Bulgarien 2005: Balkanfeuer am Steuer, Teil 2

Bulgarien 19. Juli bis 2. August 2005
Balkanfeuer am Steuer
oder
Der Urlaub ohne Koffer

Im Dschungelcamp

Am 25. Juli folgten wir unserer Urlaubsroutine: Morgens, wenn es noch nicht so überlaufen ist, die Strandpromenade mit all den kleinen Lädchen und Ständen entlanggehen und bei Bedarf etwas einkaufen. Bei der Gelegenheit stellte sich die Frage, ob’s denn in Bulgarien keine Herren überhalb der „Heringsklasse“ gibt. Wir hatten wirklich Schwierigkeiten, T-Shirts zu finden, die Gerhard passten. XL oder gar XXL muss da ganz was Außergewöhnliches sein. Gibt’s denn da keine „pfundigen“ Herren – oder lag es einfach daran, dass das Angebot eben nur auf Teenager zugeschnitten ist?

Bei Shirts hatte ich keine Schwierigkeiten. Eine Händlerin mit einem besonders interessanten Angebot kannte mich schon. Die fand’s witzig, dass ich einkaufte und der Mann zahlte. Ich hab gelacht und gesagt, ich fände das in Ordnung. Seitdem hat sie immer gegrinst wenn sie uns sah und besonders freundlich gegrüßt.

Bei einer markanten Strandbar, die aus Baumstämmen gebaut und mit Stroh oder einem binsenartigen Material gedeckt war, kehrten wir ein und blieben ein bisschen zum „Leute-Beobachten“ sitzen. Wir nannten die Bar immer „Dschungelcamp“. Es stand weit und breit kein Name dran, und erst kurz vor unserer Abreise entdeckten wir eine Getränkekarte, auf der „The Grey Pub“ stand. Wenn wir keine Lust mehr hatten, gingen wir am Strand entlang zurück zum Hotel. Von der Bar bis zum Hotel dauerte es ca. 35 Minuten. Manchmal auch länger, wenn es wieder interessante sportliche Aktivitäten zu bestaunen gab. Start oder Landung von irgendwelchen Fallschirmfliegern, Wasserski-Fahrversuche aller Art, Todesmutige, die auf Jetskis allerlei akrobatische Übungen vollführten oder ein Boot, das nicht so wollte wie sein Eigner.

Gefährliche Szenen gab es schon auch, weil sich alle paar Meter so ein Sportangebot befand und die Boote, Jetskis und all das Gedöns mitten zwischen den Schwimmern und Nichtschwimmern herumgurkten. Da musste man Fuchs und Hase sein und manchmal ganz schön schnell aus dem Weg flitzen, weil ja nicht jeder, mit so einem Gerät unterwegs ist, das auch voll im Griff hat.

Nach der Strandwanderung ging’s noch ein bisschen an den Strand und am Abend kontaktieren wir nochmals unsere TUI-Reiseleiterin Pepa Bebeva wegen des leidigen verschwundenen Koffers. Mittlerweile glaubten wir nicht mehr daran, das Ding jemals wiederzusehen. Sie sagte, dass auch Nachforschungen in anderen Hotels nichts ergeben hätten. Hätte ja sein können, es hat jemand die Koffer verwechselt und irrtümlich meinen mitgenommen – oder weiß der Geier. Jedenfalls war man auch seitens der Offiziellen der Meinung, das würde wohl nichts mehr werden, und ich sollte mich bei meiner Rückkehr mit der Fluggesellschaft in Verbindung setzen wegen einer finanziellen Entschädigung.

Als Abendunterhaltung war ein „Indischer Abend“ an der hoteleigenen Strandbar angekündigt. Die Animateure der Hotelanlage führten eine Show auf. Es war ein mords Aufwand und eine reife Leistung für das Team. Animateur ist schon ein Knochenjob, um den ich die Leute nicht beneide. Kühl war’s. Aber ich hatte keine Jacke – die war leider auch mit dem Koffer zusammen verschwunden.

3. Ausflug: Ab in den Süden

26. Juli: Die Südtour – Kulturgenuss und Naturerlebnis. „Sicher möchten Sie Bulgarien in seiner Vieflfalt erleben. Lassen Sie sich vom Charme des malerischen Küstenortes Sosopol verzaubern. Gneißen Sie die wunderschöne Landschaft auf der Bootsfahrt auf dem Ropotamo-Fluss und entdecken Sie die faszinierende Vogelwelt im Naturschutzpark PODA. Nutzen Sie Ihre freie Zeit beim Bummeln durch die Einkaufsstraßen der größten Stadt an der südlichen Schwarzmeerküste – Burgas.“ So steht’s im Ausflugsprogramm der TUI.

Unsere Reiseleiterin hieß Nellie, und wie immer erfuhren wir unterwegs interessante Fakten: Der Flughafen Burgas wurde 1949 eröffnet und hat mit 4,5 km die längste Landungspiste in Bulgarien. Ersatzflughafen bei schlechtem Wetter ist Istanbul. Der Name Burgas kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Festungsdorf“. Vor Burgas gibt es drei kleine Seen: Madrensko-See, Atanovsko und Burgasko.

