Ingrid Geiger: Nougatherzen – Roman

Ingrid Geiger: Nougatherzen, Tübingen 2013, Silberburg-Verlag, ISBN 978-3-8425-1276-4, 255 Seiten, Softcover, Format: 18,8 x 11,8 x 2 cm, Buch: EUR 12,90, Kindle Edition: EUR 9,99.

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„Wir suchen die Wahrheit,
finden wollen wir sie aber nur dort,
wo es uns beliebt.“ (Marie von Ebner-Eschenbach),
(Seite 198)

Ein alter Herr steigt im schwäbischen Neubach aus dem Bus, wird von einem Auto angefahren und verliert das Gedächtnis. Er hat weder Geld noch Papiere bei sich, nur einen Zettel mit der Adresse einer 83-jährigen ortsansässigen Witwe: Elisabeth „Elly“ Engelmann. Von ihr erhofft sich Dorfpolizist Ulli allerdings vergeblich Aufklärung. Das Foto des Verunglückten sagt ihr nichts, und auch ein Besuch im Krankenhaus bringt keine neuen Erkenntnisse. Elly hat keine Ahnung, wer der Mann ist und was er von ihr wollen könnte.

Der bedauernswerte Kerl erweist sich allerdings als überaus sympathisch, kultiviert und humorvoll, und Elly kann den Gedanken nicht ertragen, dass so ein feiner Herr nach seiner Entlassung aus der Klinik in ein Obdachlosenasyl muss, wenn sich seine Identität nicht feststellen lässt. Sie verpasst ihm kurzerhand den Namen „Alexander“ und bietet ihm an, nach seinem Krankenhausaufenthalt in ihrem Haus wohnen zu dürfen. Aber erst mal muss er für ein paar Tage in die Rentner-WG von Hugo, Ernst und Karl, denn in Ellys Haus tobt noch das Handwerker-Chaos.

Alexander sind diese großzügigen Hilfsangebote ungeheuer peinlich. Aber was soll er machen? Viel hat er bis jetzt nicht über sich herausgefunden. Er spricht hochdeutsch und russisch und versteht das Schwäbische einwandfrei. Er kann Klavier spielen und ist einigermaßen versiert in Haushaltsdingen.
„Du bisch ledig oder Witwer“, behauptete Ernst, „sonsch wärsch net so gschickt bei dr Küchearbeit.“ (Seite 29)

Als Ellys Angehörige von ihrem „Findelmann“ erfahren, schicken sie vorsichtshalber Enkelin Pia bei ihr vorbei. Als freiberufliche Übersetzerin ist sie als einzige spontan abkömmlich. Ihr Büro ist, wo ihr Laptop ist. Eilig düst sie von Köln nach Neubach um nach dem Rechten zu sehen. Nicht, dass Oma Elly noch einem Heiratsschwindler aufsitzt!

Einerseits ist es Pia unangenehm, die Oma kontrollieren zu müssen, andererseits besucht sie sie gerne. Die Ferien auf dem Lande waren immer traumhaft, und Pia hat noch ein paar Freunde aus Kindertagen in der Gegend. Da ist zum Beispiel Felix, der aus einer italienischen Familie stammt und inzwischen ein Ristorante in Kirchheim betreibt. Er war immer wie ein großer Bruder für sie. In seinem Lokal verbringt sie viel Zeit — und verliebt sich in einen Gast, den Unternehmensberater Ruben. Den hält Oma Elly zwar für einen arroganten Schleimbeutel, aber das würde sie nie sagen. Bringt ja nix. Lieber sähe sie es, wenn Pia mit ihrem Jugendfreund Felix zusammenkäme.

Umgekehrt findet Pia an Oma Ellys Mitbewohner Alexander nichts auszusetzen. Es ist rührend, wie die beiden alten Herrschaften miteinander umgehen. Elly betütelt ihren Gast und versucht, mit Ausflügen in die Umgebung seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. Er scheint eine Verbindung zur Stadt Esslingen zu haben. Alexander versucht, sich mit kleinen Aufmerksamkeiten zu revanchieren. Viel Geld hat er ja nicht. Er verdient ein bisschen als Pianist im Buchcafé und gewinnt kleinere Beträge, wenn er mit den Herren der Rentner-WG Karten spielt. Dass es dabei nicht ganz mit rechten Dingen zugeht, weiß nur Elly.

Alles könnte eigentlich so weiterlaufen, bis irgendwann Alexanders Gedächtnis zurückkehrt. Doch dann wird Pia zufällig Ohrenzeugin eines merkwürdigen Telefongesprächs. Weiß Alexander etwa, wer er wirklich ist? Hat er den Gedächtnisverlust von Anfang an nur vorgetäuscht? Oder ist sein neues Leben so viel attraktiver als das alte, dass er lieber Alexander bleiben möchte? Wie auch immer: Diese Unehrlichkeit geht gar nicht!

Aber was soll Pia jetzt tun? Oma Elly informieren? Das würde ihr das Herz brechen! Seit Alexander da ist, ist sie regelrecht aufgeblüht. Soll sie Alexander zur Rede stellen? Und wenn er gefährlich ist? Ihn auszuspionieren, bis klar ist, was er im Schilde führt, wäre wohl das Beste. Aber dafür lässt ihr das aufregende Leben an der Seite von Ruben keine Zeit …

Ach, ist das herrlich! Ein witzig-spritziger Wohlfühl-Roman für Mädels jeden Alters, sofern die schwäbisch verstehen. Denn zentrale Nebenfiguren schwätzen mehr oder weniger breiten Dialekt.

Die Romanfiguren haben allesamt so „normale“ Macken, dass man sie persönlich zu kennen meint: die naseweise Nachbarin … der Onkel, der jede Familienfeier sprengt, weil er unaufhörlich über sein Lieblingsthema schwadroniert … die wohlmeinenden Tanten, die sich überall einmischen … die Dramaqueen-Schwester, bei alles und jedes ein Problem ist … die junge Eltern, die ihren Kindern lächerliche Vornamen geben und sie nach Lehrbuch erziehen …

Die Reisevorbereitungen, die Oma Elly trifft, ehe sie für drei Tage das Haus verlässt, sind zum Piepen! Genau so kennt man das von Verwandten dieser Generation! Und manch eine der Marotten hat man womöglich selbst schon übernommen. Kurzum: Man hat als LeserIn viel Spaß in Neubach, bis sich die familiären und emotionalen Verwicklungen in Wohlgefallen aufgelöst haben.

Ein paar der köstlichen Gerichte aus Felix‘ Ristorante kann man nachkochen. Im Anhang gibt es nämlich Rezepte. Die stammen aus dem Restaurant Pasta Fresca in Kirchheim, das Vorbild war für das Lokal im Buch. Felix und Pia sucht man dort allerdings vergeblich …

Die Autorin
Ingrid Geiger, geb. 1952 in Reutlingen, verbrachte ihre Jugend- und Studienzeit in Köln. Nach ihrer Heirat kehrte sie nach Baden-Württemberg zurück. Sie lebt heute mit ihrer Familie in einer ländlichen Gemeinde am Fuße der Schwäbischen Alb.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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