Paul Grote: Sein letzter Burgunder – Mord am Kaiserstuhl. Kriminalroman, München 2012, dtv Deutscher Taschenbuch Verlag, ISBN 978-3-423-21391-2, Softcover, 428 Seiten, Format: 19 x 12 x 3 cm, EUR 9,95 (D), EUR 10,30 (A).
„Wenn ich Sie nicht vorher gekannt hätte, würde ich annehmen Sie hätten eine Gehirnerschütterung, Herr Meyenbeeker. Aber ich nehme an, Sie sind immer so. Was wissen Sie? Wer wollte Sie überfahren (…) Sie werden abgehört und schweigen. Man will Sie umbringen – und Sie schweigen. Die, wer immer sie sind, werden sich was Neues ausdenken und ihr Ziel erreichen.“ (Seite 316)
Nichts deutet auf große Gefahren hin, als der deutsch-spanische Journalist Henry Meyenbeeker seine Wahlheimat La Rioja für eine Geschäftsreise nach Deutschland verlässt. Er will Weingüter am Kaiserstuhl besuchen und darüber in seinem Newsletter berichten. Freunde und Verwandte möchte er besuchen und außerdem als Juror an der Baden-Baden Wein-Challenge teilnehmen. Der Heckler-Verlag hat ihn dazu eingeladen. Vier Tage lang soll er dort mit rund 140 anderen Experten Weine bewerten und außerdem ein Interview mit „Stargast“ Alan Amber führen, einem weltberühmten Weintester, von dessen Bewertungssystem er allerdings nicht viel hält.
Das Schlimmste, was normalerweise bei so einer Veranstaltung passieren kann, ist eine Auseinandersetzung mit einem anderen Jury-Mitglied. Schwätzer und Armleuchter gibt’s auch in dieser Branche, einigen davon ist Henry schon begegnet. Und er ist keiner, der diesen Zeitgenossen nach dem Mund redet!
Henrys spanische Lebensgefährtin Isabella Penasco – eine politisch engagierte Historikerin, die aus einer Winzerfamilie stammt – hat da ganz andere Befürchtungen. Henry neigt nämlich dazu, sich in irgendwelche Kriminalfälle einzumischen. Seine professionelle Neugier, gepaart mit einem starken Gerechtigkeitssinn und einer ordentlichen Portion Sturheit bringt ihn immer wieder in Schwierigkeiten. Und er scheint schon wieder auf dem besten Weg zu sein: Jürgen Templin, ein Winzer aus Bötzingen, den Henry von früheren Besuchen her als talentierten Fachmann in Erinnerung hatte, hat inzwischen nicht nur Frau und Sohn verloren sondern auch sein Weingut. Henry ist sicher, dass nichts davon mit rechten Dingen zuging. Und auch mit Templin selber stimmt was nicht …
Ach, dann soll er doch ermitteln! Isabella hat daheim in Spanien genügend eigene Probleme. Sie bekommt Drohbriefe, und auf dem Weingut ihres Vaters hat jemand Chlorbleichlauge in die Weintanks geschüttet und damit 20.000 Liter Wein vernichtet. Ist das politisch motiviert, wirtschaftlich oder eine „Beziehungstat“ innerhalb des Familienclans?
Henry Meyenbeeker ärgert sich derweil durch die Baden-Baden Wein-Challenge. Blödmänner und Blödfrauen, wohin man schaut! Den Veranstalter, Dirk Heckler, kann er nicht leiden. Seinen Mitarbeiter, den „Kettenhund“ Oliver Koch, noch viel weniger. Die Verlagsangestellte Marion Dörner flirtet aufdringlich und das Geschwätz von Weinpapst Alan Amber ist unerträglich. Deswegen hätte man ihn aber nicht gleich ermorden müssen. Doch genau das passiert. Nachdem Amber im Spielcasino einen Batzen Geld verloren hat, liegt er tot in seinem Hotelzimmer. Erschossen! War’s ein Winzer, den er mit seiner Bewertung ruiniert hat? Oder ein gehörnter Ehemann? Die Spekulationen schießen ins Kraut.
Die Polizei kommt, findet 140 Verdächtige vor und ist total überfordert.
Das kann Veranstalter Heckler nun gar nicht gebrauchen: Ermittlungen, die sich ewig hinziehen und ihm eine schlechte Presse bescheren! Er nötigt – oder soll man sagen: erpresst? – Amateurdetektiv Henry Meyenbeeker dazu, auf eigene Faust zu ermitteln. Und das muss man Henry nicht zweimal sagen!
