Britt Reißmann: Blutopfer – Kriminalroman

Britt Reißmann: Blutopfer – Kriminalroman, München 2014, Diana Verlag, ISBN 978-3-453-35772-3, Softcover, 398 Seiten, Format: 18,6 x 11,8 x 3,4 cm, Buch: EUR 8,99 (D), EUR 9,30 (A), Kindle Edition: EUR 7,99.

Abbildung: (c) Diana-Verlag
Abbildung: (c) Diana-Verlag

„Hannah, ich habe im Moment so viele Baustellen, dass Stuttgart 21 ein Legohaus dagegen ist. Ich kämpfe in allen Richtungen gegen Windmühlen. Und so sehr ich mich auch anstrenge, ich erreiche nichts und niemanden.“ (Seite 267)

Eine Gruppe Teenager trifft sich im Stuttgarter Haldenwald zu einer wahnwitzigen Mutprobe – und findet dabei die schrecklich zugerichtete Leiche einer Chirurgin aus dem Katharinenhospital. Dr. Ewa Salgam, 60, wurde geschändet, getötet und in eine 5 Meter tiefe Schlucht geworfen.

Kriminalkommissarin Verena Sander, 45, ist die zuständige „Leichensachbearbeiterin“ und entsetzt darüber, ihre 14-jährige Tochter Mona am Leichenfundort anzutreffen, noch dazu mit einer Knöchelverletzung. Dass Mona sich mit Leuten herumtreibt, die unter Lebensgefahr im Wald herumklettern, hätte sie nie gedacht. Den Anblick der Leiche hätte sie ihr auch gerne erspart.

Jetzt muss das Mädchen erst einmal verarztet werden. Und es braucht einen Therapeuten, um das schreckliche Erlebnis zu verarbeiten. Die Jugendpsychologin Hannah Gotthardt, bei der sie schließlich einen Termin bekommt, entpuppt sich als eine alte Bekannte von Verena. Hannah kannte die Tote beruflich. Dr. Salgam hat ihr manchmal Patienten überwiesen. Doch über sie als Person kann sie nicht viel sagen, genau wie die Kollegen aus dem Katharinenhospital.

Nicht besonders traurig über Dr. Ewa Salgams Tod scheint ihr Sohn Leander zu sein. Er hatte Probleme mit seiner Mutter. Aber hatte er auch einen Grund, ihr etwas anzutun? Ganz schlecht auf die Ärztin zu sprechen war Thomas Magnus, ein überzeugtes Mitglied der Zeugen Jehovas. Er hatte sie verklagt, weil sie seiner Tochter Emily nach einem Unfall mit einer Blutkonserve das(irdische) Leben gerettet hat. Mit der Gabe von Fremdblut hat sie seiner Meinung nach Emily die Chance auf das ewige Leben genommen.

Hat Magnus sich dafür gerächt? Befragen kann Verena ihn nicht, er verschwunden. Die Geschichte, die seine Frau ihr auftischt, glaubt Verena nicht. Sie weiß, wie die Zeugen Jehovas denken – sie ist selbst in dieser Gemeinschaft aufgewachsen. Warum nur will niemand ihren Argumenten folgen? Staatanwalt Triberg jedenfalls weigert sich, einen Haftbefehl für Magnus auszustellen.

Obwohl Stuttgart kein Dorf ist, ergeben sich diverse Querverbindungen: Emily Magnus ist eine Schulkameradin von Verenas Tochter, kennt die Mutproben-Clique und ist Patientin bei Therapeutin Hannah Gotthardt. Die darf natürlich der Polizei gegenüber nicht plaudern. Schweigepflicht.

