Die Lavakatze

An unserem Brotkasten prangt ein Vorhängeschloss. Die Blumentöpfe sind samt und sonders in Fliegengitter eingenäht und mit Doppelklebeband auf den Fensterbänken befestigt. Denn nur so bleiben Erde und Pflanzen auch wirklich im Topf. Unser Telefon hat eine Banderole aus Hosengummi, damit der Hörer auch sicher auf der Gabel liegt und nicht plötzlich unter dem Schreibtisch. Ein Angebot für einen neuen Flurteppich ist bereits eingeholt – und ein Schutzkäfig für das Faxgerät in Auftrag gegeben.

Nein. Wir haben keine kleinen Kinder. Und wir leben auch nicht in einem Erdbebengebiet. Wir haben lediglich einen etwas stürmischen Hausgenossen: Blacky, einen jungen Kater mit überschäumendem Temperament.

Als wir Blacky kennen lernten, war er vielleicht vier Wochen alt und kaum größer als eine Zigarettenschachtel. Mehr schlecht als recht lebte er mit seiner Mama und seinen Geschwistern unter einer Hibiskushecke in einem Hotel auf Lanzarote.

Die ganze Katzenfamilie war erschreckend mager. Die drei Kleinen hatten vom Katzenschnupfen ganz verklebte Augen und Nasen und waren obendrein noch voller Flöhe.

Nun hat man meinem Lebensgefährten und mir sicher schon hundertmal erklärt, dass man die Tiere im Süden nicht füttern und pflegen soll, weil sie sich sonst uferlos vermehren und im Winter, wenn keine fütternden Touristen mehr da sind, die Nahrung nicht für alle reicht. Größeres Wir können uns diesen Argumenten natürlich nicht verschließen und werden immer brav dazu nicken. Doch setzt man uns so arme Kreaturen wie Blackys Familie vor die Nase, ist die Vernunft dahin, und wir handeln nach Gefühl.

Und nicht nur wir! Reihum kauften die Urlaubsgäste im Supermarkt Katzenfutter. Jemand brachte eine Augensalbe, und da mein Lebensgefährte und ich beim Katzenverarzten ein eingespieltes Team sind, waren wir ruckzuck die ersten „Katzendoktoren“ am Platz. Dreimal täglich füttern, Augen und Nasen auswaschen und salben wurde schnell zur Routine.

Es war erstaunlich, wie geduldig die Tierchen diese Behandlung über sich ergehen ließen. Sie schienen zu spüren, daß man es gut mit ihnen meinte. Sobald eines zu maunzen begann, kam die Katzenmutter und sah nach dem rechten. Aber sie ließ uns gewähren. Man hatte fast den Eindruck, sie denke: „Ist schon in Ordnung. Die zwei wissen, was sie tun.“

Gewehrt hat sich eigentlich nur eines der drei Kätzchen: der kleine schwarze Kater, den wir vom ersten Tag an „Blacky“ nannten. Er war auch sonst der frechste: sobald er auch nur ein bisschen aus den Augen sah, verließ er seine schützende Hibiskushecke und machte sich auf, um nach den Gästen zu sehen. Ob er mitten auf dem Weg zum Pool saß und ständig in Gefahr war, übersehen und getreten zu werden, oder ob er den Gästen beim Frühstück um die Beine wuselte und nur knapp dem Zorn des Oberkellners entging – Blacky war das egal. Hauptsache, es war ordentlich was los.

Die größten Rabauken sind ja oft auch die größten Schmuser. Und so kam der Kleine stets zutraulich gelaufen, sobald er uns erkannte – und rollte sich auch schon mal neben mir auf dem Liegestuhl zu einer gemütlichen Schnurrkugel zusammen.

In unserer letzten Urlaubswoche ging plötzlich das Gerücht um, alle Hotelkatzen sollten eingeschläfert werden. (Es gab bestimmt zwei Dutzend davon.) „Alle zwei bis drei Monate legen wir Gift aus, damit der Bestand an wilden Katzen und Hunden zurückgehtì, erklärte uns der Hoteldirektor. „Die Tiere kastrieren zu lassen, das ist zu aufwendig und zu teuer.“

„Wenn das so ist“, sagte meine Mitstreiterin Regina energisch, „dann nehme ich das kleinste der jungen Kätzchen aus dem Wurf mit nach Deutschland. Dann rette ich wenigstens eins!