Vom Sonnenstrand bis nach Istanbul sind es rund 500 km. Das Strandza-Gebirge ist das Grenzgebirge zwischen Bulgarien und Türkei. Das Wort Strandza kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Schwarzer Grenzfluss“. Dort geht das Meeres- ins Kontinentalklima über und es wachsen Oliven, Zitronen und sonstiges mediterranes Zeug.

Der Name „Schwarzes Meer“ bedeutet eigentlich „gefährliches, stürmisches Meer“. So nannten es die Protobulgaren. Sie kamen aus der Steppe und waren keine guten Seeleute. Sie fürchteten sich vor dem Meer. Schon die Thraker nannten das Meer „aksena“, das heißt „dunkel“. Die Griechen machten daraus „Pontos avxinos“ – ungastliches Meer, fanden das Binnengewässer wohl später nicht mehr so schlimm und änderten den Namen in „Pontos evxinos“ – gastliches Meer.

Der duftende Exportschlager Bulgariens ist das Rosenöl. Im 17. Jahrhundert kam die Ölrose aus Indien über Persien, Syrien und die Türkei in die Täler zwischen Balkan und Sredna Gor – das Rosental. 3 kg oder 1.500 Rosenblätter müssen gesammelt werden um 1 g Rosenöl zu erhalten. Rosenöl kostet von EUR 3.500,- bis EUR 4.500 pro Kilo, es wird hauptsächlich nach Großbritannien und Frankreich exportiert und findet in der Kosmetik- und Pharmaindustrie Verwendung.

Die Ölrose blüht nur im Frühjahr. Sie muss morgens zwischen 4 und 9 Uhr geerntet werden. Nur wenn sie noch von Tau benetzt ist, entfaltet sich ihr ganzes Aroma und die Ölausbeute ist am höchsten. Früher wurde die Arbeit vielfach von Schulkindern erledigt. Sie gingen dann nach der Rosenernte zum Unterricht.

Glaubt man Ovid, hat Bulgarien zwei seiner markantesten Gebirge einem anmaßenden Liebespaar zu verdanken. Haemus und Rhodope nannten sich Zeus und Hera. Das Götterpaar war darüber nicht erfreut und verwandelte die beiden in Gebirge: Haemus in den Balkan, der Bulgarien von West nach Ost in zwei fast gleiche Teile teilt, und seine Geliebte in den Gebirgszug der Rhodopen. Dieser liegt in Süden des Landes und gehört zum thrakisch-mazedonischen Bergmassiv.

Die Rhodopen waren auch die Heimat von Orpheus, dem „ersten Musiktherapeuten“. Er soll im 1. Jahrhundert v. Chr. in den Rhodopen geboren worden sein. Sein Gesang und Leierspiel hat Menschen wie Götter gleichermaßen beeindruckt. Als seine Frau Eurydike starb, machte er sich auf den Weg in die Unterwelt um sie zu retten. Mit seiner Musik rührte der den Gott er Unterwelt, Hades, so sehr, dass er Eurydike tatsächlich gehen ließ. Doch Orpheus machte einen Fehler: Er drehte sich nach ihr um – und verlor sie für immer.

Die Legende vom Ropotamo

Einst verliebten sich ein Pirat und Ro, die schöne Tochter eines persischen Kaufmanns, unsterblich ineinander. Vor dem darüber erbosten Vater floh das junge Paar in ein dicht bewaldetes Flussdelta an der felsigen Schwarzmeerküste. Schließlich schenkte der Pirat seiner Geliebten ein goldenes Boot, mit dem sie Ausflüge entlang der Küste und auf dem Fluss unternehmen konnte. Wann immer nun griechische Kauffahrer das Mädchen in ihrem goldenen Boot sahen, wussten sie sich nahe der Flussmündung und nahmen sich vor den dortigen Untiefen in Acht. Zum dank nannten sie den Fluss künftig nach dem Mädchen „Ropotamo“, also „Fluss der Ro“.

***) Informationen aus dem ADAC-Reiseführer „Bulgarische Schwarzmeerküste“, München 2005, ISBN 3-89905-175-0

Wir kamen zur ersten Station unserer Tour: Die malerischen Flussniederungen des Ropotamo, 17 km vor Sosopol. 50 km lang ist der Fluss, der im Strandza-Gebirge entspringt und ins Schwarze Meer mündet. 40 Minuten Bootsfahrt warteten auf uns. Rudern mussten wir nicht – das Boot hatte einen Motor und einen erfahrenen Bootsführer.

Der Motor wühlt das Wasser auf und damit die Fische. Das wussten auch die Kormorane, die unermüdlich hinter uns her schwimmen und tauchten. Leider gelang es uns nicht, einen der Vögel im Flug zu fotografieren, sie waren einfach zu schnell. Bei den Schildkröten klappt es besser – die sind nur weit weg, liegen aber ruhig und gemütlich in der Sonne.

Wie Bulgarien zu seiner schönen Landschaft kam

Reiseleiterin Nellie erzählte uns diese kleine Legende: „Gott gab den Engländern die Macht, den Franzosen die Freude, den Deutschen Die Disziplin. Als aber die Bulgaren abends von der Feldarbeit kamen, arm gekleidet, wie das bei einfachen Bauern nun mal der Fall ist, war nichts mehr für sie übrig. Also gab Gott ihnen alles, was er noch an Landschaften übrig hatte: Berge, fruchtbare Ebenen und Meer. So kam Bulgarien zu seiner schönen Landschaft.

Wir kamen am Löwenkopf-Felsen vorbei, der laut Legende brüllen wird, sobald ein treuer Mann vorbeifährt. Sagte Nellie. Bisher habe er allerdings noch nie gebrüllt … Nellie hatte ohnehin was übrig für kleine Geschichten und Spruchweisheiten. „Die Hoffnung ist die Mutter der Zukunft“ habe ich von ihr gelernt. Und von Reiseleiter Michail das „gegenseitig günstige Geschäft“, die „pflicht-obligatorische Veranstaltung“, die „Krawallerie“ und die „Spontan-Vegetation“. So nannte er das Unkraut. So nenne ich das, was außerplanmäßig in unserem Garten wächst, jetzt auch.

Fotopause machten wir bei Djuni. Das ist ein Feriendorf und liegt 6 km südlich von Sosopol an einem sanften Küstenhang über einer Bucht. Von dort hat man einen Blick auf Kap Maslen, das so genannte „Ölige Kap“. Es heißt so, weil dort viele Schiffe mit Olivenöl an Bord gesunken sind. Dort gibt es Delfine und Seehunde aber keine Haie. Die gibt es allenfalls weiter draußen im Meer.

Wir kamen nach Sosopol, wo wir einen kleinen Stadtrundgang unternehmen und das archäologische Museum besuchen würden. Vor der Stadt sah man schon Archäologen am Stand Ausgrabungen machen. Das gibt es sicher vieles zu finden. Sosopol war bei den alten Griechen die Nekropole Apollonia. Wenn wir unseren Urlaub dort verbracht hätten, wäre vermutlich dauernd bei den Ausgrabungen rumgehangen und hätte die Leute mit neugierigen Fragen genervt. Schon komisch – an Geschichte an sich habe ich kein Interesse, aber an der Ausgrabung alter Artefakte umso mehr. Dabei geht’s aber nur ums Finden und Bergen – restaurieren und katalogisieren können es dann andere.

Selbst in meinen Reiseführern wird zugegeben, dass Sosopol in vielem der Stadt Nessebar ähnelt. In der Tat haben wir im Nachhinein Schwierigkeiten, die Bilder im Kopf auseinander zu halten. Auch Sosopol liegt auf einer Halbinsel und der Stadtkern steht unter Denkmalschutz.

Im 2. Jahrtausend v. Chr. sollen der Legende nach Jason und die Argonauten bei Sosopol gelandet sein. Was dagegen belegt ist, ist, dass es damals schon Handel zwischen den Thrakern und den Phöniziern aus dem Mittelmeerraum gab. Im 7. Jahrhundert v. Chr. kamen nach und nach griechische Kolonisten aus Milet dazu. Sie nannten die Stadt Appolonia Pontica, „Hafen des Apoll“. Über dem Hafen wachte eine 10 Meter hohe Apollostatue, die im Jahrhundert als Siegesbeute nach Rom kam. Im Jahr 330 wurde das Christentum zur römischen Staatsreligion und die Stadt erhielt den Namen Sosopolis, „Stadt der Rettung“. Im 6. Jahrhundert ging die Stadt an Byzanz, wurde 300 Jahre später von Khan Krum erobert. Mitte des 14. Jahrhunderts zerstörten genuesische Kriegsschiffe Sosopol, 1453 kamen die Türken und jetzt sind die Touristen da. So als Halbinsel ist man geschichtstechnisch ganz schön im Stress.

Der Museumsbesuch erfolgte quasi im Schweinsgalopp. Es ist einfach nix, wenn sich diverse Reisegruppen in kleinen Ausstellungsräumen drängen und sich vor den Vitrinen gegenseitig im Bild stehen und auf die Füße treten.

Der Stadtrundgang bot interessante Ein- und Ausblicke. Die Altstadt liegt auf einer länglichen Felsenhalbinsel, und so ein Haus mit unverbaubarem Meerblick, das hätte schon was. An jeder Ecke boten die Hausfrauen und Rentnerinnen Handarbeiten und selbst gekochte Marmelade zum Verkauf an um die Finanzen aufzubessern. Für bestickte oder geklöppelte Tischdecken haben wir in unserem Katzenhaushalt ja keine Verwendung, die liegen immer mit allem, was darauf stand oder lag, abends auf dem Boden. Aber so ein Glas selbst gemachte Feigenmarmelade wäre nicht schlecht gewesen. Irgendwie haben wir nicht schnell genug reagiert. Man hat ja auch immer zu tun, um seine Gruppe nicht aus den Augen zu verlieren.

Auch hier riskierten wir einen Blick in die Läden. Nein, es gibt hier einfach keine T-Shirts für Männer jenseits der Heringsklasse. Alles nur kleine Größen für Spargeltarzan und Co.

