Meine Tante Miriam

Das Glück ist mit den Schusseligen

In ihren beruflich aktiven Zeiten war meine Tante Miriam eine erfolgreiche, geachtete und manchmal sogar gefürchtete Geschäftsfrau. Sie bekleidete diverse Ehrenämter und füllte diese zur allseitigen Zufriedenheit aus. Ich habe nie begriffen, wie jemandem, der sein Geschäftsleben so gut im Griff hat, zu Hause so viele merkwürdige Pannen passieren können.

Meine Kollegen haben meine Tante Miriam lange Zeit für eine Legende gehalten … für eine Figur wie den Nikolaus oder den Osterhasen. Nur dass sie keine Geschenke bringt, sondern Trost für alle Schusseligen und Zerstreuten dieser Welt. Egal, was einer verbockt hatte, ich wusste zu berichten, meiner Tante Miriam sei noch viel Schlimmeres passiert. Aber ich kann ich Ihnen versichern: Es gibt sie wirklich. So jemanden denkt sich doch kein Mensch aus! Vielleicht hatte sie ja immer den Kopf so voll mit Firmen- und Familienangelegenheiten, dass sie nie ganz bei der Sache war. Vielleicht passieren aber auch anderen Leuten so komische Sachen, nur Miriam schämt sich nicht dafür, sondern erzählt es sogleich kichernd ihren Freunden und Verwandten.

Die Sache mit dem Kuchen, zum Beispiel. Am Sonntagabend, kurz vorm ’žTatort’œ, hatte sie noch die spontane Idee, einen Gugelhupf für die Vereinssitzung am kommenden Tag zu backen. Die Zutaten waren schnell zusammengerührt und die Backform in den Herd geschoben. Dann war’™s aber auch schon Zeit für den Fernsehkrimi. Miriam setzte sich zunächst nur auf die Armlehne des Sessels, um nur ja nicht zu vergessen, dass in der Küche noch der Kuchen auf sie wartete. Auf die Idee, die sich einen Wecker zu stellen, kam sie nicht. Der Krimi war viel versprechend, und nach einer Weile machte sie es sich doch bequem. Allzu groß kann die Spannung aber nicht gewesen sein, sonst wäre sie nicht eingeschlafen ’“ und Stunden später von Qualm und Gestank geweckt worden. Himmel, nee, der Kuchen! Aber da war natürlich schon alles zu spät. Der Gugelhupf war nur noch ein Brocken Kohle, die Gugelhupfform im Eimer und die Wohnung total verqualmt. Nach Abschluss der wichtigsten Notfallmaßnahmen sah Miriam ihren verkohlten Kuchen an, schüttelte den Kopf und meinte: ’žNee, also mit dir kann ich mich morgen nicht sehen lassen!’œ

So etwas kann natürlich mal passieren. Aber unsere Familiengeschichten sind voll von Miriams verkohlten Kuchen und Braten. Ihre legendäre Schusseligkeit in der Küche hat sogar mal ein Todesopfer gefordert: Den Kanarienvogel ’žCaruso’œ. Sie hatte eine Teflonpfanne auf dem Herd stehen lassen und vergessen, die Platte abzudrehen. Als sie nach Stunden von einem Geschäftstermin wiederkam, hatten sich durch die Hitze Dämpfe gebildet, die den armen Caruso in seinem Käfig vergiftet hatten. Pfanne kaputt, Herdplatte kaputt, Vogel tot. Da ist Miriam das Lachen vergangen. Als sie ihrem Sohn am Telefon von dem Malheur berichtete, rief er entsetzt aus: ’žAber Mutti, da hätte ja das ganze Haus abbrennen können!’œ Und er erwog ernsthaft, sich wieder zurück nach Deutschland versetzen zu lassen, um daheim etwas mehr nach dem Rechten sehen zu können. Miriam war in jungen Jahren schon verwitwet, und seit ihr einziger Sohn im Ausland lebte, bewohnte sie das große Haus allein.

Es ist zum Glück nie ernsthaft was passiert. Die Schusseligen müssen wohl einen speziellen Schutzengel haben. So sorglos wie sie in der Küche hantiert, ist Miriam nämlich bis zum heutigen Tage auch mit Medikamenten. Sie hat garantiert noch nie in ihrem Leben einen Beipackzettel gelesen, weil sie der festen Überzeugung ist, dass sie sich alles merken kann, was Arzt und Apotheker ihr erzählen. Oftmals geht das allerdings schief. Manchmal nimmt sie nur einen Bruchteil der vorgeschriebenen Dosis und wundert sich, warum die Medizin nicht hilft. Sie nahm auch schon versehentlich die mehrfache Dosis eines Präparats und landete im Krankenhaus. Unvergessen auch die Story, als sie bei uns zu Besuch war und sich eine Kopfschmerztablette aus unserem Medikamentenschrank nehmen wollte. Irgendwas hat sie wohl verwechselt – jedenfalls erwischte sie die das Diabetes-Medikament meines Vaters. Wenn meine Mutter die Anzeichen von Unterzucker nicht so gut gekannt und Miriam flugs Traubensaft eingeflößt hätte, als sie Symptome zeigte, hätte auch das ganz übel ausgehen können. Miriams Antwort, wie in allen Katastrophenfällen, lautete: ’žOh, ich weiß auch nicht, wie das geschehen ist!’œ

