Dusty nimmt sich einen Lehrling

Ob verschnupfter Katzen-Kümmerling oder verwöhnte Wohlstandsmieze, ob Findel- oder Pflegekater, Rasse- oder Gasse-Katze … es gibt kaum etwas, was unser Haushalt noch nicht beherbergt hat. Mittlerweile, kann ich sagen, ist uns nichts Kätzisches mehr fremd. Das war natürlich nicht immer so.

Als ich meine erste Katze geschenkt bekam, hatte ich absolut keine Ahnung von Katzenhaltung. Das Tierchen hatte ich damals nur aufgenommen, damit es nicht ins Tierheim muß (oder was einem „überflüssigen“ Katzenkind sonst alles so widerfahren kann).

Auf einmal war ich also Katzenhalter. Ausgestattet mit dem Nötigsten (Futter, Haarbürste und Katzenklo) und versehen mit wohlmeinenden Ratschlägen von katzenerfahrenen Kollegen saßen wir nun da, meine Dusty und ich. Und wir schauten einander ein bißchen ratlos an. „Na ja“, sagte ich, ein wenig skeptisch, „irgendwie werden wir zwei das schon hinkriegen.“ In diesem Moment muß sie beschlossen haben, meine Ausbildung zum Katzenmenschen in die Hand zu nehmen. Und sie fing unverzüglich damit an.

Lektion 1: „Platz braucht die Katz!“
So klein meine Dusty damals noch war: Mit einem beherzten Satz sprang sie auf die Fensterbänke, quetschte sich zwischen den Blumentöpfen durch und schuf sich Platz für einen Ausguck. War nicht genug Raum für Pflanzen und Katze, fackelte meine kleine Mitbewohnerin nicht lange: Ein Schubs, und das lästige Grünzeug landete auf dem Teppich. Ich fluchte und räumte den Dreck weg. Die überzähligen Pflanzen wurden neu eingetopft – und dann verschenkt.

Lektion 2: „Was ins Maul paßt, wird gefressen!“
Daß man Wurst und Käse nicht mehr unbeaufsichtigt herumliegen lassen kann, wenn man eine Katze hat, das war mir klar. Aber daß das zum Beispiel auch für Zwetschgenkuchen gilt, hätte ich mir nicht träumen lassen. Das habe ich dann auch erst bemerkt, als am Morgen die Frischhaltefolie zerfetzt auf dem Boden lag und die Streuselschicht des Kuchens fein säuberlich abgegrast war. Na, immerhin: Die Zwetschgen waren noch drauf!

Lektion 3: „Wir sind viel schneller als ihr glaubt!“
Ich wollte nur kurz raus, um den Müll in die Tonne zu bringen. Doch so schnell konnte ich gar nicht schauen, wie mich Dusty an der Tür überholte und dann wie der geölte Blitz hinaus in den Garten schoß. Zielstrebig hielt sie auf die haushohe Birke zu, sträubte das Fell und raste wie wild den Stamm hoch. Ich konnte nur noch staunen. Es sah wirklich sehr elegant und professionell aus, wie sie da hoch oben im Geäst herumturnte. Das legte sich allerdings schlagartig, als sie wieder herunter wollte: Sie wußte nämlich nicht, wie. Wie ein Häufchen elend saß sie wimmernd auf einem Ast und traute sich nicht vor und nicht zurück. Ich bettelte, lockte, schimpfte und versuchte, ihr den Weg zu zeigen, aber das half alles nichts. In der Zwischenzeit wurde es schon dunkel. Und ich konnte die Kleine doch nicht die ganze Nacht da oben sitzen lassen! Ich hatte aber auch keine Lust, die Nacht unter einer Birke sitzend zu verbringen.

Irgendwann kam dann zum Glück die Nachbarin und brachte uns ihre Leiter. Ich stieg auf den Baum, und erleichtert ließ sich das Katzenkind auf meinen Rücken plumpsen. Allerdings rutschte sie an dem glatten Stoff meines Anoraks ab und hakte sich dann – wenig elegant und für mich ziemlich schmerzhaft – mit ihren Krallen in den Hosenboden meiner Jeans ein. So betraten wir wieder festen Boden. Erschöpft verschlief Dusty am nächsten Morgen ihr Frühstück. Und ich schwor mir, daß sie mir nie wieder zu einem solchen Abenteuer entwischen würde! Doch als sie das hörte, hat sie vermutlich nur gelacht und bereits ihre nächste Lektion für mich vorbereitet.