Es war recht heiß für einen Stadtrundgang, und so war die Mittagspause im folkloristisch dekorierten Restaurant Viatarna Melnitza, Windmühle, ganz willkommen. Das war keine Touri-Massenabfütterungsstätte, sondern ein Restaurant das auch im ADAC-Reiseführer *** empfohlen wird: „Die Windmühle serviert deftige bulgarische Speisen (…), dazu gibt es manchmal ein kleines Folkloreprogramm.“ Viel essen wollten wir bei der Hitze nicht. Ein Schopska (Salat aus Gurken, Tomaten und Schafskäse) und etwas Kaltes zu trinken war vollkommen ausreichend. Und auch das Klo war sauber und westeuropäischen Zuschnitts. Kein Stehklo.Nach der Mittagspause hatten wir noch ein bisschen Freizeit. Um 14:20 Uhr ging es weiter in Richtung Vogelschutzzentrum PODA.

Vogelschutzzentrum PODA

Das Vogelschutzzentrum PODA liegt südlich von Burgas. Die Bulgarische Gesellschaft zum Schutz der Vögel ist eine unabhängige Naturschutzorganisation. Sie wurde 1988 gegründet mit dem Ziel der Erhaltung der Vögel und ihrer Lebensräume. Sie ist die einzige unabhängige Organisation, die zur Wiedereinbürgerung deiner aus der bulgarischen Fauna verschwundenen Art – dem Mönchsgeier beigetragen hat. Sie ist die einzige Organisation, die ein geschütztes Territorium verwaltet, das Naturschutzgebiet PODA, und die den begehrten Henry-Ford-Preis errungen hat. Sie hat die ersten Naturschutzzentren im Lande errichtet, in Poda und in den Ost-Rhodopen. Sie ist der Partner von Bird-Life International in Bulgarien.

Das Vogelschutzgebiet unmfasst unter anderem offene Wasserflächen, Strand, künstliche Inseln und einen Süßwasserkanal.

Die Fläche beträgt 100,7 ha. Nachgewiesen sind: 161 systematische Einheiten niedere Pflanzen, 231 Arten höhere Pflanzen, 168 Arten Wirbellose, 6 Arten Fische, 15 Arten Lurche und Kriechtiere, 259 Arten Vögel, 18 Arten Säugetiere.

Im Vogelschutzzentrum bekamen wir eine kurze Führung durch die bulgarische Fauna mit Vogelbeobachtung auf der Terrasse. Menschliche Spuren hat man in dem Naturschutzgebiet nicht beseitigt. Das heißt, alte Strommasten blieben stehen. Heute haben Kormorane die Masten als sichere Brutplätze für sich entdeckt.

Danach ging es weiter nach Burgas, wo wir 1 Stunde und 15 Minuten Zeit zum Einkaufsbummel haben würden. So großartig am Einkaufen waren wir eigentlich gar nicht interessiert. Ich hoffte auf eine Buchhandlung oder auf einen Kiosk mit internationaler Presse, wo sie vielleicht eine Ausgabe vom SPIEGEL hätten …

Zunächst einmal gab’s eine Buspanne. Als wir ausstiegen, tropfte aus dem Heck des Busses irgendwelche Flüssigkeit auf die Straße. Ich dachte mir nix dabei, hielt das für Kondenswasser von der Klimaanlage oder so was in der Art. Aber Gerhard ahnte, dass das in dieser Menge nichts Harmloses sein konnte, ging zum Busfahrer und meinte: „Schau mal nach deinem Fahrzeug, da läuft Flüssigkeit aus.“ Der Busfahrer reagierte auch gleich, eilte nach hinten, nahm eine Probe der Flüssigkeit mit der Hand auf und schnupperte daran. Dann zückte er sein Handy … Würden wir wieder nach Hause kommen oder in Burgas stranden?

Zunächst einmal machen wir uns mit den anderen Ausflugsteilnehmern auf den Weg in Richtung Alexandrovska, der Haupteinkaufsstraße. Burgas, stellten wir fest, ist eine Großstadt wie jede andere, nur dass kyrillisch geschrieben wird. McDonalds, die Banken und Spielhallen, die Allerweltsmusik und die Markenklamotten sind jedenfalls da.

Wir spielten ein bisschen mit Fotoaufnahmen von einem großen Springbrunnen herum und fanden dann tatsächlich unterwegs einen Buchladen. Die englische Ausgabe von Harry Potter war plakatiert. Die hatte ich ja einen Tag vor meiner Abreise noch geliefert bekommen und last minute in den Koffer gepackt – richtig, in den, der verschwunden ist … Wir gingen rein in den Laden, und natürlich war der Harry Potter längst ausverkauft. Das zumindest funktionierte noch wie früher. Auch mit der internationalen Presse war nichts los. Aber die Kaufhäuser waren schick.

Als unsere Freizeit sich dem Ende zuneigte, gingen wir wieder in Richtung Bahnhof zurück, wo unser Bus auf uns wartete. Wir holten uns in der Bahnhofskneipe etwas zu trinken und setzten uns im Park auf eine Bank. Da sahen wir unseren Busfahrer in öligen Schrauberklamotten am Bus herumwerkeln, unterstützt von einem Mechaniker im nicht minder öligen Arbeitsanzug. Anscheinend was das doch was Größeres und wir hofften, dass sie es bis zu unserer geplanten Abfahrtszeit schaffen würden.

