Mutters Wundermittel

Manche Gerüche, so sagt man, rufen einem schlagartig die eigene Kindheit ins Gedächtnis zurück. Bei mir ist das der Duft von Flieder, Wicken und Nelken, von frisch gemähtem Gras und von ’“ Schmierseife. Und zwar der einer ganz bestimmten Marke.

Schmierseife, das war schon in den 60er Jahren Mutters Universalwaffe gegen jede Art von Schmutz im Haushalt. Ein Klecks davon kam ins Spülwasser, ein großzügigerer Klecks ins Aufwischwasser für die Fußböden. Die Küchenmöbel und die Fensterrahmen wurden mit Schmierseifenlauge gereinigt, die Handwäsche erledigt, das Auto gewaschen, die marmornen Fensterbänke poliert – und im Urlaub musste die glibberige naturweiße Masse auch schon mal als Ersatz für das vergessene Haarshampoo herhalten. Meine Cousine benutzte die Schmierseife sogar als Badezusatz für ihre Kinder. ’žSie duften dann immer so gut.’œ

Mutters Seife gab es nicht im Laden zu kaufen. Ein großer, schnauzbärtiger Außendienstmitarbeiter klingelte regelmäßig an der Tür und nahm die Bestellungen auf. Hausfrauen oder Schulkinder aus dem Dorf brachten die Ware dann wenige Tage später gegen Barzahlung bis an die Haustür.

Geliefert wurde die Seife in knallgelben 5-Liter-Eimern. Zu gerne hätte ich als Kind meine Hände in die blumig duftende glibberige Masse getaucht und damit ein bisschen herumgematscht. Aber das war streng verboten. Mutter füllte kleine Seifenmengen in handliche Behälter um und deponierte sie in Küche und Keller. Der Eimer selbst kam sofort unter Verschluss.

Auch nachdem ich das Elternhaus verlassen hatte, war immer für Seifennachschub gesorgt. Wenn ich ’žnach Hause’œ auf Besuch kam, gab meine Mutter mir regelmäßig abgefüllte Portionen von ihrem ’žZaubermittel’œ mit. Und auch in meinem Haushalt wurde vom Auto über das Katzenklo bis zum Treppenhaus alles damit sauber gemacht.

Aber nichts währt ewig. Mit meiner Mutter starb sozusagen auch die Schmierseifen-Tradition. Ich wusste schlicht nicht, wie ich an Nachschub kommen konnte. Den Namen des Herstellers hatte ich über die Jahre vergessen, und in meiner ’žneuen Heimat’œ konnte man mit meiner Beschreibung der Produkte und ihres Vertriebswegs nichts anfangen. Hier gab es keine Außendienst-Mitarbeiter ’“ mit oder ohne Schnauzbart ’“, die Schmierseifenbestellungen aufnahmen.

In den folgenden Jahren behalf ich mir mit allen möglichen Reinigungsprodukten. Jedes zweite Wundermittel, das im Werbefernsehen angepriesen wurde, habe ich ausprobiert. Sogar mal etwas, das sich ’žFlüssigseife’œ schimpfte und in einer grünen Flasche geliefert wurde. Aber das sah aus wie eine Kreuzung aus Altbier und Tapetenkleister, roch sonderbar und hinterließ beim Putzen Streifen ’“ kein Vergleich zu Mutters Zaubermittel!

Ich hatte mich schon damit abgefunden, ohne Mutters Seife mit Schmutz und Dreck fertig werden zu müssen. Wahrscheinlich gab es die Herstellerfirma längst nicht mehr. Wer würde schon im Zeitalter der Sprühflaschen und des Reinigungsschaums, der Microfasertücher und raffinierten chemischen Mittelchen mit einer schleimigen Seifenmasse hantieren wollen? Ich. Aber ich bin in eben manchen Dingen hoffnungslos altmodisch. So altmodisch wie Mutters Schmierseife.

Dann las ich in einer Frauenzeitschrift den Tipp, Marmortische seien gut mit Schmierseife zu reinigen. Das Produkt an sich musste also noch auf dem Markt sein. Mein Jagdinstinkt war wieder geweckt.

Kurze Zeit später roch ich bei uns im Büro einen vertrauten Duft. ’žIst das dein Parfum?’œ, fragte mich mein Kollege. ’žParfum? Nein. Ich habe auch schon gerätselt, wo der Geruch herkommt. Erinnert mich irgendwie an das Putzmittel meiner Mutter!’œ Mein Kollege lachte. Und urplötzlich, vielleicht inspiriert durch den Geruch, fiel mir der Name des Herstellers wieder ein. Nach all den Jahren!

Vielleicht gab es die Firma ja tatsächlich noch? Vielleicht war sie ja sogar im Internet vertreten? Ich warf die Internet-Suchmaschine an und probierte ein paar Schreibweisen aus. Und tatsächlich! Da waren sie! Mit Online-Shop und mit Schmierseife! Sofort setzte ich mich mit dem Unternehmen in Verbindung und gab meine Seifen-Bestellung auf.

Wenige Tage später kam das ersehnte Postpaket. Die 5-Liter-Eimerchen sind mittlerweile grau geworden, aber das bin ich ja auch. Das Wichtigste ist, dass die Schmierseife selbst ganz die alte geblieben ist: naturweiß, glibberig, blumig duftend ’“ und so unglaublich vielseitig und praktisch. Das ’žZaubermittel’œ aus meiner Kindheit ist wieder da!

***
Der Beitrag erscheint in der Juni-/Juli-Ausgabe der Zeitschrift „DAHEIM in Deutschland“, http://www.daheim-in-deutschland.de

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert