Multiple Internetpersönlichkeit

„Ja, wie jetzt?“ Mein Geschäftspartner kannte sich nicht mehr aus. Innerhalb kürzester Zeit hatte er Post von vier meiner E-Mail-Adressen bekommen. Und wann immer er mir eine Nachricht schickte – meine Antwort kam von einem ganz anderen Account. Nach einer Woche chaotischen Kommunizierens wusste er wirklich nicht mehr, an welche Adresse er nun die Korrekturen seines Textes schicke sollte.

„Übst du fürs Guinness-Buch der Rekorde … wer die meisten E-Mail-Adressen hat?“, spottete er.
Nein. Natürlich nicht. Ich fürchte, die Diagnose muss ganz anders lauten: Nicht „Jäger und Sammler“, sondern „Multiple Internet-Persönlichkeit“.

Ich habe eine Geschäftsadresse in der Firma. Und eine andere als Privatperson zu Hause. Wobei ich von der Firma aus auf die Privatadresse zugreifen kann, umgekehrt aber nicht. Doch das ist nicht weiter schlimm: Schickt man eine Nachricht an „giora“, meine freemail-Adresse, so leitet diese sie an den privaten und den geschäftlichen Account weiter. Das ist praktisch, denn diese Nachricht erreicht mich dann auf jeden Fall sofort, egal, ob ich nun im Büro sitze oder zu Hause.

Nun bin ich aber nicht nur Geschäftsfrau und Privatmensch, sondern auch ein eifriger Forumsbesucher mit zahlreichen Interessensgebieten und vielen verschiedenen Nicks. Und fast jeder Nick hat eine eigene E-Mail-Adresse.

Meine beiden freundlichen und hilfsbereiten „Beraterpersönlichkeiten“, „Ari“ und „Rose Royce“, teilen sich eine Adresse. Bis jetzt ist es dadurch noch nie zu Konflikten gekommen. Mir ist jedenfalls bislang noch nicht zu Ohren gekommen, dass sie sich deswegen gestritten hätten.

Die burschikose und bissige „Vandam“ rezensiert im Internet Bücher, lästert über das und die Verlagswesen und schreibt Geschichten. Sie muss für Rückfragen erreichbar sein und leistet sich daher den Luxus einer eigenen Anschrift.

Der neugierige „Profi“ ist geschlechtsneutral, nicht besonders auskunftsfreudig über seine Person und widmet sich vor allem dem Branchenklatsch.

Die ernsthafte „Queen“ analysiert Seifenopern und fällt dabei schon mal heftig in den Klugschei**modus. Sie kritisiert Drehbücher, Storylines und Schauspieler und ergeht sich mit Gleichgesinnten in wüsten Spekulationen darüber, wie diese oder jene Handlungsstränge innerhalb einer Serie fortgeführt werden könnten. Oder auf gar keinen Fall fortgeführt werden sollten. Sie braucht als einzige keine eigene E-Mail-Anschrift. Sie benutzt meine private Adresse mit, denn innerhalb kürzester Zeit hat es sich bis zu den Pressestellen der TV-Sender hin herumgesprochen, wer sich hinter diesem Nickname verbirgt.

Es gibt noch ein, zwei andere eher farblose Internet-Persönlichkeiten, die selten nur zum Zuge kommen und immer dann Einsatz finden, wenn’s WIRKLICH anonym zugehen soll. Manchmal stehen sie einander bei. Hat Rose sich in einem Forum in die Nesseln gesetzt, was leider gelegentlich geschieht, kommt einer der Farblosen … neuer Nick, neue Adresse … und stimmt ihr zu. Es gibt so einem Nick einfach ein gutes Gefühl, wenn er mit seinem dummen Geschwätz nicht ganz alleine im world wide web herumsteht.

Mit meinen zehn Internet-Persönlichkeiten bin ich, glaube ich, noch gut dran. Ich kenne zumindest schlimmere Fälle. Zum Beispiel Multinick-Dick mit sage und schreibe 13 verschiedenen Identitäten. Einmal kam’s zu einer unheilvollen Begegnung, als die komplette wilde 13 sich zufällig in einem einzigen Forum traf und sich die halbe Nacht miteinander unterhielt. Ein multiples Selbstgespräch, sozusagen. Das Forum ist seither geschlossen. Zu schockiert waren die Betreiber der Seite über Stil und Inhalt dieser nächtlichen Diskussion. Und das hat bleibende Spuren hinterlassen. Sie sehen sich seit jener denkwürdigen Nacht außerstande, noch einmal ein Forum zu betreuen. Und von dem armen Dicki hat man seither auch nichts mehr gehört. Wir hoffen natürlich, es geht ihm besser, und er kann bald wieder entlassen werden. Das ist ja nun auch schon über ein Jahr her …

Naja, solange alle meine Girls in ihren angestammten Foren bleiben, „Vandam“ sich nicht in die Filmwelt einmischt … die Leute dort sind da so empfindlich … und der naseweise „Profi“ sich aus den Beratungsgesprächen raushält, kann nicht viel passieren. Und dass sie nicht hinterrücks miteinander konferieren und Unfug aushecken, dafür sorge ich schon. Schließlich kontrolliere ich alle ihre Mailboxen!

Wenn Sie noch Fragen haben, lieber Leser, senden Sie einfach ein E-Mail an die Adresse Ihrer Wahl …

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