Lektion 4: „Wir sind immer da, wo ihr uns nie vermutet!“
Damit Dusty sich nicht alleine daheim langweilte, nahm ich sie gelegentlich auch zu meinen Eltern mit. Dort hatte ich für sie bereits Futter und eine Katzenkiste deponiert. Es sollte ihr ja an nichts fehlen. Vom ersten Stock aus, dachte ich, würde sie schon nicht in die Tiefe springen, und ließ sie raus auf den Balkon. Doch als wir nach ein paar Minuten nachsahen, war von Dusty weit und breit nichts zu sehen. Mir wurde heiß und kalt. War sie abgestürzt? Verletzt? War sie hinuntergesprungen und weggelaufen? Hier kannte sie sich doch gar nicht aus! Sie würde von alleine nie wieder nach Hause finden!

Die ganze Familie schwärmte aus, suchte, rief, befragte Nachbarn und Passanten … Alles ohne Ergebnis. Verzweifelt und niedergeschlagen kehrten wir schließlich wieder zurück zum Haus meiner Eltern. „Hallo!“ riefen da die Kinder meines Cousins und winkten vom Balkon. Sie wohnen direkt – Wand an Wand – neben meinen Eltern. „Guckt mal, wer bei uns zu Besuch ist!“ Wir trauten unseren Augen nicht: Auf ihrem Balkongeländer balancierte seelenruhig — meine Dusty!

„Deine Katze braucht heute kein Abendessen mehr“, erklärte uns die kleine Anja. „Sie hat schon bei uns gegessen. Fischstäbchen!“ – „Ja, und das nicht zu knapp“, ergänzte ihr älterer Bruder. „Die ist einfach über das Balkongeländer rübergesprungen und hat sich bei uns zum Essen eingeladen! Ganz schön frech, ey!“ – Dem konnte ich nur beschämt zustimmen. Aber ich war so über die Maßen erleichtert, sie heil und gesund wiederzusehen, daß mir das im Moment gar nicht so wichtig war.

Ich fragte mich allerdings, ob Dusty nicht insgeheim schon wieder an einer neuen Katzenhalter-Lektion arbeitete. Und das tat sie! So lernte ich im Lauf der Zeit noch einiges: Daß Katzen sich Ruhe ausbitten und temperamentvolle Unterhaltungen ihrer Menschen überhaupt nicht schätzen … daß sie bereit sind, ihr Heim gegen Nachbars Hund und Katze – und notfalls auch gegen den Schornsteinfeger zu verteidigen. (Dem armen Mann sprang Dusty schwungvoll ins Kreuz, als er sich gerade anschickte, eine Rechnung auszustellen. War das peinlich!).

Ich erfuhr auch, daß man sich in einem Haushalt mit Katzenkindern besser robuste, klettersichere Gardinen anschafft statt spinnwebzarter Gebilde. Und wenn möglich gußeiserne Tapeten gleich dazu! Und um Himmels Willen bloß keine Türen zumachen! Das Ein- oder Aussperren einer Katze wird mit sofortiger Zerstörung des Teppichbodens bestraft, weil das Tierchen sogleich versuchen wird, sich unter der verschlossenen Tür durchzugraben. Nun gut, nicht jede Lektion kann nur Freude bereiten. Aber eine Unterrichtseinheit habe ich wirklich genossen:

Die netteste Lektion: Wen du magst, den werd‘ ich auch mögen!
Irgendwann war Schluß mit unserem Zwei-Weiber-Haushalt: Ich zog mit meinem Lebensgefährten zusammen. Dustys Begeisterung hielt sich zunächst in Grenzen. Sie ging meinem Partner zwar nicht gerade aus dem Weg, aber anfassen oder gar streicheln durfte er sie nicht. Da nutzte es auch nichts, daß er versuchte, sie mit Leberwurst zu bestechen. Es herrschte Friede, aber keine Freundschaft. So gingen Monate ins Land. Der Durchbruch kam erst, als mein Partner einmal geschäftlich unterwegs war und nicht, wie gewohnt, abends heimkam. Dusty pilgerte immer wieder zur Wohnungstür und bezog schließlich dort Posten, um auf ihn zu warten. Ich dachte, ich sehe nicht recht! Und war ehrlich gerührt, als sie ihn dann bei seiner Heimkehr freudig begrüßte. Heute sind sie dicke Freunde. Sie folgt ihm auf Schritt und Tritt. Vor allem, wenn er in die Küche geht. Und das tut sie ganz sicher nicht nur deshalb, weil er von uns beiden der bessere Koch ist …

Autor: Edith Nebel
Fotos: Edith Nebel, Gerhard Löw
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