Susanne Gerdom: Das gefrorene Lachen, Wien 2011, Verlag Carl Ueberreuter, ISBN 978-3800056361, Hardcover, 413 Seiten, Format: 13 x 20,5 x 3,6 cm, EUR 14,95.
Eine Undercover-Volksbefragung des Hofzauberers Laurentio bringt es an den Tag: Die Bewohner des kleinen, beschaulichen Königreichs Almay halten ihren Herrscher für einen Langweiler. Königs sind auch nur Menschen, und dieser hier hat keine Lust, als „Ferdinand der Langweilige“ in die Geschichte einzugehen. Und so macht er für die Geburtstagsfeier seines Sohnes Augustin, der an diesem Tag auch offiziell als Thronfolger eingesetzt werden soll, etwas ganz Vogelwildes: Statt des üblichen Unterhaltungsprogramms engagiert er die Schauspieler einer Wanderbühne, die just von der Grenzpatrouille aufgegriffen wurden.
Nicht nur Prinz Augustin, jetzt 17, und seine gleichaltrige Jugendfreundin Philippa Saffronia — die Tochter des Hofzauberers — sind begeistert von Prinzipal Spinellis schillernder Theatertruppe, auch die Gäste sind von den Darbietungen hingerissen.
Was niemand ahnen konnte: Unter die illustre Schar der Gäste hat sich auch ein Magier gemischt, der mit Hofzauberer Laurentio noch ein Hühnchen zu rupfen hat. Ostwind, wie der fremde Zauberer sich nennt, fordert Laurentio zum Magischen Duell. Jetzt, sofort, gleich hier auf der Geburtstagsfeier.
Jetzt hätten sie ja ruhig eine Weile um die Wette zaubern können. Das hätte dem Publikum sicher gefallen. Doch als Ostwind einen Assistenten ins Spiel bringt, gerät der Wettbewerb aus dem Ruder. Wusch, ist das ganze Schloss weg. Die Gäste fliehen panisch in alle Himmelrichtungen, und die Königsfamilie samt Hofstaat findet sich als Ensemble einer Wanderbühne wieder – mit zum Teil gravierenden Persönlichkeitsveränderungen. Von sporadischen Erinnerungsfetzen abgesehen, weiß keiner mehr etwas von seinem früheren Leben bei Hofe. Dort regiert jetzt Zauberer Ostwind, und es ist ein grausames, totalitäres Regime, das seinen Untertanen nur Angst und Unterdrückung aber keine Freude bereitet.
Philippa Saffronia heißt jetzt Pippa und ist Lehrling beim brutalen Zauberkünstler Lorenzo. Dass er ihr Vater sein soll, bezweifelt sie. August(in), Sohn des Prinzipals, lernt bei Weißclown Alonso, der seinen Azubi roh misshandelt. Auch in diesem Leben sind die beiden Jugendlichen gut miteinander befreundet. Und vielleicht ein bisschen mehr als das …
Wenn alles schief geht, findet Pippa stets Trost und Hilfe beim stummen asiatischen Koch, einem riesenhaften Mannsbild, das Nippes sammelt, Gedichte schreibt und als Kraftmensch auftritt. Seinen richtigen Namen hat der Koch nie verraten, und so nennt ihn die Truppe nach einem seiner Gedichte: „Zarter Blütenzauber“.
Zu Pippas Freunden zählen auch die drei lebendigen Wasserspeier, die auf dem Schnürboden des Theaters hausen, Tauben fressen und einem Nord- und einem Südturm hinterhertrauern. Das ergibt für Pippa ebenso wenig Sinn wie die Tatsache, dass die drei immer „Philippa Saffronia“ zu ihr sagen.
August ist es, der dahinterkommt, dass man die Gedichte des Kochs in einer bestimmten Reihenfolge lesen muss: „Du hast gesehen, dass sie alle die Geschichte eines Schlosses und seiner Bewohner erzählen, die von einem bösen Zauberer verhext werden.“ (Seite 203) Ein paar Gedichte gibt es jedoch, die nicht in das Schema der anderen passen und die von einem Rätsel sprechen, das es zu lösen gilt. Liegt die Lösung in den Gedichten selbst? Und würde man damit vielleicht den Bann des verhexten Schlosses brechen? Doch so wirklich ernst nehmen Pippa und August die Sache nicht. Es sind ja doch nur die Phantasien eines exzentrischen Künstlers!
Viel Zeit haben sie ohnehin nicht, sich darüber Gedanken zu machen, denn sie sind für ein Gastspiel in Ostwinds Residenz geladen. Zurück an ihren alten Wirkungsstätte, gewissermaßen. Nur dass da jetzt ein neues Schloss steht.
