Susanne Gerdom: Aethermagie, Steampunk/Jugendbuch ab 14

Susanne Gerdom: Aethermagie, Berlin-Wien 2012, Ueberreuter Verlag, ISBN 978-3-8000-5686-6. Hardcover mit Schutzumschlag, 446 Seiten, Format: 21,8 x 14,4 x 4 cm, EUR 16,95 (D und A).

„Katalin nahm den Brief in Empfang und verließ das Gemach. (…) Jetzt musste sie sich nicht nur um ihr eigenes Überleben kümmern, die Frage lösen, wie sie Jewgenij und Katharina aus dem Brünnlfeld befreien konnte und den Maulwurf im Hohen Rat enttarnen, sondern auch noch die Kaiserin ausfindig machen, die (…) ins Nirgendwo verschwunden war.“ (Seite 276)

Wien, gegen Ende des 19. Jahrhunderts: Katalin „Katya“ Nagy und Gräfin Sophie von Rothenau sind seit ihrer Kindheit befreundet. Die eine wird Opernsängerin, die andere durch Heirat mit dem verwitweten Kronprinzen Ferdinand Maximilian zur Kaiserin von Österreich und Ungarn.

Kaiserin Sophie heuert die unerschrockene und weltgewandte Katya als persönliche Geheimagentin an. Jahre später erhält die Sache einen offiziellen Anstrich: Major Katalin Nagy bekommt die Leitung der Vierten Abteilung übertragen und befehligt nun die Sonderagenten seiner kaiserlichen Majestät. Das ist eine Stabsstelle, die ihre Befehle direkt vom kaiserlichen Sekretariat bekommt. Diese Sonderstellung ist so manchem am Hof ein Dorn im Auge.

Katya unterhält enge berufliche Beziehungen zum „Zeitlosen Orden“ und zu Uhrmachermeister Horatius Konradin Tiez, der in der Wiener Kleeblattgasse einen kleinen Laden hat, in dem Magie allgegenwärtig ist. Ständig verändern seine Nebenräume Lage, Inhalt und Größe. Und wenn es stimmt, was Katya vermutet, ist Tiez identisch mit dem Professor, der knapp zweihundert Jahre zuvor ein Buch über Aethermagie und Elementargeister geschrieben hat.

Jetzt soll Katyas Sicherheitsbüro auf einmal dem Reichskriegsminister Windesberg unterstellt werden. Katya fürchtet nicht nur um ihre Anstellung sondern um ihr Leben.

Von alledem bekommt die 16-jährige Baronesse Katharina „Kato“ von Mayenburg, die Tochter des stellvertretenden Polizeipräsidenten Simon Jakob Peregrin Freiherr von Mayenburg , nur am Rande etwas mit. Sie sorgt sich um Ihren psychisch erkrankten Vater und fragt sich, ob Hausarzt Dr. Zsygmond Rados ihm überhaupt helfen kann. Ausgerechnet jetzt, da es dem Vater so schlecht geht, will Stiefmutter Adelaide sie auf ein Internat schicken!

Dabei hält Kato ihren Vater überhaupt nicht für geisteskrank. Wenn er es wäre, wäre sie es auch, denn beide sehen Dinge, die es angeblich gar nicht gibt: leidende und klagende Elementarwesen, die in den modernen Gerätschaften gefangen sind und für die notwendige Energie sorgen müssen. Mit dem Plasmateufelchen Calander, das in ihrer Zimmerlampe schuften muss, unterhält sich Kato sogar und liest ihm abends etwas vor. Dass sie ihn verbotenerweise aus seinem silbernen Käfig befreit, wird ihr zum Verhängnis.

Als sie mit ihrem Vater vorzeitig einen Maskenball verlässt, werden beide verhaftet und ins „Rote Haus“ des Sicherheitsbüros gebracht. Der Freiherr ist aus gesundheitlichen Gründen nicht sehr kooperativ. Und von der Tochter erfahren die Kommissäre auch nicht viel. Sie wird plötzlich von einem ungeschlachten Kerl entführt und in die kaiserliche und königliche Landesirrenanstalt am Brünnlfeld gebracht.

Kato weiß nicht, dass ihr Entführer der in Brünnlfeld eingeschleuste Polizist Jewgenij „Shenja“ Danilowitsch Sorokin ist. Dass man sie nicht zu ihrem Schutz in die Anstalt bringt, sondern ihre Fähigkeit, mit Elementarwesen kommunizieren zu können, für militärische Zwecke nutzen will, weiß sie auch nicht.

Major Katalin Nagy wird direkt nach einem Besuch in der Hofburg verhaftet. Ihr Sicherheitsbüro wurde aufgelöst und alle Mitarbeiter der staatsfeindlichen Umtriebe beschuldigt. Katya soll hingerichtet werden. Oberst Pelikan von Plauenwald, Leiter des militärischen Sicherheitsdienstes, überlegt nur noch, ob er sie erschießen oder aufhängen soll.

