Das Geld muss auf die Bank

Es gibt Szenen, die man nie vergisst und die einen fürs Leben prägen. In einer meiner persönlichen Schüsselszenen spielen eine D-Mark und ein Zehnpfennigstück eine tragende Rolle.

Es war irgendwann Mitte der 60-er Jahre. Ich kann nicht älter als 5 oder 6 gewesen sein. Obwohl in meinem kleinen Plastiksparschweinchen kein Groschen mehr Platz hatte, weigerte ich mich beharrlich, den Inhalt auf die Bank zu bringen. Ich wollte mir meine Spargroschen nicht wegnehmen lassen und verstand nicht, warum sie bei der Bank besser aufgehoben sein sollten als in meinem Kinderzimmer.

Foto: © hofschlaeger (S. Hofschlaeger)/ http://www.pixelio.de

Jetzt hätte mein Vater natürlich sagen können, die Bank sperrt das Geld in den Tresor, damit es dort sicher ist und es keiner klauen kann. Aber er war Kaufmann, und in Finanzdingen musste es bei ihm immer schon korrekt zugehen. Da waren solche Vereinfachungen einfach nicht drin. Er zückte also seinen Geldbeutel, nahm ein Markstück und ein Zehnpfennigstück heraus, und erklärte mir kleinem Murkel, was es mit dem lieben Geld so auf sich hat.

„Schau“, sagte er, „es ist wichtig, dass du das Geld auf die Bank bringst. Damit hilfst du anderen Leuten, und außerdem wird dein Geld dabei mehr.“ Ich lauschte andächtig und fragte mich im Stillen, wie das wohl vor sich gehen sollte.

„Jetzt stell dir vor“, sagte mein Vater, „eine deiner Freundinnen … die Elke oder die Bärbel … braucht plötzlich mehr Geld, als sie hat, weil sie irgend was ganz Teueres kaufen muss. Dann kann sie zur Bank gehen und sich dort Geld leihen. Der Mensch von der Bank borgt ihr dann ein bisschen was von dem, was du dort eingezahlt hast.“ Und er schob das Markstück über den Tisch.
Ich war empört: „Mein Geld verborgt der?“
„Ja. Und das ist was Feines! Das hilft ja deiner Freundin. Und wenn sie wieder Geld hat, zahlt sie es der Bank zurück – mit Leihgebühren. Das ist so was wie Miete. Und das bekommst dann du“ Und er legte das Zehnpfennigstück zu der Mark und schob mir beides hin. „So wird dein Geld mehr. Aber nur, wenn du’s zur Bank bringst. Im Kinderzimmer wird’s höchsten staubig.“

Das hat mich offenbar überzeugt, denn ich erinnere mich, wie wir gemeinsam die Groschen aus dem Schlitz des Plastiksparschweins puhlten, in ein Schulmäppchen umfüllten und alles zur örtlichen Bankfiliale trugen.

Ich hab dieses Gespräch nie vergessen. Und vielleicht ist das mit ein Grund dafür, dass ich ein Interesse an dieser Thematik entwickelt habe. Heute schreibe ich unter anderem Texte zum Thema Finanzdienstleistungen, die in mehrere Sprachen übersetzt werden und in einigen europäischen Ländern Verbreitung finden.

Bis zum heutigen Tag kann ich mir oft ein Grinsen nicht verkneifen, wenn das Wort „Zinsen“ fällt – eben weil ich an diese erste Lektion in Sachen Finanzen denken muss. Eine Lektion, die sich in vielerlei Hinsicht ausgezahlt hat.

Erschienen in der Esslinger Zeitung

Autor: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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