Es gab nur eine geringe Verspätung, denn sie hatten den Schaden beheben können, während wir in der Stadt unterwegs waren. Der Mechaniker verabschiedete sich, stieg in sein Auto und fuhr weg. Unser Fahrer kletterte mit den schmutzigen Klamotten hinter das Steuer seines Busses. Das passte Nellie, der Reiseleiterin, überhaupt nicht. Sie erhob Einspruch, und der Fahrer zog sein Schraubershirt aus und sein TUI-Fahreruniform-Hemd wieder an und wollte losfahren. Nellie war immer noch nicht zufrieden. Ohne TUI-Krawatte war die Uniform nicht vollständig. Der Fahrer seufzte und fügte sich – und wir fuhren wieder zum Hotel zurück und kamen rechtzeitig zum Abendessen an.

A propos Abendessen: Es ist immer wieder interessant zu sehen, wie die Leute mit dem Büffet-Angebot umgehen. Die Briten essen täglich Pommes Frites, egal, was es sonst gibt. Und manche laden sich von der Vorspeise bis zum Nachtisch alles auf einen Teller, statt für jeden Speisengang einen Gang zum Büffet anzutreten. Gerhard sagt immer: „Den nächsten, der sich alles von A bis Z auf den Teller haut, frag ich, ob ich ihm einen Mixer bringen soll.“ – „Untersteh dich!“

Urlauber-Routine

Am 27. Juli war nach dem Frühstück wieder ein Besuch im Internet angesagt. Nachschauen, was es in Sachen Koffer Neues gibt und mehr oder minder wichtige Korrespondenz mit diversen Redaktionen und Verlagen. Auf dem Weg in den Computerraum sah ich im Kiosk des Hotels Helena Sands eine neue Ausgabe des SPIEGEL! In Burgas hatten sie keinen, aber bei uns im Hotelkomplex. Meinen Jubelschrei muss man durch ganze Lobby gehört haben. Gerhard ging in den Kiosk und ich in den Computerraum.

Wie ich da so sitze, lese und tippe, stürmt auf einmal wie die wilde Jagd eine Mutter in den Computerraum und macht einen kleinen Jungen zur Sau, der an einem der anderen PCs sitzt und spielt. Offenbar hatte er sich klammheimlich abgeseilt und nicht Bescheid gesagt, dass er zum Internetdaddeln geht. Sie hatte sich Sorgen gemacht, ihn schon ertrunken, überfahren oder entführt gesehen und ihn über eine Stunde gesucht. Die beiden verließen streitend und keifend den Computerraum. Gottseidank, jetzt hatten wir wenigstens wieder unsere Ruhe. Draußen hörte ich noch was von „Stubenarrest“. Mahlzeit!

Danach pflegten wir die übliche Routine: Einkaufen, Dschungelcamp, Strand. Wir fanden tatsächlich einen Verkaufsstand, der große Herrenshirts führte. Nach dem Abendessen gingen wir in die hoteleigene Pianobar. Die liegt etwas abseits auf dem Gelände, hat uns aber immer mal interessiert. Lifemusik ist ja was Feines. War allerdings ein Flop auf der ganzen Linie. Ab 21 Uhr hatte die Bar geöffnet. Kurz nach 21:30 Uhr war noch kein Mensch drin. Auch von einem Pianisten war weit und breit nichts zu sehen und zu hören. Es war kalt, und sie gaben uns nur eine kyrillisch geschriebene Getränkekarte. Hallo? Das ist aber ein bisschen schwach für ein international sein wollendes 5-Sterne-Hotel. Wir standen auf und gingen wieder.

Da ist es in der Strandbar ungleich amüsanter. Und die konnten dort einen guten alkoholfreien Cocktail

  • Orangensaft
  • Grapefruitsaft
  • Banane
  • Kiwis
  • Honig

    Das alles jagten sie mal fix durch den Mixer. Haben wir daheim auch schon probiert. Je nach Mischungsverhältnis kommt halt immer etwas leicht anderes dabei raus. Aber trinken kann man’s immer.

    Ich glaub’, mich streift ein Bus! Überraschende Begegnung in Nessebar

    29. Juli: Besuch in Nessebar. Wir hatten uns ja schon bei der Panoramafahrt nach Nessebar vorgenommen, noch einmal auf eigene Faust auf die Halbinsel zurückzukehren. Verzehrbare Reisemitbringsel für die Verwandtschaft kaufen noch ein paar Postkarten fürs Fotoalbum. Weit war es ja nicht, rund 8 km, und wenn man ein Weilchen am Strand entlang ging, kam man an der Anlegestelle der Boote vorbei, die einen Pendeldienst zwischen Sonnenstrand und Nessebar anboten. Die nahe gelegene „Haltestelle“ war nicht zu verfehlen, sie liegt direkt gegenüber dem kitschigsten aller Hotels in der Gegend, Hotel Victoria Palace, das auch ein Casino beherbergt.

