Andrea Volk: Wenn Sie jetzt anrufen, bekommen Sie den Moderator gratis dazu!

Andrea Volk: Wenn Sie jetzt anrufen, bekommen Sie den Moderator gratis dazu! Unglaubliches aus der Welt des Teleshoppings, München 2013, Wilhelm Heyne Verlag, ISBN: 978-3-453-64535-6, 272 Seiten, Softcover, Format: 18,6 x 11,8 x 2,4 cm, EUR 8,99 [D] | EUR 9,30 [A] | CHF 13,50.

Andrea Volk ist Autorin und Komödiantin, aber davon kann sie, als diese Geschichte beginnt, nicht leben. Eines schönen Tages sagt ihre Mutter den denkwürdigen Satz: „Kind, da läuft so viel Mist im Fernsehen, da kannst du doch auch mal was machen.“ (Seite 17) Gute Idee, findet Andrea, bewirbt sich beim ersten Verkaufs-Fernsehsender, der ihr einfällt und landet für die nächsten sechs Jahre als Live-Verkäuferin scheußlicher Kunstfaserklamotten im organisierten Wahnsinn des Teleshopping.

Die Kasse stimmt. Die junge Frau erfüllt engagiert ihre Aufgabe, verliert aber nie den Blick für die Skurrilitäten dieser eigentümlichen Parallelwelt, in der man die Kollegen vor der Kamera charmant anlächelt – und hinter den Kulissen gnadenlos in die Pfanne haut.

Andrea Volk macht sich fleißig Notizen und schreibt schließlich dieses Buch. „Die Ereignisse und Personen in dem Buch sind fiktiv, ebenso der Name des Senders, den ich HCS – Happy Comfort Shopping – getauft habe. Aber die Geschichten gründen auf (…) realen Erfahrungen (…)“ (Seite 9)

Wer in den Bereichen Werbung, Marketing oder Vertrieb arbeitet, den wird kaum etwas von dem wundern, was er hier zu lesen bekommt. Der nimmt einfach seinen täglichen Berufswahnsinn zum Quadrat und freut sich, dass es noch durchgeknalltere Arbeitsplätze gibt als den eigenen.

Zielgruppenanalyse, Cluster, Neurolinguistische Programmierung, emotionale „Verkaufe“, das alles ist einem in der Wolle gefärbten Verkäufer nicht fremd. Er weiß, wie man den Leuten Bedürfnisse einredet, die sie gar nicht haben, wie man ihre Aufmerksamkeit gewinnt, sie unterhält und wie man unter Aufbietung aller erdenklichen Tricks Illusionen schafft. Auch der denglische Marketing-Sprech der Teleshopper kann diese Lesergruppe nicht erschüttern: „Ich hab da für deinen Sell beim Tagesangebot im Februar eine MAZ requested, da müssen wir aber noch mal das Wording für durchgehen und deine Performance besprechen, ne?“ (Seite 22) – Sätze dieser Machart kommen vielen von uns im Job locker über die Lippen. Und wer jemals mit Food-Fotografie zu tun hatte, würde auch nie Lebensmittel vom Set naschen, wie Andrea es anfangs mal versucht. Das vorgeschnippelte Gemüse ist mit Haarspray haltbar gemacht und das Haltbarkeitsdatum der Zutaten für die Showküche ist längst abgelaufen.

Die Kulissen beim Sen der sind aus Pappe, Waschbecken, Spülen und Toiletten haben keinen Wasseranschluss – was mitunter bei besonders lebhaften Warenpräsentationen zu kuriosen Pannen führt. Die Schweinerei, die der Reinigungsmittelexperte zu Vorführzwecken anrichtet, kann nicht mehr weggespült werden, und weil alles live ist, geht die Putzmittelvorführung voll in die Hose. Ein anderes Mal bricht die Deko zusammen, als der Moderator sich gewichtig aufstützt, mal fällt eine Expertin vor laufender Kamera in Ohnmacht. Und ein kompletter Sendetag endet in Scherben, Chaos und Desaster, weil die Präsentatoren trotz strengen Alkoholverbots Sekt und Wodka picheln und angeschickert vor die Kamera treten. Das hätte man doch zu gerne gesehen!

Manchmal klappen auch die Taschenspielertricks nicht, mit denen die Experten die Fernsehzuschauer von der Qualität ihrer Produkte überzeugen wollen. Der Fleck bleibt im Stoff und die angebrannten Speisereste lassen sich durch nichts aus dem angepriesenen Kochtopf entfernen. Manche Leute schauen vermutlich nur deshalb Shopping-TV, weil sie auf solche „Spezialeffekte“ warten.

