran nicht ausschließen kann, läuft hier gewaltig was schief!
Ms McConnell wird vermisst
Die Vogelmorde treten in den Hintergrund, als Ms McConnell eines Morgens nicht zum Unterricht erscheint und auch nicht erreichbar ist. Zur selben Zeit wie sie ist auch Ellis verschwunden, Sadies Vater. – Miteinander durchgebrannt? Eher nicht! Ellis war wegen der Suspendierung seiner Tochter nicht gut auf die Lehrerin zu sprechen. Hat er ihr etwas angetan? Auf jeden Fall sucht ihn jetzt die Polizei.
Die Kinder scheinen mehr zu wissen als sie zugeben, die Roma ebenfalls. Doch die würden ihr Wissen schon aus Prinzip nicht mit der Polizei teilen.
Unangenehme Wahrheiten
Nach und nach erfahren wir, was wirklich geschehen ist … mit den V ö g e l n , mit dem Gelege der Zwergseeschwalben, das Fran so wichtig ist, und natürlich mit Ms McConnell. Jetzt kommen all die unerfreulichen Fakten auf den Tisch, die Frans Familie so lange ignoriert und gekünstelt weggelächelt hat: „Bei mir ist alles in Ordnung!“ Ja, von wegen! Hält das fragile Konstrukt „Familienzusammenhalt‘“ das aus, oder geht jetzt alles in die Brüche?
Ach ja … nichts ist auch nur annähernd so abgelaufen, wie Fran und die Leser:innen sich das zusammengereimt haben. Wir hatten aber nicht alle relevanten Informationen.
Düstere Atmosphäre
Die Atmosphäre in der Geschichte ist düster und unheimlich. So ein verwaister Wohnwagenpark im Winter hat ja auch ein bisschen was von einem „Lost Place“, vor allem, wenn sich ständig Unerklärliches und Bedrohliches ereignet. Da sieht man schnell Gespenster. Das und die wunderbare Sprache hat mich bei der Stange gehalten – und natürlich meine Neugier. Wer hat was getan und warum? Und wer schleppt hier welche finsteren Geheimnisse mit sich herum? Das wollte ich unbedingt wissen, auch wenn mir außer Tad keine der Personen sympathisch war.
Mit den Erklärungen am Schluss hatte ich ein paar Akzeptanzprobleme: „Was? Und das soll niemand gewusst haben? Bitte, das ist ein Dorf!“ Und: „Das ist doch kein Motiv! Das reicht gerade mal für einen Vormittag Klatsch!“
In einem Interview mit dem Verlag sagte die Autorin:
„In diesem Fall wusste ich das Ende selbst nicht, bis ich es geschrieben hatte. Während ich an der ersten Hälfte saß, wusste ich noch nicht einmal, wer genau der oder die Schuldige sein sollte.“
(Aus dem Pressematerial des Pendragon-Verlags)
Das kann man doch nicht so lassen!
Vielleicht ist das der Grund für den für mich unbefriedigenden Schluss. Schon klar: Im wahren Leben geht’s auch nicht immer für alle Beteiligten gut aus, aber hier dachte ich: „Leute, das war es jetzt? Im Ernst? Das kann man doch nicht so lassen! Da muss doch einer was unternehmen!“ Das wiederum ist ein Zeichen dafür, dass man als Leser die Figuren ernst nimmt und mit ihnen mitfühlt. So gesehen hat die Autorin wohl das allermeiste richtig gemacht.
Die Autorin
Sophie Morton-Thomas wuchs in West-Sussex auf und war schon immer vom Schreiben begeistert. Bereits früh schrieb sie Kurzgeschichten, mit denen sie für mehrere Preise nominiert war. Mit »Travel by Night« hat sie bereits einen erfolgreichen Roman veröffentlicht.
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Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
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