    Als bekennendes Landei, das allen Wasseransammlungen, die größer sind als die in einer Badewanne, mit äußerstem Misstrauen begegnet, war ich nicht so überzeugt davon, dass das Bootfahren bei diesen hohen Wellen eine gute Idee war. Sehr vertrauenerweckend sah das Teil nicht aus, und die Skipper hatten eine ganze Weile zu murksen und zu friemeln, bis alles so weit klar war, dass wir ablegen konnten. Ich gebe zu, ich hab mich die ganze Zeit krampfhaft an der Reling festgehalten. Das hätte im Falle eines Unfalles auch nix gebracht, aber es ist ein Reflex. Die ganze halbstündige Fahrt über hatte ich die alptraumhafte Vorstellung, mit dem bisschen Kram, das ich jetzt noch hatte, über Bord zu gehen und dann gar nix mehr zu haben. Nicht nur keinen Koffer mehr, sondern dann auch keine Kamera, kein Geld, keine Papiere … das war alles in meinem Rucksack.

    Es ging gut, aber als wir von Bord gingen sagte ich: „Wir sollten mal schauen, wie man mit dem Bus zurückkommt … „ Wo die Bushaltestelle war, wussten wir noch von der Panoramafahrt, nun mussten wir nur noch die richtige Buslinie erwischen, herausfinden, wie man an eine Fahrkarte kommt – und vor allem, wo der Bus am Sonnenstrand überall anhält. Auf eine stundenlange Wanderung zurück zum Hotel hatten wir nämlich keinen Bock.

    Wir bummelten über die Halbinsel, sahen uns um, kauften Rosenmarmelade und Postkarten, fotografierten und machten einen kleinen Zwischenstopp in einem Fischrestaurant. Da saß man im Freien direkt am Meer und wir konnten die Möwen beobachten, die in hellen Scharen vor dem Restaurant herumdümpelten und darauf warteten, dass etwas für sie abfiel.

    Irgendwann am Nachmittag hatten wir keine Lust mehr und gingen zur Anlegestelle der Boote zurück. Eine Rückfahrt übers Wasser erschien uns weniger umständlich als der Zirkus mit dem Bus. Es standen jede Menge Taxis an der Anlegestelle, und die Fahrer informierten uns schon von weitem: „No Boat!“ Es war also nicht nur meine Angst als Landei gewesen, sondern heute gab es wirklich gefährlich hohe Wellen, und die Boote fuhren nicht mehr.

    Also kehrten wir um und gingen die paar hundert Meter zur Bushaltestelle. So weit konnte ich kyrillisch lesen, dass ich die Reiseziele der Busse identifizieren konnte (obwohl ich jetzt, zwei Monate nach der Reise, schon wieder vieles vergessen habe.). Dieser Bus war’s nicht und der nächste auch nicht. Auf einmal horchte Gerhard auf. „Das Geräusch kenne ich!“ Und siehe da – auf einmal fuhr ein Gelenkbus vor, der einen Aufkleber mit deutscher Aufschrift trug: „Einstieg nur mit Mehrfahrtenkarte“. Genau wie bei uns daheim. Auch der Aufkleber mit der durchgestrichenen Eistüte fehlte nicht.

    Reiseleiter Michail hatte uns ja erzählt, dass die Reise- und Linienbusse, die hier in Bulgarien fahren, gebraucht im Ausland gekauft werden. Neue seien zu teuer. So gesehen war es nicht so überraschend, hier einen deutschen Bus anzutreffen. Wir stiegen ein und sahen vertraute rot-orange karierte Sitze. Ich sagte: „Das ist doch ein Esslinger Bus! Da klebt bestimmt noch irgendwo der Streckenplan der VVS!“ Wir schauen nach oben, an die Stelle kurz überhalb der Busfenster, wo traditionell diese Pläne kleben – und Bingo! Da hängt das Streckennetz vom Stadtverkehr Esslingen, ein Werbeaufkleber für eine Messe auf dem Stuttgarter Killesberg sowie die üblichen Droh-Aufkleber, die einen darüber informieren was passiert, wenn man ohne Fahrkarte angetroffen wird. Der Bus war nicht nur ein Landsmann von uns, wir waren sicher schon daheim mit ihm gefahren.

    Bei uns wurden diese Busse vor ein paar Jahren durch neuere Modelle ersetzt. Die Serpentinen vom Zollberg hätten sie wohl nicht mehr lange geschafft, aber 8 Kilometer auf ebener Strecke zwischen Nessebar und Sonnenstrand hin- und herzufahren, das bringt so ein Bus wohl noch ein paar Jährchen lang fertig.

    Für einen Moment erwog ich, meine VVS-Jahreskarte zu zücken, als der Schaffner kam. Ob er das Logo auf der Karte wiedererkannt hätte? Schließlich klebte es mehrfach kuhgroß auf dem Bus. Aber ich nehme stark an, dass Sonnenstrand bereits außerhalb der Tarifzonen liegt, für die unsere Karten gelten. Also ließen wir den Blödsinn, bezahlten brav unsere paar Stotinki – die Preise waren wie bei uns vor 30 Jahren – und fragten den Schaffner, wo wir denn aussteigen mussten, um ins Hotel RIU Helena Park zu kommen. Er gab uns eine Auskunft, mit der wir zum Glück spontan etwas anfangen konnten: Hinter dem Casino, dem Hotel Victoria Palace, hielt der Bus. Nu ja, das war ja dann nicht mehr weit bis zu unserem Hotel.