Doch Katya hat einflussreiche Freunde und auch Kato von Mayenburg ist keinesfalls so allein auf der Welt wie sie glaubt. So kommt es, dass sich beide Frauen auf den Weg zur „Zuflucht“, dem unterirdisch gelegenen Mutterhaus des „Zeitlosen Ordens“ machen. Doch es ist kein günstiger Zeitpunkt, dort um Hilfe zu bitten. Die Lage der „Zuflucht“ wurde verraten. Katya und Kato laufen mitten in eine kriegerische Auseinandersetzung hinein. Auf einmal mischen sich Katos kleine Freunde aus der Elementarwesenwelt in die Kampfhandlungen ein. Und die haben deutlich mehr drauf als nur Lampen, Heizungen und Motoren zu betreiben! Doch das ist nicht die einzige Überraschung, die auf Kato von Mayenburg wartet …

Uff! Bei Susanne Gerdoms Büchern hat man immer ein Luxusproblem: Es passiert darin so viel und es gibt eine solche Menge überraschender Wendungen, dass man den Inhalt kaum zusammenfassen kann, ohne zu viel zu verraten. Und so ist auch diese Beschreibung hier nur ein kleiner Vorgeschmack auf die turbulenten Ereignisse und die phantastische Steampunk-Welt, in der sich so interessante Persönlichkeiten tummeln wie Major Katalin Nagy, Baronesse, Kato, Kommissär Jewgenij D. Sorokin, Erzherzogin Marie-Louise und Meister Horatius Tiez.

Man weiß hier nie, wem man trauen kann. Katya und ihre Agenten sind Meister im Tarnen und Täuschen und auch bei Hofe beherrscht man das Intrigenspiel. Manch einer hat eine geheime Agenda. Der Hausarzt der von Mayenburgs ist kein gewöhnliche Husten- und Schnupfendoktor. Der Brünnlfeld-Krankenpfleger Anselm Grünwald hat eine höchst ungewöhnliche Vergangenheit und undurchsichtige Pläne. Und auf welcher Seite steht eigentlich das Ordensmitglied Belpharion?

Es hat den Anschein, als sei AETHERMAGIE der erste Band einer Reihe, denn der Schluss der Geschichte ist gleichzeitig der Anfang einer neuen. Es gibt ja auch noch so viel zu tun: Die Kaiserin ist immer noch verschwunden, Meister Horatio Tiez ebenso. Er hat seinen Gehilfen im Laden ein schreckliches Chaos hinterlassen und wird jetzt dringend gebraucht. Die Elementarwesen sind noch nicht aus ihrer Knechtschaft befreit worden, der Verräter des Zeitlosen Ordens treibt weiterhin sein Unwesen und auch der Krieg gegen die Leukoi–Lichtwesen dauert bereits seit zehn Jahren und kein Ende ist in Sicht.

Man braucht ein bisschen Zeit, bis man in diese hochkomplexe Geschichte hineinkommt. Es sind sehr viele Personen, auf die abwechselnd mit ihrem Vornamen, Spitznamen, Familiennamen und Titel Bezug genommen wird. Und wie die Welt mit ihrem Elementargeisterantrieb und dem Leukoi-Krieg funktioniert, will erst einmal verstanden sein. Hat man das geschafft, kann man nicht mehr aufhören zu lesen. Aufgehalten wird man höchstens dadurch, dass man anfängt, nach geheimen Bedeutungen der Personennamen zu googeln, wenn einem erst einmal aufgefallen ist, dass der Meister der Zeit seine Funktion schon im Namen trägt. In Horatius steckt das lateinische Wort hora = Zeit. Und lest doch mal den Familiennamen Tiez rückwärts! Tiez’ Gehilfen tragen die Namen von Raubvögeln. Ob das auch ein Hinweis ist? Nach Belpharion besser nicht googeln! Man stellt ihn sich wie einen Engel vor, und dann sieht man da so einen albernen Mangafritzen.

Für ein Jugendbuch ist AETHERMAGIE extrem düster. Die Szenen im Irrenhaus machen ja schon einem Erwachsenen zu schaffen! Aber wahrscheinlich ist die Jugend von heute viel stärkeren Tobak gewöhnt als wir damals. Wie dem auch sei: Auch die Jugend von gestern dürfte nach Lektüre dieses Bandes gespannt auf die Fortsetzung lauern.

Ein mehrseitiges Glossar erklärt dem Leser Begriffe aus dem Wienerischen, Rotwelschen sowie die (fremdsprachlichen) Zitate, die in dem Roman Verwendung finden.

Die Autorin
Susanne Gerdom, 1958 geboren, ist am Niederrhein in Rheinhausen aufgewachsen. Nach einer Buchhandelslehre beschäftigte sie sich mit dem Theater und verbrachte einige Jahre als Schauspielerin und Regisseurin in Düsseldorf. Später begann sie, Fantasy und Science Fiction zu schreiben. Sie lebt und arbeitet seit 2008 wieder am linken Niederrhein.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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