James Winter: Wie die Helene zur Birne kam – 50 Rezeptklassiker und ihre Geschichte, OT: Who Put the Beef in Wellington, 50 culinary classics, who invented them, when and why, Übersetzung aus dem Englischen: Christa Trautner-Suder, Weilheim. München 2013, Verlag Georg D. W. Callwey, ISBN 978-3-7667-2041-2, Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 189 Seiten mit zahlreichen Abbildungen in Farbe und Schwarzweiß, Format: 27,2 x 20,8 x 2,2 cm, EUR 29,95.
Ceasar-Salat, Rindercarpaccio, Boeuf Stroganoff, Pizza Margherita und Birne Helene – irgendjemand muss diese Gerichte irgendwann erfunden und ihnen die klangvollen Namen gegeben haben. Und irgendwas müssen diese Salate, Hauptspeisen und Desserts an sich haben, das sie zu Klassikern werden ließ, die sich in aller Welt verbreiteten.
James Winter, der britische Autor und Produzent einer TV-Kochshow, hat sich auf Spurensuche begeben und eine Fülle von Rezepten, Informationen und Anekdoten zusammengetragen. Jedem porträtierten Gericht sind vier Seiten gewidmet: Eine mit zeitgenössischen Motiven bebilderte Doppelseite, die sich mit der Entstehungsgeschichte befasst und eine weitere Doppelseite mit dem entsprechenden Rezept und einer appetitlichen Food-Aufnahme, die jeweils von der Fotografin Isobel Wield stammt.
Wer hätte gedacht, dass der berühmte US-amerikanische Caesar-Salat 1924 eine Verlegenheitslösung war? Aus Resten musste der Gastronom Ceasar Cardini auf die Schnelle etwas zaubern. Seine prominenten Gäste waren begeistert. Der Melba-Toast, eine Kreation des Meisterkochs Auguste Escoffier, half nicht nur einer erkrankten Künstlerin wieder auf die Beine, er machte auch Karriere als Diätkost für abnehmwillige Hollywoodstars. Die Eier Benedikt starteten als Katerfrühstück, und das Rindercarpaccio ließ sich 1950 ein Barkeeper für eine gute Kundin einfallen, der der Arzt zum Verzehr von rotem Fleisch geraten hatte. Aber das mochte sie nicht. Namenspate für das neue Gericht war ein italienischer Maler. Aus gutem Grund!
Um das Boeuf Stroganoff ranken sich viele Geschichten, keine jedoch ist gesichert. Und welche Verbindung sehen wohl Lebensmittelhistoriker (ja, sowas gibt es!) zwischen dem Beef Wellington und den Wellington-Gummistiefeln? Wir wollen doch nicht hoffen, dass Konsistenz und/oder Geschmack des gefüllten Rinderfilets in Blätterteig der Grund dafür sind …
Ob das Huhn Marengo wirklich ein Produkt aus Napoleons Feldküche ist, ist Glaubenssache. Eine makabere und tragische Geschichte verbirgt sich auf jeden Fall hinter der Entwicklung der Sauce Choron. Wie die Austern Rockefeller zu ihrem Namen kamen, ist strittig. Doch auch sie waren eine Notlösung, die sich Chefkoch Antoine Alciatore in seinem Restaurant in Lousiana blitzschnell einfallen lassen musste. Und der Hummer Thermidor hat das Theaterstück, nach dem er benannt wurde, an Berühmtheit weit übertroffen.
Wer weiß schon, dass der Kartoffelkuchen Pommes Anna nach einem leichten Mädchen benannt wurde, wohingegen die Pizza Margherita wie eine italienischen Königin heißt? Dass der Margherita-Belag aus Mozzarella, Basilikum und Tomate die Farben der italienischen Flagge repräsentieren soll, dürfte den wenigstens Pizzafreunden bewusst sein.
Wie genau Stephanie Tatin, die um 1880 zusammen mit ihrer Schwester ein Hotel in Zentralfrankreich betrieb, auf die Idee kam, erst die Äpfel in die Backform zu füllen und dann erst den Teig, wird auf ewig ihr Geheimnis bleiben. Tatsache ist, dass die Tarte Tatin bis zum heutigen Tag beliebt ist. Und was ist jetzt mit der titelgebenden Birne Helene? Hier stand keine schöne Unbekannte Pate, sondern eine Operette von Jaques Offenbach. Auch wenn man die Schöpfung dieses Nachtischs oft dem Küchenchef Auguste Escoffier zuschreibt: Er kann es nicht gewesen sein. Das Rezept ist älter.
Vollends unmöglich scheint es zu sein, die Urheberschaft berühmter Cocktails nachzuweisen. Es gibt eine Vielzahl amüsanter Anekdoten, die einander widersprechen. Einigermaßen gesichert scheint die Entstehungsgeschichte des Bellini zu sein, bei dem das Ziel war, ein Getränk in einer ganz bestimmten Farbe zu kreieren. Auch ein interessanter Ansatz …
Viele der Gerichte in dem Buch waren nie dazu gedacht, in Privathaushalten nachgekocht zu werden und sind entsprechend kompliziert und aufwändig. Für Freunde der schnellen Küche ist das also nichts. Die Frage ist auch, wie es dem Buch bekommt, wenn man es wirklich mit in die Küche nimmt. Es ist nämlich nicht auf dem glatten, glänzenden und abwischbaren Papier gedruckt, das man sonst aus gutem Grund für Kochbücher verwendet. Vielleicht sollte man das Buch wirklich nur als unterhaltsame Wissens- und Anekdotensammlung lesen und nicht danach kochen.
Man merkt, dass der Autor Brite ist und natürlich die Gerichte beschreibt, die aus seiner Sicht Klassiker sind. So sind eine Anzahl Rezepte ins Buch gekommen, bei denen man sich als Leser aus dem deutschsprachigen Raum fragt, ob man die außerhalb des Commonwealth überhaupt kennt. Krönungshühnchen? Lamingtons? Garibaldi-Kekse? Nie gehört! Und an der Woolton-Pie, einem Notzeiten-Essen aus dem Zweiten Weltkrieg, dürften allenfalls Briten ein gewisses historisches Interesse haben. Vielleicht sollte man das Buch bei jeder Übersetzung mit ein paar „ortsbekannten“ Rezepten ans jeweilige Publikum anpassen: Fürst-Pückler-Eis statt Garibaldi-Kekse, Szegediner Gulasch statt Krönungshühnchen und Toast Hawaii anstelle der Woolton-Pie … nur um ein paar Beispiele zu nennen. Es gibt sicher glamourösere Gerichte als die von mir genannten, die einen Platz in diesem Buch verdient hätte.
Auch wenn der Band ein wenig englandlastig ist – er ist eine Fundgrube an amüsanten Geschichten, interessanten Informationen und leckeren, wenngleich aufwändigen Rezepten. Es wäre möglicherweise sinnvoll, die besonders komplizierten Gerichte im Restaurant zu genießen und seine Tischgesellschaft mit wohldosierten Klugschnacker-Informationen aus James Winters Buch zu unterhalten.
Der Autor:
James Winter ist britischer Autor und Produzent der Serie Saturday Kitchen der BBC, einer Talentkochshow, die schon einige erfolgreiche Köche hervorbrachte. In der britischen Kochszene gilt er als einer der einflussreichsten Köpfe.
Rezensent: Edith Nebel
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