    Natürlich wollten wir die Spuren Esslingens in dem bulgarischen Bus auf Bildern festhalten. Das wäre doch was für unsere Tageszeitung! Anfangs war der Bus proppenvoll. Fotografieren konnten wir erst, als wir uns unserem Ziel näherten und die meisten Fahrgäste unterwegs ausgestiegen waren. Die wenigen Fahrgäste, die noch an Bord waren, werden sich gefragt haben, was es in einem ganz gewöhnlichen Linienbus zu fotografieren gibt.

    Leider waren wir in dem Moment zu langsam, den Bus auch von außen vernünftig abzulichten. Wir beschlossen, dies auf jeden Fall noch vor unserer Abreise nachzuholen, was wir in der Tat drei Tage später auch taten. Eine ganze Anzahl Taxifahrer bot uns ihre Dienste an, als wir eine halbe Stunde an der Haltestelle standen und konnten überhaupt nicht begreifen, dass wir lachend und dankend ablehnten. Wir wollten doch nirgends hinfahren, wir wollten nur den Esslinger Bus fotografieren.

    Tatsächlich brachte die Esslinger Zeitung am 6./7. August eine kleine Meldung unter der Rubrik „Aufgeschnappt“. Allerdings ohne Bild.

    Unsere restlichen Ferientage vergingen mit „Urlauber-Routine“. Das reichhaltige Frühstücksbüffet würden wir daheim vermissen. Und ums Abendessen muss man sich zu Hause auch wieder selber kümmern, inklusive Vor- und Nachbereitung in Gestalt von Einkauf und Abwasch. Dafür würde man zu Hause nicht seine noch halbvollen Tassen und Teller vor diensteifrigen Kellnern und Kellnerinnen retten müssen. Die waren nett und schnell und beim Abservieren mitunter ein bisschen übereifrig. („Halt, das bleibt hier! Da ist noch was drin!“)

    Eine interessante Beobachtung machen wir in den letzten paar Tagen beim Abendessen. Wenn man in einem RIU-Hotel anreist, bekommt man am ersten Abend vom Oberkellner einen Tisch angewiesen, an dem man dann jeden Abend sitzt. An einem der Abende saß ein etwas abgerissener junger Mann an einem falschen Tisch. Die Einwände des „rechtmäßigen Tisch-Inhaber“ schien er nicht zu kapieren, und irgendwie regelte sich das. Die Leute fanden anderswo Platz und er blieb sitzen. Wir nannten den einzelnen Gast nur den „Fleischfresser“. Er kam überpünktlich, setzte sich am anderen Tag dann an einen Einzeltisch, an dem die Kellnerinnen sonst ihr Besteck und Geschirr abstellten, lud sich den Teller nur mit Fleisch voll und vertilgte das in einem atemberaubenden Tempo und verschwand wie Gestank. Er redete nichts, nahm keinerlei Beilagen und auch keine Getränke. Für die Getränke hätte er entweder Bargeld oder eine Zimmernummer gebraucht. Ich hatte den Verdacht, er hatte weder noch …

    Jede Wette: Der Fleischfresser war kein Hotelgast. Der tingelte bestimmt durch die Hotels, fand sich pünktlich zur Essenszeit ein und fraß sich da kostenlos durch. Eigentlich raffiniert. Ich überlegte mir, ob ich dem Maitre mal was stecken sollte: „Sie, sagen Sie mal, ist eigentlich der Tisch 44 belegt …?“. Ich wollte im Grunde nur sehen, was passiert, wenn der Fleischfresser tatsächlich als unbefugter Schnorrer enttarnt wird … Gerhard es mir ausgeredet. Ich hab’s dann auch gelassen. Es wird bestimmt täglich so viel gekocht, dass für so eine arme Sau auch noch was übrig ist. Ich will gar nicht wissen, was die Küche tagtäglich alles wegschmeißen muss. Nur, falls das Beispiel Schule macht und es mal so weit kommt, dass die eine Hälfte zahlt und die andere Hälfte schmarotzt, sollte man vielleicht doch einschreiten.

    Abreise

    Das Einpacken ging relativ schnell – wir hatten ja dank des Kofferverlusts kaum Kram. Das bisschen Zeug, das wir für mich gekauft hatten, passte in meinen Rucksack, die Reisemitbringsel (Wein, Feigen- und Rosenmarmelade) in Gerhards Koffer. Er nimmt ja immer so wenig Material mit, dass der Koffer noch halb leer ist. Diesmal hatte er so knapp kalkuliert, dass wir ein paar T-Shirts waschen lassen mussten, um über die Runden zu kommen.

    Wenn ich etwas gelernt habe in diesem Urlaub, dann, dass man nicht immer den halben Hausstand mitnehmen muss, wenn man verreist. Inwieweit ich diese Lektion verinnerlicht habe, werden wir im nächsten Urlaub sehen.

    Waren wir am 19.7. in aller Herrgottsfrühe angereist, flogen wir am 2.8. noch früher zurück. Um 2:20 Uhr – also mitten in der Nacht – wurden wir am Hotel abgeholt und Richtung Flughafen gefahren. Selbst die Mädels an der Rezeption gähnten. Nachts zieht es sich besonders, wenn man ein Hotel nach dem anderen angurkt und dort die Leute abholt. Und warten muss, weil der eine noch aufm Klo sitzt, und der andere nicht rechtzeitig aus den Federn kam – und sogar umkehren mussten wir, weil einem der jungen Buben unterwegs aufgefallen war, dass er sein Handy im Hotelzimmer vergessen hatte.