Harmlos war da vergleichsweise die Panne mit dem Haarfärbemittel. Meine Tante Miriam hatte gerade eine Mischung aus Farbpaste und Entwickler angerührt, als das Telefon klingelte und eine Freundin ihr eine lange und interessante Geschichte erzählte. Als das Gespräch beendet war, sah Miriam auf die Uhr ’“ nun lohnte es sich auch nicht mehr, mit dem Haarfärben anzufangen. Sie hatte noch einen Termin und beschloss, die Färbeaktion auf den Abend zu verschieben. Nun steht zwar kuhgroß auf jeder Haarfärbepackung, dass man fertige Mischungen nicht aufbewahren soll, aber Gebrauchsanweisungen liest Miriam ja genau so wenig wie Beipackzettel. Seit jenem denkwürdigen Tag weiß sie aber aus eigener Erfahrung, was passiert, wenn man gegen diese Anweisung verstößt: Die Mischung reagiert chemisch miteinander und erwärmt sich, das Plastikfläschchen zerreißt, und das ganze Bad ist von oben bis unten mit Haarfärbemittel voll gespritzt. So kam sie zu einer außerplanmäßigen Komplettrenovierung ihres Badezimmers.

Die einzige Story, die ihr wirklich ein bisschen peinlich ist, ist die mit dem verlegten Geld. Ihre Finanzen hat sie, wie gesagt, stets tipptopp in Ordnung. In Buchführung macht ihr so schnell keiner was vor. Aber Bargeld ist eben auch nur ’žMaterie’œ, und Materie hat’™s bei Miriam nun mal nicht leicht. Aus irgendeinem Grund hatte sie einen größeren Bargeldbetrag zu Hause, den sie demnächst mit zur Bank nehmen wollte. Erst steckte das Geld im Geldbeutel, aber so viel wollte sie nicht mit sich herumtragen. Also legte sie es in einem Umschlag in ihren Schreibtisch. Aber wenn nun eingebrochen würde? Im Büro würde man doch als allererstes nach Bargeld suchen! Sie beschloss also, für die Scheine ein sicheres Versteck zu finden.

Sie ahnen es sicher schon, liebe Leser: Das Versteck, das sie gewählt hatte, war schließlich so genial, dass sie das Geld selbst nicht mehr fand. Über eine Woche lang hat sie nach den Scheinen gesucht, die ganze Verwandtschaft mit dem verschwundenen Betrag rebellisch gemacht und zwischendurch schon erwogen, zur Polizei zu gehen. Das unauffindbare Geld konnte ja tatsächlich gestohlen worden sein. Schließlich fand sie es doch wieder… sie hatte die Scheine aus dem Kuvert genommen und im Küchenschrank in einem großen Kaffeebecher zusammengerollt. Daneben lag immer ihr Geldbeutel. Das sei praktisch, hatte sie sich beim Verstecken gedacht. Da könnte sie das Geld aus der Tasse nehmen, es in den Geldbeutel umpacken und damit schnell zur Bank huschen. Was sie dann auch umgehend tat.

Es gäbe noch vieles zu erzählen. Wie sie sich in England und den USA durchwurstelte, ohne Englisch zu können. Was sie in Ungarn und Italien erlebte, denn Reisen gehört zu ihren Lieblingsbeschäftigungen. Was sie eines Tages Erschreckendes in ihrem Garten fand und wie sie zu einem späten Glück mit ihrem zweiten Ehemann kam. Über meine Tante Miriam könnte man Bücher schreiben! Den Besuch bei der Wahrsagerin sollte man vielleicht noch erwähnen. Da war sie gerade mal 18, und die Dame prophezeite ihr, sie werde mit 48 Jahren sterben. ’žIch denke ja gar nicht daran!’œ, hatte Miriam energisch erwidert und war aus dem Jahrmarktszelt gestürmt. Sie war eben damals schon resolut und eigenwillig. Und in der Tat, die Prophezeiung blieb unerfüllt ’“ in diesem Jahr wird Tante Miriam 80. Ich wünsche ihr noch ein langes, gesundes und ereignisreiches Leben. Und mögen alle ihre Pannen harmlos sein!

Erschienen bei http://www.feierabend.com

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