Rocky: Model, Held und Frauenfeind

Eigentlich schon komisch … über jedes Findeltier, das sich ein paar Tage bei uns im Haus aufgehalten hat, gibt’s eine eigene Geschichte. Aber über Rocky, den langjährigen Oberboss in unserem Katzenhaushalt, gab’s bislang keine. Das liegt vielleicht daran, dass er so ein braver, unauffälliger Kater ist … von seiner Model-Karriere mal abgesehen.

Aber fangen wir ganz von vorne an, wie sich das bei einer vernünftigen Geschichte gehört: Nach dem Unfalltod unseres Katers Smokey entschlossen wir uns, möglichst rasch wieder eine Zweitkatze anzuschaffen, damit unsere Dusty sich nicht allein zu Hause langweilte, wenn wir bei der Arbeit waren. „Dann hat Smokeys Tod wenigstens etwas Positives“, sagte meine Kollegin Petra. „Ein anderes Katzenkind bekommt ein gutes Zuhause.“

Eine Kollegin meines Mannes hatte prompt einen Tipp für uns: Bei unserem Tierarzt am Ort hing gerade ein Zettel aus, dass 5 Hauskätzchen zu vergeben seien. Wir besorgten uns Name und Adresse, vereinbarten einen Termin und fuhren hin. Eine junge, pechschwarze Katzenmutti namens Alice hatte ein schwarz-weißes Mädchen und vier Tigerkaterchen geworfen. Die ganze Katzenbande wuselte mitsamt den Kindern des Hauses auf einem Matratzenlager in der Firma der Familie herum. Das schwarz-weiße Mädchen war schon vergeben, genauso wie einer der kleinen Tiger, den man zum Zweck der Unterscheidbarkeit mit einem roten Nagellackpunkt an seinem Schwänzchen markiert hatte.

Einen der Tiger, den Charly, wollte die Familie selbst behalten, und wir konnten uns zwischen den verbleibenden beiden nicht entscheiden. Alle wirkten sie gesund, quirlig und aufgeweckt. Sollten also andere Interessenten eindeutige Präferenzen haben, bitte. Wir würden dann eben den anderen Kleinen nehmen. Sein Name jedenfalls stand jetzt schon fest: Rocky sollte er heißen, wie der Boxer in dem Spielfilm, der am Vorabend im Fernsehen gekommen war.

Zwei Wochen später konnten wir unseren Rocky in Empfang nehmen. Mein Mann und mein Schwiegervater fuhren hin, um ihn abzuholen. Das Timing war nicht schlecht: Nach einem Sportunfall war mein Mann krank geschrieben und auf Krücken unterwegs. Er würde zwar nicht schnell genug sein, um einem wuseligen Katzenkind auf Schritt und Tritt hinterherzuhechten, aber zumindest war er zu Hause und hatte Zeit für den Kleinen.

Es war vermutlich noch ein bisschen früh für Rocky und seine Geschwister, von der Mutter getrennt zu werden. Ein bis zwei Wochen elterliche Aufsicht hätte ihnen sicher noch gut getan. Na gut, es musste auch so gehen. Dusty, unsere Erstkatze schied als Mutterersatz aus. Sie war, wie immer, von einem Neuzugang zunächst wenig begeistert und knurrte, fauchte und röhrte in den abartigsten Tönen. „Schalt‘ dein Nebelhorn ab, Dusty“, sagte ich. „Der Kleine bleibt.“

Am ersten Tag in seinem neuen Heim erkundete Rocky jeden Winkel der Wohnung und verkrümelte sich dann erschöpft hinter den Schlafzimmervorhang. (Dort sitzt er heute noch gern.) Am nächsten Morgen weckte uns ein fürchterliches Geplärr. „Ach je, mein Kleiner, weinst du nach deiner Mama?“, fragte ich und streichelte ihn ein bisschen. Zum Dank dafür biss er mich mit seinen Milchzähnchen in die Hand. Na, das konnte ja heiter werden!

Das Geplärr wollte einfach nicht verstummen, und so schnappte ich das Katerchen und setzte es zu meinem Mann aufs Kopfkissen, wo es sich umgehend in die Locken kuschelte und alsbald Ruhe gab. Ich ging ins Büro und überließ Dusty und „die Jungs“ ihrem Schicksal. Von da ab war die Sache für Klein-Rocky klar: Gerhard war sein neues Bezugslebewesen, sein Mensch, sein Dosenöffnungsberechtigter. Und ihm wich er nicht mehr von der Seite.

