Der unsichtbare Gast

Märchen beginnen mit ’žes war einmal’œ. Das Chaos bevorzugt die Einleitung ’žach, übrigens.’œ

’žAch, übrigens’œ, sagt der Tier- und Menschenfreund an meiner Seite, ’žJürgen muss für ein paar Tage ins Ausland und hat noch keinen Catsitter gefunden. Ich hab’™ ihm gesagt, wir nehmen seinen Flecki so lange in Pflege.’œ

’žAha’œ, sage ich. Ich kenne weder Jürgen noch Flecki persönlich, aber bei Katzenfreunden in Not kann ich schlecht nein sagen. Was in diesem Fall wohl ohnehin zu spät wäre.

’žWohnungskatze, nehme ich an?’œ, vergewissere ich mich sicherheitshalber. ’žAuf Freigänger sind wir ja nicht eingerichtet.’œ
’žReine Wohnungskatze’œ, bestätigt der Gatte.
’žUnd wann? Du weißt, am 8. bringt mein Kollege seine zwei Pelzmonster. Nicht, dass wir am Ende fünf Katzen aus drei verschiedenen Haushalten durch die Wohnung toben haben! Irgendwann gehen uns die Zimmer, die Hände und die Katzenklos aus.’œ
’žÄh … am Freitag, glaube ich. Oder nächste Woche. Er gibt uns noch Bescheid.’œ

Terminlich gestaltet sich das Unternehmen zum Glück überschneidungsfrei. Die Pfleglinge geben sich dieses Mal lediglich die Klinke in die Hand.

Fleckis erster Urlaub
Am Freitag Nachmittag ist es dann so weit. ’žWir kommen, sobald wir Flecki eingefangen haben’œ, sagt Jürgen am Telefon. Was eine halbe Stunde später schon der Fall ist. Die Wohnung und ich machen einen fabelhaften ersten Eindruck. Aber wer freitags nach Büroschluss zu mir kommt, erwischt mich nun mal beim Hausputz.

Jürgen stellt den Katzenkennel auf den soeben feucht gewischten Boden. Der kleine schwarz-weiße Hauskater brüllt wie ein Puma. Er rennt, kaum dass die Kenneltür geöffnet ist, pfeilgerade ins Schlafzimmer und kriecht in die Nische neben dem Kleiderschrank, in der das Bügelbrett und die Trittleiter stehen. Nur ein Katzenschwanz lugt noch hervor.

Unsere beiden Maine-Coon-Kater verschwinden aus Angst vor Fleckis Geschrei auf den Wohnzimmerschrank und ducken sich hinter den Büchern.
’žIch hab gar nicht gewusst, dass er Kleine solche Töne zustande bringt’œ, staunt Jürgen. ’žNormalerweise ist er alles andere als ein Angsthase.’œ

’žDas heißt, in seiner anderen Pflegestelle führt er sich nicht so auf?’œ, will ich wissen.
’žEs gibt keine andere Pflegestelle. Flecki war noch nie aus dem Haus, außer mal kurz beim Tierarzt.’œ
’žUnd was machen Sie sonst, z.B., wenn Sie in Urlaub fahren? Kommt da ein Catsitter ins Haus?’œ
’žSeit ich Flecki habe, hab ich noch keinen Urlaub gemacht. Ich hab den Kater, seit er vier oder fünf Tage alt war. Seine Mutter ist bei uns auf dem Firmengelände überfahren worden, da hab ich ihn mit heim genommen und mit der Flasche aufgezogen.’œ

Na, Mahlzeit! Eine Handaufzucht, die keine andren Katzen kennt, keine fremde Umgebung und auch an fremde Menschen nicht gewöhnt ist. Das kann ja heiter werden! – Wir versprechen, den Kater bestmöglich zu versorgen, und Jürgen verabschiedet sich.

Zwischen Bügelbrett und Leiter
Flecki sitzt immer noch in der Nische bei Bügelbrett und Trittleiter, hat aber zwischenzeitlich dankenswerterweise wenigstens das Gebrüll eingestellt.
’žAch, Flecki’œ, sage ich, ’ždu kannst doch aus deiner Schmollecke gar nicht mehr ausparken!’œ
Ich räume um und verschaffe ihm ein bisschen mehr Platz, indem ich die Trittleiter aus der Nische entferne und anderswo einquartiere.

