Hans Witteborg: Mach mir bloß k(l)eine Geschichten!

Hans Witteborg: Mach mir bloß k(l)eine Geschichten! – Erzählungen, Kurzgeschichten, Satire, Fabeln, Leipzig 2012, Engelsdorfer Verlag, Dorante Edition, ISBN 978-3-95488-024-9, Softcover, Format: 20,6 x 14,6 x 1,2 cm, EUR 12,00.

Dieses Buch wurde von einem Autor verfasst, den es nach eigenem Bekunden gar nicht geben kann. Er stammt nämlich aus Bielefeld, der Stadt, die laut gängiger Verschwörungstheorien überhaupt nicht existiert. Gut, wie sich das mit Bielefeld verhält, das lassen wir mal dahingestellt. Aber wir, die wir Hans Witteborgs Blog http://witteborghans.blogspot.de/ kennen oder seine Textbeiträge bei http://www.tiergeschichten.de lesen, wissen schon lange, dass der „Hauspoet“ höchst lebendig ist und dass er sich über alle möglichen Bereiche des Lebens kluge und kritische Gedanken macht.

„Mach mir bloß keine Geschichten“, hat seine Mutter ihn immer gewarnt, als er noch ein kleiner Junge war. Als Erwachsener hat der Autor das zu „kleine“ Geschichten umgedeutet und rund 80 davon in diesem Buch veröffentlicht.

Er beginnt mit Erinnerungen an seine Kindheit in der Nachkriegszeit. Und es zeigt sich wieder einmal, dass das Geschichtenerzählen oft in der Familie liegt. Schon Hans Witteborgs Großvater, der sich krankheitsbedingt nicht mehr aktiver um seine Familie kümmern konnte, hat häufig die Enkel um sich geschart, seine Pfeife gestopft und dem gebannt lauschenden Nachwuchs Geschichten aus der Tierwelt erzählt. So etwas prägt einen jungen Menschen. Nicht immer freilich war eine Kindheit in jenen Tagen so idyllisch, und so kann man gut nachvollziehen, dass der Autor meint, heute jammere man hierzulande auf sehr hohem Niveau.

Den Kindheitserinnerungen folgen philosophische Betrachtungen. Wie soll man bitte den Satz „es oriente lux“ interpretieren – außer naturwissenschaftlich? Und was geht wohl in den Köpfen von Zootieren vor? Sicher wären sie lieber in frei und in ihrer natürlichen Umgebung. Ob ihnen das bewusst ist? Ob sie darüber nachdenken? Und wo ist die Moral bei der Geschichte von der Jägerprüfung? Sicher nicht bei denen, die da mauscheln. Davon mal abgesehen: Was hat sich nur der Jagdfreund dabei gedacht, dem Jäger Hans bei seiner ersten Treibjagd den Erfolg abzusprechen? Die Antwort überrascht …

Hans Witteborg macht sich Gedanken über Krankheit und Gesundheit, über das Sterben und das Leben nach dem Tod. Mit religiösen Vorstellungen kann er nichts anfangen. Welcher der vielen Religionen auf der Welt, von denen jede Anspruch auf die absolute Wahrheit erhebt, soll man denn vertrauen? Dass es einen Gott gibt, will er nicht gänzlich in Abrede stellen, nur mit dessen Bodenpersonal hat er nichts am Hut.

Als Autor beschäftigt er sich natürlich auch mit dem Thema „Sprache“: mit der Unsitte des „Denglisch“, mit Fremdwörtern ganz allgemein und mit der aktuellen Jugendsprache. Sein Versuch, Shakespeares „Grabrede Marc Antons“ so ins Deutsche zu übertragen, dass auch die „ey-Alder“-Fraktion sie versteht, ist der Brüller!

Überhaupt: der Zeitgeist! Da gibt es vieles, über das man nachdenken und spotten kann. Da wäre der oft problematische Umgang mit den modernen Medien … importierte und kommerzialisierte Feiertage … der Literaturbetrieb mit seinen juristischen Fallstricken, Wirtschaft, Globalisierung, Politik und Politikverdrossenheit sowie der Sinn oder Unsinn von Chinesisch-Unterricht.

Auch der schnöde Alltag gibt einiges an Themen her. Wer als Rentner von der Gattin zu diversen Besorgungen geschickt wird, dem eröffnen sich ganz neue Welten. Der tapfere Mann arbeitet sich durch den Supermarkt und kämpft einen aussichtslosen Kampf gegen Herbstblätter, blamiert sich in der Autowaschanlage und nervt einen Gast im Café durch seine Neugier. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht denkt er über Preiserhöhungen, Manager und Benzinpreise nach und rechnet den Leser schwindelig.

Dass man menschliches (Fehl-)Verhalten am besten anhand einer Tierfabel thematisiert, wusste schon Hans Witteborgs Großvater. Der hätte bestimmt seine Freude gehabt an den Geschichten, die heute sein Enkel schreibt: über Ziegen und Schildkröten, Hahn und Hund, Dachs und Fuchs. Oder anders gesagt: über Kriechen und Meckern im Karriereverlauf, über Naivität und Vertrauensseligkeit, Selbstüberschätzung und Schlamperei. Und das sind nur ein paar ausgewählte Beispiele. Im Buch hat’s noch einige mehr.

In der abwechslungsreichen Mischung der 80 interessanten und amüsanten Textbeiträge findet jeder seine Favoriten. Vieles wird man mit bestätigendem Nicken quittieren, über anderes hat man so noch gar nie nachgedacht. Über die Formulierung „guter Freund“, zum Beispiel. Oder darüber, was man dem Autor antwortet, wenn er fragt, warum man eine Texte liest. Mit der Auskunft, dass seine Gedankengänge immer wieder überraschen und deswegen gefallen, wird er wohl kaum zufrieden sein. Oder?

Bekommt ein Korrektor oder Deutschlehrer dieses Buch in die Hand, wird er neben einer Vielzahl anregender Geschichten auch den einen oder anderen Druckfehler finden. Dienstleister und Print-on-Demand-Verlage sind da nicht so perfektionistisch, worüber der Durchschnittsleser meist großzügig hinwegsieht. Null Fehler schaffen weder die Tageszeitungen noch die großen Publikumsverlage, also wollen wir bei einem Hobby-Buchprojekt diesbezüglich nicht überkritisch sein. Dem Inhalt tut das keinen Abbruch. Inspirierend sind die Geschichten allemal. Ich würde jetzt zu gerne ein Shakespeare-Stück in Jugendsprache auf der Bühne sehen. Vielleicht wird so aus der Sprachverhunzung, die der Autor in seinem Beitrag „Mir träumte …“ (Seite 73) anprangert, doch noch Kunst.

Der Autor
Hans Witteborg, Diplom-Betriebswirt im Ruhestand, wurde 1940 in Bielefeld geboren und schreibt seit 2006 Gedichte und Kurzgeschichten. Seit 1989 lebt er mit seiner Frau im Kreis Soest.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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