Viola Eigenbrodt: Rosengeschmack. Kriminalroman, Gerlingen 2017, KSB Media GmbH, ISBN 978-3-946105-70-1, Softcover 171 Seiten, Format: 11,8 x 1,7 x 19,3 cm, EUR 10,50.
In der Kunst- und Promi-Szene Merans gehört ein extravagantes Künstlerpaar mittleren Alters zu den Stars: der attraktive Maler Erwin Tschurtschenthaler und seine Ehefrau, die rothaarige Volksmusik-Sängerin Magdalena Ganthaler.
Magdalena ist von Geburt an blind. Sie hat eine traurige Kindheit und eine bewegte Jugend gehabt. Über ihr Vorleben weiß die Öffentlichkeit genau so wenig wie über den tatsächlichen Zustand ihrer Ehe. Im Lauf der Jahre ist eine berufliche Zweckgemeinschaft daraus geworden, ansonsten gehen die Eheleute ihre eigenen Wege. Wenn zwei große Egos aufeinandertreffen, ist das eben nicht ganz einfach.
Ein Maler verschwindet beim Wandern
Als Erwin Tschurtschenthaler von einer Wanderung nicht zurückkehrt und auch nicht anruft, macht Magdalena sich zunächst keine Sorgen. Ihr Mann verschwindet ja öfter mal für ein paar Tage. Ihren Alltag bewältigt die Sängerin auch allein, bzw. mit Hilfe ihrer Freundin Paola Stromeier.
Deutlich beunruhigter ist da schon Erwins Galerist Walter Gasser. Die beiden kennen einander schon ewig und gehen normalerweise gemeinsam zum Wandern. Dass Erwin dieses Mal allein losgezogen ist und nicht einmal Bescheid gesagt hat, wundert Gasser. Als er Aquarelle zugschickt bekommt, die sein Freund angeblich auf seiner Wanderung angefertigt haben soll, schrillen bei dem Galeristen endgültig die Alarmglocken. Er kennt Tschurtschenthalers Arbeiten genau, und diese Aquarelle sind keinesfalls von ihm! Ob Erwin etwas zugestoßen ist? Er hatte neulich erst einen heftigen Streit mit dem exzentrischen deutschen Dirndl-Designer Tim Grevenbroich, auch bekannt als Dragqueen Violetta. Ob sein Verschwinden damit zusammenhängt?
Die Polizei arbeitet nachlässig
Erst vier Tage nach Erwins Verschwinden geht seine Frau zur Polizei. Für die Carabinieri ist es eine Sensation, dass so eine prominente Dame zu ihnen kommt und sie sind ein bisschen zu ehrerbietig. Maresciallo Franco Marini lässt sich sogar dazu hinreißen, die berühmte Sängerin und ihren Blindenführhund Pan nach Hause zu bringen. Sie bewirtet ihn, und seine professionelle Distanz ist beim Teufel. Dieser Mann wird so schnell keine kritischen Fragen stellen!
Ermitteln werden sowieso nicht die Carabinieri, sondern die Kommissare Lolita Mitteregger und Matthias Ohnewein. Matthias scheint permanent andere Dinge im Kopf zu haben als den Vermisstenfall und seine billig zurechtgemachte Kollegin Mitteregger ist von einer derartigen Impertinenz, Arroganz und Unfähigkeit, dass man ihr am liebsten ins Gesicht springen würde. Wenn sie Zeugenaussagen ins Lächerliche zieht, statt ihnen nachzugehen, braucht sie sich nicht zu wundern, wenn die Leute der Polizei nichts mehr erzählen.
Der Galerist ermittelt selber
Galerist Gasser stellt lieber auf eigene Faust Nachforschungen an. Die Klatschreporter Kurt Axam und Georg Platzhirschner tun dasselbe auf ihre Weise: Sie wühlen im Dreck der Prominenz. Sie werden auch fündig, und das nicht zu knapp! Doch eines muss den Amateur-Detektiven klar sein: Wenn sie mit ihren Nachforschungen irgendwelchen kriminellen Elementen zu nahe kommen, leben sie verflixt gefährlich! Von dieser unfähigen Polizei hier haben sie keine Hilfe zu erwarten. Na ja, okay: Bei Maresciallo Marini besteht vielleicht noch ein Rest Hoffnung, dass er wirklich zuhört, die richtigen Schlüsse zieht und tatsächlich handelt …
Man ahnt schon bald, warum der Maler wohl verschwunden ist, aber was genau dahintersteckt, das überrascht dann doch.
Nach Viola Eigenbrodts Beschreibungen würde man am liebsten gleich durch Meran spazieren, allerdings nicht unbedingt in der gleißenden Sommersonne. Mit ihren Schilderungen macht uns die Autorin Appetit auf die Stadt und die Region. Ab und zu verfällt mal eine der Nebenfiguren kurz in den Dialekt, aber nie so breit, dass es unverständlich würde. Die Mundart dort ist ein interessanter Mix aus bairisch, alemannisch und italienisch. Ein kleines Glossar am Schluss erklärt ein paar wichtige Begriffe, man muss aber nicht ständig nachgucken. Das erklärt sich alles aus dem Zusammenhang.
Tolle Gegend, viele Unsympathen
Die Gegend, die Verpflegung und die Sprache klingen also sehr vielversprechend. Südtirol scheint eine Reise wert zu sein. Von den Romanfiguren möchte man allerdings keiner begegnen, außer vielleicht Marini und Gasser. Die sind wenigstens umgänglich und zu ein bisschen Mitgefühl fähig. Von den meisten anderen erfährt man so viele schmutzige Geheimnisse, dass man sich mit Grausen wendet. Was für eine Ansammlung von Unsympathen! (Wie manchmal im richtigen Leben.)
Das gilt auch für die Hauptfigur, die blinde Sängerin Ganthaler. Sie hat viel mitgemacht im Leben, ja. Und sie sollte einem eigentlich leidtun. Das Gefühl stellt sich beim Leser allerdings nur in einigen wenigen Momenten ein, als sie von den Kindern spricht, zum Beispiel. Meist denkt man aber: „Was für ein Drachen! Und ihren Hund könnte sie auch ein bisschen besser behandeln.“
Wem drücken wir die Daumen?
Der verschwundene Maler taugt auch nicht gerade zum Sympathieträger, genau so wenig wie die Kommissare. Wenn dem Leser also an dem Verschwundenen nichts liegt, weil er so ein Mistkerl ist, und man weder mit seiner biestigen Ehefrau noch mit den gleichgültigen Polizeibeamten mitfiebern kann, was hält den Leser dann eigentlich emotional bei der Stange? Es ist im Grunde die Sorge des Galeristen. Er scheint der einzige zu sein, dem wirklich etwas an Tschurtschenthaler liegt und der unbedingt ein paar Antworten will.
Nirgendwo steht geschrieben, dass Romanhelden liebenswert sein müssen. Als Leser hat man auch kein naturgegebenes Recht auf eine Identifikationsfigur. Aber man hätte so gerne eine! Irgendjemandem muss man doch die Daumen drücken! Es sollte einem beim Lesen nicht wurscht sein, wer gewinnt.
Die Autorin
Viola Eigenbrodt begann als freie Journalistin und schreibt heute noch für vielerlei Zeitungen, Stadtmagazine und Stadtanzeiger. Aus beruflichen und privaten Gründen lebte sie einige Jahre in Meran, Südtirol, lernte Land und Leute kennen und begann mit der Tätigkeit als Buchautorin. Mit ihrem Umzug nach Mannheim fing sie als Dozentin an der Mannheimer Abendakademie an.
Rezensent: Edith Nebel
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