Der kleine Kater wuchs und gedieh. Noch heute habe ich die Tabelle mit seiner Gewichtszunahme in den ersten Monaten, denn Gerhard setzte ihn jede Woche einmal auf die Küchenwaage und führte penibel über die Daten Buch. Gedanken machte ich mir über die Fellzeichnung des Kleinen. Er hatte nur die minimalste Andeutung einer Tigerzeichnung. Sein Fell sah irgendwie eher nach Feldhase aus. „Meinst du, das bleibt so?“ fragte ich Gerhard. „Keine Ahnung. Vielleicht wird das Muster größer, wenn der Kater größer wird. Aber meinetwegen kann er sein Feldhasenfell auch behalten. Er ist okay so, wie er ist.“

Gerhard sollte Recht behalten: Mit Rocky wuchsen auch die Tigerstreifen, und er bekam eine wunderschöne, feine Fellzeichnung, die ihn äußerst fotogen machte. Schon als kleiner Welpe tauchte er in diversen Tierzeitschriften und Kalendern auf – und verdiente sich sein Whiskas und sein Kitekat mit dem Model-Honorar quasi selber.

Eigentlich hat Rocky nie was angestellt. Spontane Hirnfurzideen, wie seine Katzenkumpels sie hatten, waren ihm fremd. Er schmiss nichts aus den Regalen, grub keine Pflanzen aus, wickelte keine Klorollen ab und rannte auch nicht wie ein Bekloppter durch die Bude. Alles, was er tat, tat er langsam, gründlich und mit Bedacht. Er war von klein auf sozusagen der Beamte unter unseren Katzen. Sogar in Sachen Zerstörung ging er planvoll vor. Er war als Welpe der große Tapetenpeller. Wildes Kratzen lag ihm nicht. Er setzte sich lieber unter den Schreibtisch, suchte sich eine Stelle an der Wand, an der zwei Tapetenbahnen ineinander übergingen, hakte dort eine Kralle ein, und begann, mit Hingabe die Tapete von der Wand zu schälen … still, ruhig und sorgfältig. Das Ergebnis kriegte man erst mit, wenn es zu spät war: Eine kahle Wandfläche und ein Häufchen abgepellter Papierschnitzel.

Mit Frauen hat er’s nicht so, unser Rocky. Er schmust zwar auch mit mir, aber hauptsächlich dann, wenn Gerhard nicht in der Nähe ist. Aber eigentlich bin ich mehr so die Reserve-Bezugsperson, Dosenöffner und Klofrau. Personal, eben.

So gründlich wie Rocky in allem ist, ist er auch im Beleidigtsein, im Nachtragen und darin, jemanden zu verabscheuen. Als kleiner Welpe ist er mir mal voll gegen das Katzenklo gerannt, als ich es gerade nach dem Auswaschen im Hausflur etwas trocken wedelte. Er muss einen ordentlichen Brummschädel gehabt haben, denn er saß danach stundenlang völlig bedröppelt unter dem Sofa. Bis heute … 12 Jahre nach dem Ereignis … nimmt er mir das noch übel. Sobald ich etwas Großformatiges in den Händen halte – und wenn’s nur eine Jacke oder eine Decke ist -, wirft er mir einen vorwurfsvollen Blick zu und rennt wie die wilde Jagd davon.

Auch meine Mutter hat sich vor vielen Jahren in seinen Augen Unverzeihliches geleistet: Sie hat ihn mit einem Staubwedel von seinem Lieblingsplatz oben auf dem Wohnzimmerschrank aufgescheucht. Seit jenem Tag tauchte Rocky sofort in der Wohnung unter, sobald er meine Mutter auch nur reden hörte. Und er verließ sein Versteck erst wieder, nachdem sie nachweislich das Haus verlassen hatte. Sie hat ihn praktisch nie wieder gesehen … nur auf Fotos.

Selbst wenn sie während unserer Sommerurlaube 2 Wochen lang täglich zum Katzenversorgen und Blumengießen kam, blieb unser „Held“ und Frauenfeind unsichtbar. Ab und zu ruckelte sie probeweise an den Büchern im Wohnzimmer. Wenn es dahinter schlecht gelaunt vorfauchte, wusste sie: Aha, alles in Ordnung, Rocky lebt und ist im Hause. Ich bin nur mal gespannt, wie er sich aufführt, wenn er künftig im Urlaub von einer Catsitterin oder in einer Katzenpension betreut werden muss, weil die Familie das aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr kann. Bei den beiden anderen mache ich mir da keine Sorgen – aber wie wird unser Macho-Kater das wohl wegstecken? Bei allem grantigen Boss-Gehabe ist er doch unser Sensibelchen.

So sind sie eben verschieden, die Katzen. Wo unsere Dusty verschmust und anhänglich ist, Blacky verspielt, frech und aufdringlich, ist Rocky eben zickig und eigenwillig. Aber wir mögen jedes Tier so, wie es ist. Und wir hoffen, dass wir noch viele schöne Jahre mit unserem Model, Held und Frauenfeind Rocky haben werden – und mit dem Rest der Katzenbande.

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