Mitunter sorgt auch die Eitelkeit der Akteure für Peinlichkeiten und Katastrophen. Eigentlich sollten sich der Moderator und der Produktexperte/Verkäufer vor der Kamera die verbalen Bälle zuspielen. Auf den Zuschauer soll das so wirken, als lausche er einem Gespräch zweier Bekannter, die sich zufällig über die Vorzüge dieses tollen Produkts austauschen. Es funktioniert nur nicht, wenn Moderator und Experte einander nicht ausstehen können oder wenn einer von beiden schlecht vorbereitet ist. Was quasselt Moderator Stefan, der Traum aller Schwiegermütter, da von Garten, Pferd, Tee und Butler, wenn Andrea gerade einen Hausanzug verkaufen soll?

Dem Moderator kann nicht viel passieren, wenn eine Präsentation vergeigt wird. Der ist fest angestellt. Der „Produktexperte“ dagegen ist selbständig, kann beliebig vertraglich geknebelt, gebucht oder ausgetauscht werden. Und er steht und fällt mit seiner Marke. Läuft das Produkt nicht (mehr), das er präsentiert, bekommt er kein anderes, sondern ist weg vom Fenster. Das ist der Ausgangspunkt für Neid, Konkurrenzdruck, Misstrauen und Intrigen bis hin zur handfesten Sabotage. Dagegen nehmen die abartigen Arbeitszeiten und –bedingungen geradezu harmlos aus.

Wenn gestandene Verkaufsexpertinnen sich auf dem Hof des Sendegeländes keifend im Staub wälzen und sich gegenseitig die künstlichen Haarverlängerungen ausreißen, weil sie sich in einer geschäftlichen Angelegenheit uneins sind, dann ist das kein normales Arbeitsklima mehr sondern der Wahnsinn in Tüten. Das ist Andrea Volk auch klar. Über eine andere Kollegin schreibt sie: „Corinna hatte auch noch einen anständigen Beruf, wie sie stets betonte, sie hatte mal Krankenschwester gelernt. In der Psychiatrie. Im Grunde hatte sich also für sie nichts geändert.“ (Seite 74)

Eine Tätigkeit beim Teleshopping ist bei niemanden eine Lebensstellung. Entweder man wird meschugge oder geht irgendwann mit einem Produkt baden. Und wenn einer schlauer sein will als das System – wie Mark und Ingrid in dem Buch -, kommt er damit auch nicht weit. So fies und clever ihr Plan auch sein mag, die Oberkasper des Senders sind immer einen Tick schneller und perfider.

Irgendwann ist auch für Andrea Volk Schluss mit dem Telewahnsinn. Die Zeit beim Sender empfindet sie rückblickend als „aufregend, wunderbar, lustig, furchtbar, unerträglich, fantastisch und psychologisch wertvoll.“ Sie schreibt: „Ich habe viel gelernt, viel gelacht, tolle und blöde Menschen kennengelernt und den Kapitalismus von innen.“ (Beide Zitate Seite 271)

Dem Leser ergeht es ähnlich. Er lernt viel übers Verkaufen und schwankt ständig zwischen schadenfrohem Grinsen, fassungslosem Staunen und akutem Fremdschämen. Nie wieder wird man unbefangen in einen Teleshopping-Kanal reinzappen können, ohne an das neurotische Gruselkabinett zu denken, das Andrea Volk in ihrem Buch beschreibt. Wer je in die Versuchung geraten ist, dort etwas zu erwerben – die Leute verstehen ja ihr Geschäft -, der wird nach diesem Buch vermutlich kuriert sein.

Ein Wunder, dass Andrea Volks Ex-Arbeitgeber nicht gerichtlich gegen das Buch vorgegangen ist. Keine Geschäftsleitung schätzt es, wenn die Innenansichten des Firmenwahnsinns an die Öffentlichkeit gezerrt werden. Vielleicht haben sie es versucht und konnten nichts dagegen ausrichten. Das ist schön für uns Leser, denn die Lektüre ist ebenso erhellend wie vergnüglich.

Die Autorin
Andrea Volk, Jahrgang 1964, lebt als Kabarettistin, Comedian und Autorin in Köln. Sechs Jahre lang arbeitete sie als Live-Präsenter bei Deutschlands größtem Teleshopping-Sender QVC, wo sie heimlich mitschrieb.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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