Monas Freunde sind als Augenzeugen unbrauchbar und benehmen sich pampig und großspurig. Es kommt zu ein paar unschönen Szenen, in denen nicht ganz klar ist, ob Verena als besorgte Mutter oder als ermittelnde Polizeibeamtin auftritt. Das gibt Ärger mit den Vorgesetzten. Diese Situation ruft Verenas geschiedenen Ehemann Fabio auf den Plan: Wenn seine Ex weder Ermittlung noch Erziehung im Griff hat, wäre es vielleicht besser, Mona würde zu ihm und seiner neuen Familie ziehen. Als freier Architekt hätte doch auch viel mehr Zeit für sie als Verena, die dauernd auf Achse ist. Das mag durchaus gut gemeint sein, aber Verena fühlt sich angegriffen, als Mutter in Frage gestellt und sie hat Angst, ihre Tochter zu verlieren. Und was sie derzeit am allerwenigsten gebrauchen kann, ist eine weitere „Baustelle“: Chef und Staatsanwalt sind angefressen, Kollege Roman Katz neidet ihr ihre Beförderung, der Fall geht nicht weiter und Jugendfreundin Hannah ist ihr zwar eine Stütze, hat aber auch ihre Probleme. Und Geheimnisse, die sie zu bewahren gedenkt – um jeden Preis!

Der Mordfall Dr. Ewa Salgam führt Verena – und damit die Leser – in den Bereich der Ärzte und Psychologen, in die Sado-Maso-Szene und in die Welt der Zeugen Jehovas. Auch Monas Teenie-Clique spielt eine wichtige Rolle. Man hat den Eindruck, jeder kennt jeden, die Wahrheit sagt keiner und Mordmotive gibt’s viele. Wie das alles zusammenhängt und was tatsächlich passiert ist, davon werden wir Leser genauso überrascht wie die Ermittler. Nur für uns ist die Überraschung weit weniger gefährlich …

Verena Sanders Privatleben ist hier untrennbar verquickt mit dem Fall. Tätersuche und Familienprobleme stehen nahezu gleichberechtigt nebeneinander. Weil sich die Problematik „Eltern und Kinder“ mehrfach in der Geschichte spiegelt und Verena aufgrund ihrer eigenen Situation ein besonderes Verständnis für die Beteiligten aufbringt, hat das hier seine Berechtigung und ist kein aufgesetztes „Gefühlsgedöns“.

Wird eigentlich irgendwo erklärt, wie Polizist Ströbele auf die Idee kommt, Kollegin Thea „Engelchen“ zu nennen? Das ist für den Handlungsverlauf zwar nicht wichtig, doch manch ein Leser mag sich erinnern: Thea Engel war die Heldin von Britt Reißmanns Stuttgart-Krimis aus dem Emons Verlag. Auch die Kollegen Michael Messmer, Walter Ströbele, Dezernatsleiter Rudolf Joost und Gerichtsmediziner Dr. Herbert Krach waren 2005 schon dabei, und tatsächlich auch Verena Sanders, die es sich damals schon zur Aufgabe gemacht hatte, die SOKOS mit Nervennahrung in Gestalt von Süßigkeiten zu versorgen. Nur Frau Baric ist im neuen Fall nicht mehr mit von der Partie. 😉

Wenn man die Personen schon kennt, ist es nett, wenn nicht, ist es auch kein Problem. BLUTOPFER ist ein völlig eigenständiger Roman. Man muss sich auch nicht in Stuttgart auskennen oder gar schwäbisch verstehen. Natürlich freut man sich als Einheimischer, wenn man die Schauplätze erkennt oder die Leute denselben lokalen Radiosender hören wie man selbst. Aber ein Regionalkrimi ist das Buch nicht. Die Geschichte wäre genauso spannend und interessant, wenn sie in einer anderen Stadt spielen würde.

Man lernt in diesem Krimi sogar einiges dazu … über die Zeugen Jehovas, über Psychologie und über andere Themen … Was man nicht tun sollte: die Danksagung der Autorin zuerst lesen. Die steht nicht umsonst hinten im Buch. Die Autorin beschreibt, zu welchen Themen sie recherchiert hat und damit ahnt man zu früh, was eine Person für ein Problem hat. Dies zur Warnung für neugierige Leute wie mich, die erst mal kreuz und quer blättern, ehe sie beginnen, eine Geschichte zu lesen.

Die Autorin
Britt Reißmann war Intarsienschneiderin und Sängerin. Seit 1999 arbeitet sie bei der Mordkommission Stuttgart und schreibt Krimis, die ganz besonders realitätsnah sind. Für ihren Roman „Der Traum vom Tod“ wurde sie mit dem DeLiA-Literaturpreis ausgezeichnet. „Blutopfer“ ist ihr erster Krimi im Diana Verlag. Britt Reißmann lebt mit ihrer Familie in Stuttgart.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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