Ich kämpfte noch mit mir. Doch Vernunft hin oder her – es war mir einfach unmöglich, den anhänglichen kleinen Blacky seinem sicheren Tod zu überlassen. Also schnappten Regina und ich uns am nächsten Morgen unsere beiden Kätzchen, stopften sie in eine Badetasche und brachten sie für die Zeit bis zu unserer Abreise in der örtlichen Tierklinik unter.

Die nächsten Tage waren voller hektischer Betriebsamkeit: Wir telefonierten und liefen uns die Hacken ab, um auch ja alle erforderlichen Unterlagen für die Ausreise der beiden Kätzchen zusammenzubekommen. Schließlich kauften wir noch einen Transportkäfig, und am Sonntag holten wir unseren Blacky und sein Schwesterchen „Conchita“ aus der Klinik. Mit äußerst eindrucksvollen Papieren versehen ging´s dann nach Deutschland.

Unsere beiden Katzen zu Hause waren von dem Reisemitbringsel zunächst nicht übermäßig begeistert. Als wir Blacky von seiner Floh-Quarantäne im Kartoffelkeller rauf in die Wohnung brachten, fauchten und knurrten sie, was das Zeug hielt.

Vor allem Rocky, unser großer Kater, führte sich entsetzlich auf. Wir befürchteten ernsthaft, er könnte dem Kleinen etwas antun.

Doch nach ein paar Tagen wendete sich das Blatt: Rocky wurde ein liebevoller Ersatzpapi für Blacky. Er putzte den Kleinen hingebungsvoll von vorne bis hinten – ob dem das nun paßte oder nicht. Und Blacky brauchte nur zu maunzen, schon kam Rocky nachsehen, was ihm denn fehlte.

Auch heute noch sieht man die beiden Kater fast immer zu zweit. Sie dösen in trauter Eintracht auf dem Kratzbaum, sitzen nebeneinander auf der Fensterbank und schauen den Nachbarn beim Arbeiten zu, sie spielen miteinander, putzen sich gegenseitig den Kopf und raufen auch ab und zu mal kräftig.

Aus dem kleinen schwarzen Kümmerling ist ein kräftiger und überaus gesprächiger Kater geworden. Mit glänzendem Langhaarfell, einem asiatisch spitzen Gesicht, einer Stimme wie eine Polizeisirene und einem Schwanz so buschig wie ein Handfeger.

Wir werden oft gefragt, was Blacky denn für eine Rasse sei. Bislang haben wir noch keine gefunden, zu der er passen würde. Ein bisschen sieht er ja wie eine Java-Katze aus. Und weil er von der Vulkan-Insel Lanzarote stammt, haben wir ihn jetzt kurzerhand zur Lava-Katze ernannt. Das passt zu seinem explosiven Temperament.

Manchmal ist er ja schon anstrengend, unser stürmischer Lavakater. Er frisst nun mal jedes Brot an, das er erwischen kann. Er kratzt mit Vorliebe auf dem Teppich im Flur. Er gräbt unsere Topfpflanzen aus. Und er turnt für sein Leben gern auf dem Telefon und dem Faxgerät herum. Aber auch wenn bei uns die Bücher mit Gummibändern gebündelt im Regal stehen müssen, damit man sie leichter einräumen kann, wenn Blacky sie wieder mal runterwirft – wir bereuen es keine Sekunde, dass wir das kleine Temperamentsbündel gerettet und bei uns aufgenommen haben.

PS: Der dritte Bruder aus dem Wurf blieb noch bei der Mutter auf Lanzarote. Für ihn interessierte sich ein italienisches Paar – unsere Nachfolger als „Katzendoktoren“ und womöglich noch tiernärrischer als wir. Wenn alles so geklappt hat, wie wir uns das denken, dann lebt der schwarzweiße „Piccolino“ nun glücklich und zufrieden in Italien.

Zur Erinnerung an unseren Kater Blacky, der leider an Krebs erkrankte und am 1. Juni 2007 im Alter von 13 Jahren verstarb.

Autor: Edith Nebel
Fotos: Edith Nebel, Gerhard Löw
EdithNebel@aol.com
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