Inzwischen hat bei unseren beiden Coonies auch die Neugier gesiegt. Sie klettern vom Wohnzimmerschrank und kommen ins Schlafzimmer, um nach unserem Gast zu sehen. Flecki, der keine anderen Katzen kennt, hält unsere beiden freundlichen Riesen offenbar für eine unbekannte Spezies haariger Monster und verkriecht sich noch tiefer in die Nische.

Kater Cooniebert sieht sich den schreckensstarren Eckensitzer kurz an und verliert das Interessse. ’žMit dem ist ja gar nix los’œ, scheint er zu denken. Kater Yannick ist jünger und kontaktfreudiger als Cooniebert und nicht bereit, so schnell aufzugeben. Er schnuppert an dem fremden Kater.

Flecki macht einen Satz, flüchtet auf die andere Seite des Schranks und lässt sich hinter die Wäschetruhe plumpsen. Nun sitzt er in einem Wäschekorb und linst durch das Plastikgitter. ’žWie willst du denn da wieder rauskommen, Kleiner?’œ, frage ich ihn. ’žBist du etwa ein Senkrechtstarter?’œ

Davon ist nicht auszugehen, also räume ich um. Ein Element des Staubsaugers, das normalerweise neben dem Schrank geparkt ist, wird weggeschafft und die Wäschetruhe ein Stück vorgezogen, so dass Flecki einen Ein- und Ausgang zu seiner zweiten Schmollecke hat. Ich stelle ihm ein Katzenklo, Futter und Wasser in den Raum, schnappe meine Coonies und widme mich wieder dem Hausputz. Den Besucher lassen wir erst einmal in Ruhe.

Hinter Pullovern und Hosen
Als wir nach einiger Zeit wieder nach ihm sehen, sind seine beiden Schmollecken verwaist. Dafür rumort es im Kleiderschrank, hinter der Tür, die nicht mehr richtig schließt. Ja, dieses Versteck finden sie alle!

Kater Yannick muss gleich nachsehen, was da im Schrank so knarzt und raschelt und quetscht sich ebenfalls zwischen die Hosen, Shirts und Pullover. Keiner von beiden ist mehr zu sehen. So geht das nicht! Am Ende traut sich Flecki nicht an Yannick vorbei und pinkelt uns noch in den Schrank! Ich sollte schon sehen, was die zwei da machen.

Ich stelle also Fleckis Futter- und Wassernäpfe beiseite und räume um. Die Shirts und Pullover, die unten im Schrank liegen, staple ich in einen Wäschekorb, der kommt so lange in den Flur. Die Katzen lassen sich von meinen Aktivitäten nicht beirren. Flecki liegt rechts im Schrank, Yannick liegt links.

In der Nacht bekomme ich mit, wie Flecki durch den Flur geistert. Wenn alles ruhig ist und schläft, geht er offenbar auf Erkundungsgang. Wobei er vor seinen Artgenossen weniger Angst zu haben scheint als vor uns, den fremden Menschen.

So richtig nett ist’™s unterm Bett
Ob unser Gast nun davon begeistert ist oder nicht ’“ am nächsten Tag muss ich die Betten frisch beziehen. Ich krame also im Schlafzimmer herum und rede dabei mit Flecki. Vielleicht gewöhnt er sich ja an uns, wenn er merkt, dass wir harmlos und freundlich sind. Ab und zu lugt er in der Tat schon aus dem Schrank heraus.

Die Coonies lauern unterdessen auf den Moment, an dem ich die Matratzen anhebe um die Spannleintücher auszutauschen. Das Kopfteil des einen Betts ist leicht schräg gestellt, das andere liegt flach. Dadurch entsteht eine kleine Lücke zwischen den Betten ’“ und, schwupps, verschwindet erst ein rotes, bepelztes Coonie-Hinterteil durch diesen Spalt im Bettkasten und gleich danach ein silbergraues.

Durch den Alarm der Waschmaschine, die gerade ihr Programm beendet hat, werde ich für einen Moment abgelenkt und verlasse den Raum. Als ich wieder ins Schlafzimmer komme, sehe ich gerade ein drittes bepelztes Hintrteil im Bettkasten verschwinden: ein kurzhaariges schwarz-weißes. Flecki!

Nun hat also auch er den Weg unters Bett gefunden. Wie er wieder herauskommt, das turnen ihm die Coonies vor. Mit etwas Geschick geht das sogar, wenn die Matratzen, Kissen und Bettdecken wieder ordnungsgemäß auf den Lattenrosten aufliegen.