Unterstützung hat Meyenbeeker nur von Mit-Jurorin Antonia Vanzetti, einer italienischen Winzerin, und ihrem deutschen Ehemann, dem Fotografen Frank Gatow. Das Trio hat etwas, was die Polizei nicht hat: Beste Verbindungen in der Weinbau-Branche. Und Recherche-Möglichkeiten, von denen die Polizei besser nichts erfahren sollte.
Ganz offensichtlich sind Henry und seine Kollegen auf der richtigen Spur, denn die Gegenseite wird unruhig. Erst findet Henry eine „Wanze“ in seinem Hotelzimmer, dann wird ein Attentat auf ihn verübt. Spätestens jetzt wird den Amateur-Ermittlern klar, dass sie sich mit Leuten angelegt haben, die ein bis zwei Nummern zu groß für sie sind …
Knurrig, kantig, neugierig, mittleren Alters und ein kleines bisschen selbstgerecht – so sind die Weinkrimi-Helden von Paul Grote, ob das nun Henry Meyenbeeker ist, Martin Bongers (DER WEIN DES KGB, 978-3-423-21160-4, TOD IN BORDEAUX, 3-499-23744-X) oder Vater und Sohn Achenbach (DER CHAMPAGNER-FONDS, 978-3-423-21237-3, EIN RIESLING ZUM ABSCHIED, 978-3-423-21319-6). Das ist praktisch, weil man diesen Grantlern allerhand deutliche Worte zu Gesellschaft, Politik und Wirtschaft in den Mund legen kann, die, in eigenem Namen geäußert, nicht immer salonfähig wären.
Fotograf Frank Gatow, Kennern der europäischen Weinkrimi-Reihe bekannt aus dem Band BITTERER CHIANTI, 3-499-23998-1, ist nicht ganz so polterig. Statt sich in Rage zu reden, geht er lieber erst mal essen. Mit Henry Meyenbeeker, den er in diesem Band erst kennenlernt, hat er neben der Leidenschaft für Wein einiges gemeinsam: den ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, den binationalen familiären Hintergrund und den Lebensmittelpunkt im Ausland. Gatow lebt in Italien, Meyenbeeker in Spanien, und beide sind mit einheimischen Winzerinnen liiert. Sie geben ein gutes Gespann ab.
Dass immer wieder attraktive junge Frauen auf diese mittelalten Knurrhähne fliegen, ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Jungs, das hättet ihr wohl gern! 😀 Henry scheint das selbst manchmal ein bisschen unheimlich zu sein. Seine Isabella ist rund 20 Jahre jünger als er, und als er ein Paar mit ähnlichem Altersunterschied sieht, fragt er sich, ob er man ihn etwa auch manchmal für den Vater seiner Lebensgefährtin hält. Solche flüchtigen Momente der Unsicherheit machen ihn sympathisch. Genauso wie die kindliche Freude, die er an dem „oder?“ hat, das seine Kollegin aus der Schweiz gern ans Ende ihrer Sätze hängt. Das adoptiert er sofort, erklärt es zu seinem „Wort des Jahres“ und setzt es bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein.
A propos Sprachspielereien: Ist es eigentlich Zufall, dass die zwei Verlags-Unsympathen ausgerechnet Heckler und Koch heißen? Dass die Namen des deutsch-italienischen Paars Gatow und Vanzetti ein bisschen an (den Film oder die tatsächlichen Personen) „Sacco und Vanzetti“ erinnern, fällt einer der Romanfiguren mal so nebenbei auf. Das dürfte sich wohl einfach so ergeben haben.
Das Finale dieses Weinkrimis – die Szene im Weinkeller des Hotels – ist spannend und komisch zugleich. Geradezu filmreif. Überhaupt könnte man sich SEIN LETZTER BURGUNDER ganz gut als Film vorstellen. Dabei blieben allerdings wohl die vielen eingestreuten Informationen über Weine, Weinbau und Weinhandel auf der Strecke. Und das wäre ein Jammer. Also dann doch lieber das Buch kaufen und lesen!
Der Autor
Paul Grote berichtete fünfzehn Jahre lang als Reporter für Presse und Rundfunk aus Südamerika. Seit 2003 lebt er als freier Autor in Berlin. Sein Gespür für Wein, sein Wissen und seine Erfahrungen spiegeln sich in allen seinen Krimis wider.
Rezensent: Edith Nebel
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