Sabine Klewe: Schwanenlied, Meßkirch 2013, Gmeiner Verlag, ISBN 978-3-8392-1428-2, Softcover, 249 Seiten, Format: 19,8 x 12 x 2 cm, EUR 9,99 (D), EUR 10,30 (A), EUR 8,99 (Kindle Edition).
„Was ging hier vor? Worüber redeten die Männer? Es klang so, als seien sie nicht im Mindesten überrascht, dass in einem abgelegenen Eifeldorf eine Mumie in einer Geheimkammer aufgetaucht war. Gerade so, als sei dies ein ganz alltäglicher Vorgang.“ (Seite 45)
Aus gutem Grund hat der Journalist Manfred Kabritzky, 40, ein gespanntes Verhältnis zu seiner Herkunftsfamilie. Als Teenager hat er sein Elternhaus in der Eifel verlassen und war seither nie wieder dort. Jetzt ist sein Großonkel Marius gestorben und hat ihm einen Bauernhof in Kestenbach hinterlassen. Manfreds Lebensgefährtin, die Fotografin Katrin Sandmann, muss mit Engelszungen auf ihn einreden, damit zu der Beerdigung fährt und das Erbe annimmt. Wenn er seine Heimat so sehr hasst, muss er ja nicht dort wohnen. Sie können den Hof verkaufen, und vielleicht bleibt ja genügend Geld übrig, um ihren Traum von einer eigenen Privatdetektei doch noch Wirklichkeit werden zu lassen. Katrin hat nämlich eine Vorliebe für düstere Geheimnisse und deren Aufklärung und hat sich schon mehrfach erfolgreich als Amateurdetektivin betätigt.
Tatsächlich: Manfred kapituliert. Kater Rupert wird bei Freunden untergebracht, und auf geht’s in die Eifel.
Nur widerwillig erklärt Manfred sich bereit, sein Erbe zu inspizieren. Stur bleibt er im Auto sitzen, während Freundin Katrin den Grauweiler-Hof gründlich in Augenschein nimmt. Der Großonkel war wortkarg und eigenbrötlerisch und hat auf modernen Wohnkomfort offenbar keinen Wert gelegt. Als Katrin in dem uralten Wohnzimmerschrank kramt, bricht plötzlich die Rückwand durch und sie landet in einer geheimen, spärlich eingerichteten Kammer. Auf dem Bett liegt die Mumie einer Frau!
Die alarmierten Dorfpolizisten sind mit diesem Fund überfordert. Na ja, die Tote auf dem Bett wird wohl die Mutter von Marius Grauweiler sein. Die Dorflegende berichtet, dass sie während des Krieges verstorben sei, aus irgendwelchen seltsamen Gründen nicht begraben wurde und seitdem als „Schwarzer Dämon“ auf dem Hof spukt. Leiche begraben, Feierabend. So stellen sich die zwei Dorfsheriffs das vor. Doch Katrin Sandmann lässt das nicht zu. Sie hat von früheren Fällen her noch gute Kontakte zur Polizei und sorgt dafür, dass die Mumie gründlich untersucht wird.
Von wegen Mutter! Es handelt sich bei der Toten um ein junges Mädchen mit afrikanischen Wurzeln, das irgendwann zwischen den 50-er und 70-er Jahren verstorben sein muss. Woran, kann man noch nicht sagen.
Wie kommt ein dunkelhäutiges Mädchen in ein abgelegenes Eifeldorf? War sie eine Ausreißerin, die der Onkel versteckt hat? Oder war er gar ein Kinderschänder, der Kind gefangen hielt? Ist dieses Mädchen der Ursprung der Geschichten vom „Schwarzen Dämon“? Wer war sie? Wie kam sie in die Kammer? Und woran ist sie gestorben? Hat sie etwas mit dem amerikanischen Soldaten David Freeman zu tun, der in den 70-er Jahren hier in der Gegend verschwunden ist? Oder mit dem Besuch der US-Anwältin Rosemary Alcott, die seit im gleichen Hotel logiert wie Manfred und Katrin? Sie sei im Auftrag eines Klienten hier, hat sie erzählt. Doch ein Autounfall setzt ihren Plänen ein jähes Ende. Statt bei einer Besprechung landet Mrs. Alcott als Komapatientin im Krankenhaus.
So ein kleines Dorf ist ja überschaubar. Und normalerweise kann man davon ausgehen, dass jeder alles über alle weiß. Doch besonders gesprächig ist man hier nicht, vor allem nicht gegenüber Fremden. Und schon gar nicht, wenn man selbst Geheimnisse hat wie die Dorf-Tunichtgute Dieter, Klaus und Thomas, die mittlerweile auch schon Mitte 50 sind, aber offenbar noch immer nicht vernünftig. Oder wie Roswitha, deren spontane Notlüge ungeahnte Konsequenzen nach sich zieht.
Anna Henk, knapp 70, hat schon immer in Kestenbach gelebt und könnte am ehesten etwas von den alten Geschichten wissen. Leider ist sie seit Jahrzehnten schon etwas unsortiert im Oberstübchen. Sie bringt ihre Erinnerungsfragmente nicht mehr zu einer Geschichte zusammen. Doch an etwas erinnert sie sich noch genau: an den US-Soldaten David Freeman und seine Mission.
Katrin Sandmann hat eine Theorie. Auch Dorfarzt Dr. Radewald betreibt Recherchen und kramt im Archiv seines Vorgängers. Wenn sie mit ihren Vermutungen Recht haben, sind sie einer tragischen Familiengeschichte auf der Spur. Doch es muss noch mehr dahinterstecken, denn auf einmal ist die verwirrte Anna Henk verschwunden. Und sie kann nicht freiwillig gegangen sein. Hat sie doch etwas gewusst, das ihr jetzt zum Verhängnis geworden ist? Katrin und Manfred befürchten das Schlimmste und machen sich auf die Suche nach ihr …
Was wie eine Gruselgeschichte anfängt, entwickelt sich zu einer schrecklichen Familientragödie. Im Grunde sind es mehrere Tragödien, die hier zusammenkommen. Weil sich verschiedene Menschen nicht in der Lage sehen, die Konsequenzen ihres Tuns zu tragen, geschehen entsetzliche Dinge. Manchen Beteiligten kann man nicht einmal einen Vorwurf machen. Sie wussten sich nicht anders zu helfen oder meinten gar, das Richtige zu tun.
SCHWANENLIED bietet eine spannende Spurensuche mit überzeugenden Figuren und nachvollziehbaren Konflikten. Und wenn sich manche Personen noch so unmenschlich verhalten haben: Man kann verstehen, was sie dazu bewogen hat.
Die ist bereits der 5. Fall für Amateurdetektivin Katrin Sandmann, doch ist das Buch ein komplett eigenständiges Werk. Zwar wird erwähnt, dass die Heldin schon reichlich Erfahrung darin hat, Geheimnisse zu lüften, doch gibt es an keiner Stelle Irritationen, wenn man die vorigen vier Bände nicht gelesen hat. Dass man dieses Versäumnis nun schleunigst nachholen möchte, kann natürlich passieren …
Die Autorin
Sabine Klewe, Jahrgang 1966, lebt als freie Schriftstellerin in Düsseldorf. Sie studierte in London und an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, wo sie viele Jahre als Lehrbeauftragte tätig war. Im August 2004 erschien mit „Schattenriss“ der erste Band ihrer Krimireihe mit der charismatischen Amateurdetektivin Katrin Sandmann. In „Schwanenlied“ begibt sich Katrin zum fünften Mal auf Mörderjagd.
Rezensent: Edith Nebel
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