Flecki hat die nun also die ultimative Schmollecke entdeckt und scheint beschlossen zu haben, für den Rest der Woche dort unten zu wohnen. Jedenfalls, solange die Menschen im Haus sind. Wenn wir nicht da sind, sieht er offenbar keinen Grund, sich zu verstecken. Ich sehe zum Beispiel, dass er sein sein Gästeklo benutzt. So kleine Würstchen macht kein ausgewachsener Coonie. Erst, wenn einer von uns Menschen zur Wohnungstür hereinkommt, krabbelt die ganze Meute unters Bett.

Wie füttert man eine unsichtbare Katze?
’žFlecki gibt Antwort, wenn ich mit ihm rede’œ, sagt mein Mann. Er erzählt ihm was, und der Kater lugt zwischen den Kopfteilen der beiden Betten hervor und antwortet: ’žbrrrrt!’œ.

Wenn ich unters Bett fasse, kommt Flecki angerannt, schmust mit meiner Hand, spricht mit mir, lässt sich kraulen und schnuppert mich ab. Ob er mir wohl aus der Hand frisst? Ich packe ein paar Katzensticks aus, versorge erst unsere Coonies, damit sie mir nicht in die Quere kommen, und reiche Flecki ein Stück von diesen Leckerlis unters Bett. Seine Schnurrhaare kitzeln meine Hand, dann spüre ich einen leichten Widerstand. Der Stick wird mir aus der Hand genommen und ich höre Flecki zufrieden schmatzen. Ich habe soeben eine unsichtbare Katze gefüttert! Und höre ich da nicht ein zaghaftes Schnurren unterm Bett?

Er lässt sich also streicheln, kraulen und füttern. Nur sehen lässt er sich nicht. Nun gut, wie er möchte. Das ist ein freies Land. Jedenfalls frisst er, geht aufs Klo und über die Maßen unglücklich scheint er auch nicht zu sein. Er wird die paar Tage bei uns also einigermaßen unbeschadet überstehen.

’žSind die blöden Zweibeiner endlich weg?’œ
Als am Montag Früh die Wohnungstür hinter meinem Mann ins Schloss fällt, weil er ein paar Minuten früher aus dem Haus muss als ich, schaut Flecki wie ein Murmeltier zwischen denbeiden Betten heraus. ’žSind die blöden Zweibeiner jetzt endlich weg? Kann die Party losgehen?’œ ’“ So kommt es mir gerade vor. Als er sieht, dass ich noch da bin, geht er wieder auf Tauchstation. Und er bleibt auch die restliche Zeit unser unsichtbarer Gast.

Flecki geht wieder heim
Was er wohl tun wird, wenn sein Mensch am Samstag kommt um ihn wieder nach Hause zu holen? Wird er ihm freudig in die Arme laufen und freiwillig in seine Transportbox steigen, wie es einer unserer anderen Pfleglinge immer macht? Oder wird man erst das Bett demontieren müssen um ihn darunter vor zu kriegen?

Als er abgeholt werden soll, habe ich einen Termin außer Haus. Das müssen die Männer und die Kater ganz alleine auf die Reihe bekommen. Ich packe Fleckis Zubehör in eine Tüte, stelle seinen Transportkennel bereit und ertappe mich dabei, dem Kater auszurichten: ’žDein Chef hat angerufen. Er kommt nachher um drei. Also mach bitte kein Theater und komm freiwillig aus deinem Versteck raus!’œ

Das hat er natürlich nicht getan, wie man mir hinterher berichtet hat. Einer der Männer musste die Matratze beiseite schieben, der andere den Kater ergreifen. Auf halbem Weg in den Transportkennel hat Flecki wieder kehrt gemacht und ist erneut unters Bett geflüchtet. Irgendwann haben sie es dann geschafft. Flecki saß in seinem Kennel und brüllte auf dem Heimweg wie ein Puma.

Da er seinen Aufenthalt bei uns gut überstanden hat, wie wir zwischenzeitlich erfahren haben, wird er vermutlich beim nächsten Auslandsaufenthalt seines Chefs wieder bei uns einziehen. Meinetwegen gern. Jetzt weiß ich ja, dass ich sogar Tiere versorgen kann, die man gar nicht sieht.

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