    Am Flughafen in Burgas waren wir ewig zu früh dran. Wir lungerten müde herum, nirgends war ausgeschrieben, an welchem Gate wir eigentlich zu warten hätten. Wir hatten nur noch genügend Leva für einen einzigen Kaffee, ausländische Währung nahmen sie nicht. Und alle Sitzplätze waren belegt. Nur die kleinen Kinder waren putzmunter, spielten, kreischten, kicherten und johlten. Die haben wohl eine unerschöpfliche Energie.

    Endlich wurden wir aufgerufen und konnten an Bord des Flugzeugs gehen. Um 6:20 Uhr landeten wir in Stuttgart. Um 7:15 Uhr würde die Maschine wieder zurück nach Burgas fliegen, mit neuen Urlaubern an Bord. Und hoffentlich auch mit allen ihren Koffern …

    Nachtrag: Wie der Koffer-Zirkus ausging

    Da wir schon am Flughafen waren, gingen wir zum hiesigen Lost-and-Found-Schalter um die Verlustmeldung des Koffers aufzugeben und die internationale Suchanfrage via Datenbank starten zu lassen, die die Bulgaren aus technischen Gründen nicht machen konnten. Erst zickte das Personal herum, sie seinen dafür nicht zuständig und dürften mir gar nicht helfen, blubber-blubber, blabla, aber wir sind einfach nicht mehr gegangen, also erbarmte sich die eine Dame am Schalter und tippte die Daten ein.

    Auch das war, wie man sich denken kann, für die Katz. Der Koffer ist und bleibt verschwunden. Und wenn es mir nicht so geht wie der Kollegin von Gerhards Schwester, deren Koffer nach drei Jahren wieder auftauchte, ist alles für immer verloren.

    Meine restlichen Urlaubstage verbrachte ich weniger mit Bügelwäsche als in den vergangenen Jahren – ich hatte ja immer das selbe angehabt – als mit Schriftverkehr. Ich erstellte eine 5-seitige ausführliche Liste des Inhalts meines Koffers. Von allem wollten sie eine Beschreibung, das Kaufdatum und den Neupreis. Und irgendwo stand, man mache sich strafbar, wenn der Koffer gefunden würde, und man finde eine Abweichung. Huch! Als ob ich nach 2 bis 3 Wochen noch wüsste, ob ich x oder x+2 Unterhosen eingepackt habe! Oder ob es drei grüne und vier orangefarbene T-Shirts waren oder das Verhältnis umgekehrt war. Na ja, die Diskussion ist eh akademisch, das Trumm ist vermutlich am Flughafen in Burgas geklaut worden, als es anderthalb Stunden unbeaufsichtigt herumstand.

    Ich scannte und tippte, listete auf und kopierte, formulierte und lud Infos und einschlägige Urteile aus dem Internet herunter. Dreimal verschickte ein „Einschreiben mit Rückschein“. Bei TUI hatte ich eine Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreude beantragt. Wenn man das Recht hat, den Urlaub wegen unzumutbarer Bedingungen abzubrechen – und das hat man, wenn am 4. Tag das Gepäck noch nicht da ist – kann man meines Wissens nach mit mindestens 50% Rückerstattung des Reisepreises rechnen. Du hast ja einen Vertrag über Beförderung von Mensch plus Kram. Kommt der Kram mit Verspätung oder gar nicht an, ist der Vertrag nicht erfüllt. Mein Gepäck ist auf Nimmerwiedersehen verschwunden, also rechnete ich mir gute Chancen aus. Nach 4 Wochen kam ein Scheck über EUR 680,-. Das ist etwas mehr als die Hälfte.

    Bei der bulgarischen Fluggesellschaft machte ich Schadensersatz für den Totalverlust des Gepäcks geltend. Auch von dieser Seite kam nach einem Monat eine Reaktion: Eine Überweisung in Höhe von EUR 750,-.
    Wenn ihr jetzt aber glaubt, dass ich damit ein gutes Geschäft gemacht habe, dann muss ich euch enttäuschen. Dadurch, dass ich einen sehr teuren Koffer hatte, der erst viermal im Einsatz war, allerdings mit Baujahr 1999 für die Fluggesellschaft wohl nur noch Schrottwert hatte und dadurch, dass meine verlorenen medizinischen Hilfsmittel einen (Wiederbeschaffungs-)Wert von EUR 550,- hatten, bin ich insgesamt auf einem Schaden von rund EUR 400,- sitzen geblieben. Das mit dem billigen Urlaub, das war wohl nix …

    Schön und interessant war’s trotzdem. Und sollten wir wieder einmal nach Bulgarien fliegen, dann packen wir unsere Koffer halb-halb, so dass in jedem Koffer für „sie“ und für „ihn“ wenigstens eine Minimalausstattung drin ist und keiner vor dem absoluten Nichts steht, wenn sich wieder mal ein Gepäckstück in Luft auflöst.

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