Ostwind hat sich zweifellos etwas gedacht bei dieser Einladung. Aber ob alles in seinem Sinne abläuft? Viele Theaterbesucher erkennen in den Schauspielern die früheren Schlossbewohner wieder. Und sie hätten gern ihren alten König zurück, auch wenn sie es unter Ostwinds strengem Regime nicht laut aussprechen dürfen.
Und kann es sein, dass bei den Theaterleuten jetzt die Erinnerung zurückkehrt? August findet sich blind im Dorf zurecht, obwohl er meint, noch nie hier gewesen zu sein. Pippa kann sich nach einer Begegnung mit ihrem ehemaligen Lehrer an Gespräche mit ihrem Vater erinnern, in ihrem jetzigen Leben garantiert nicht stattgefunden haben.
Als Pippa von einem Besuch im Dorf zurückkehrt, findet sie statt des Theaters nur einen menschenleeren Trümmerhaufen vor. Das kann nur eines bedeuten: Ostwinds Schergen waren hier! Pippa macht sich auf dem Weg zum Schloss. Wird sie ihre Freunde und Kollegen befreien können? Im Grunde hat sie dem mächtigen Ostwind ja nichts entgegenzusetzen. Oder?
Wieder einmal habe ich ein Jugendbuch gelesen, ohne zu bemerken, dass es eines ist. Woher soll ich das auch wissen, wenn weder zickige Schülerinnen noch Werwölfe und Vampire darin vorkommen? 😉 Bei spannender und intelligenter Unterhaltung mit interessantem Personal und einer schönen Sprache komme ich gar nicht auf die Idee, dass ich für diese Lektüre zu alt sein könnte. Ich hab’s als Erwachsenenbuch gelesen. Vielleicht kann man sich darauf einigen, dass es ein Roman ist für Menschen, die Spaß an einer stimmungsvollen Phantasiewelt und verzwickten Rätseln haben.
Illusionen über Königshäuser sollte man keine haben, wenn man zu diesem Buch greift. Denn die Herrscher werden hier gründlich demontiert. Ostwind ist ein herzloser Diktator und König Ferdinand ist, bei allem Respekt, ein etwas trotteliger Pantoffelheld. Ohne seine resolute Gattin Joséphine könnte er einpacken.
Wenn man ein bisschen was vom Werk des William Shakespeare kennt, ist das hier kein Fehler. In der Danksagung der Autorin heißt es: „Ich danke William S. aus S.u.A. und entschuldige mich dafür, Textstellen aus dem Zusammenhang gerissen, Stücktitel verstümmelt und verballhornt und Personenamen entliehen zu haben (…). Hochverehrter Dichter, Ihre Werke haben in den letzten Jahrhunderten so viel mitgemacht – sie überleben bestimmt auch meine Plünderung!“ (Seite 413) Vielleicht hätte sie ihm ja gefallen, diese Plünderung? Möglich wär’s.
Der Handlung des Romans kann man auch folgen, wenn man von Shakespeare keine Ahnung hat. Aber es entgehen einem dann eben all die amüsanten Anspielungen.
In die bildhafte Sprache und die meist sehr lebensnahmen Dialoge – insbesondere die des Königspaars – könnte man sich vor Vergnügen reinsetzen. Die Stelle zum Beispiel, an der Philippa Saffronia und ihr Vater Laurentio ihre gegensätzlichen Erwartungen an das Gastspiel der Wanderbühne formulieren, ist zum Niederknien! (Seite 30)
Auch wenn man die Geschichte sorgfältig gelesen hat, bleibt am Schluss doch die eine oder andere Frage offen. Wenn das, was Philippa Saffronia auf den Seiten 50/51 beobachtet haben will, tatsächlich stimmt, bewegt sich die Geschichte dann in einer Art Zeitschleife? Und was genau ist beim Showdown die Rolle der Taube? Ich meine, wir sehen, was passiert. Aber warum tut es das? Aber vielleicht ist das zu spießig gedacht eine magische Welt. Lassen wir die Erbsenzählerei und freuen wir uns an diesem phantasievollen Theaterzauber!
Die Autorin
Susanne Gerdom, 1958 geboren, ist am Niederrhein in Rheinhausen aufgewachsen, wo sie auch zur Schule ging. Nach einer Buchhandelslehre beschäftigte sie sich mit dem Theater und verbrachte einige Jahre als Schauspielerin und Regisseurin in Düsseldorf. Später begann sie, Fantasy und Science Fiction zu schreiben. Sie lebt und arbeitet seit 2008 wieder am linken Niederrhein.
Rezensent: Edith Nebel
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