Zustand oder Prozess?

Ist Trauer tatsächlich nur ein Prozess, der irgendwann mal abgeschlossen ist, oder nicht doch ein permanenter Zustand, der den Alltag wie ein ständiges Rauschen überlagert? So ungefähr wie ein mentaler Tinnitus, vielleicht?

Oder mischen sich bei mir die Ängste, die ich ohnehin hatte, nun mit dem Schmerz über den Verlust des Lebenspartners? Dass ich in familiären Angelegenheiten irgendwann Entscheidungen treffen werden muss, die nicht so ganz ohne sind, ist mir seit Jahren klar. Und da wäre mir der Mann vermutlich auch keine große Hilfe gewesen. Auch liebe Freunde und Verwandte können allenfalls ihre Meinung kundtun, mir aber nichts abnehmen.

Und dass ich irgendwann – in 120 Jahren – vor der Mammutaufgabe „Elternhaus“ stehe, weiß ich auch. Egal, wie ich mich entscheide, ob ich da selbst einziehe, es vermiete oder verkaufe, ich werde es ausräumen und ggf. renovieren (lassen) müssen. Eine Herkulesaufgabe, bei der ich nicht so recht weiß, wie ich sie im Ernstfall anpacken und bewältigen soll … so ganz allein. Auch da wäre von meinem Partner krankheitsbedingt nicht mehr viel Unterstützung zu erwarten gewesen. Eine Meinung hätte er zu diesem und jenem aber schon gehabt. Vielleicht.

Derzeit krieg ich schon die Krise, wenn achtunddrölfzig Nachfragen wegen Gerhards Nachlass kommen und die Heizungsfirma nun den fünften Anlauf nimmt, um die Kesseltherme in meiner Wohnung – ich will immer noch „unsere“ sagen – zu reparieren. Wie soll ich da dermaleinst eine 50 Jahre alte Doppelhaushälfte auf den neuesten technischen und energetischen Stand bringen und auch noch einen Umzug organisieren?

Elternhaus, durch die Blume gesehen.
Elternhaus, durch die Blume gesehen.

Gut, das steht jetzt alles nicht unmittelbar an. Zum Glück. Aber es kommt auf mich zu, und ich fürchte mich davor, von alledem überfordert zu sein. Ich mag ein bisschen Erfahrung auf dem Gebiet haben, aber am Ende des Tages bin ich halt doch nur eine alleinstehende mittelalte Büromaus, die froh ist, wenn sie ihren Job und ihren Haushalt irgendwie auf die Reihe kriegt. Für Mammutaufgaben fehlen mir Nerven, Zeit und Energie.

Ich frage mich ernsthaft, was ich jetzt eigentlich brauche: Einen zuverlässigen Bauleiter oder einen Psychotherapeuten?

Eine Ecke von unserem Haus in Denkendorf
    Eine Ecke von unserem Haus in Denkendorf

 

2 Kommentare

  1. Liebe Edith, du brauchst in allererster Linie erst mal noch Zeit. Und ein bisschen Geduld mit dir selbst. Ich bin sehr sicher, dass du alle Aufgaben, die noch auf dich warten oder sich neu ergeben werden, lösen und erledigen wirst. Nämlich dann, wenn du wieder weißt, dass du nicht nur eine mittelalte Büromaus bist, sondern auch eine toughe Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht. Nach der Zeit der größten Trauer kommen auch Nerven und Energie zurück. Sei jetzt bitte nicht so streng mit dir und gestatte es dir, dich in diesem JAHR mal einfach schwach und allein zu fühlen.
    Ich schicke dir unbekannterweise gute Gedanken und hoffe, sie kommen an.

    1. Biggi, ich danke dir. Theoretisch ist mir das schon klar. Aber ich hasse es, mich schwach und allein zu fühlen. (Wer nicht?) Und ich hätte, wenn ich schon mein altes Leben nicht zurückhaben kann, wenigstens gerne meine alte Stärke gerne wieder. Dass das dauert, bis ich wieder zu alter Form auflaufe, ahne ich. Leider gehöre ich zu der Sorte Mensch, die am liebsten beten würde: „Herr, gib mir Geduld – aber sofort!“

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