Walter G. Pfaus: Kindstod, Baden-Württemberg-Krimi

Walter G. Pfaus: Kindstod, Tübingen 2013. Silberburg-Verlag, ISBN 978-3-8425-1247-4, Softcover, 284 Seiten, Format: 18,8 x 12 x 2,4 cm, EUR 9,90.

„Du schon wieder“, sagt er seufzend. „Sag bloß nicht, du hast schon wieder eine Leiche.“
„Ich hab schon wieder eine Leiche“, sage ich ruhig.
„Herrgott, Köberle, das darf doch nicht wahr sein! Was ist bei euch los? Ist der Krieg ausgebrochen?“
(Seite 240)

Meistens schiebt Polizeioberkommissar Hanno Köberle, 35, auf seinem Posten in einem Dorf bei Ehingen/Ulm eine ruhige Kugel. „Streitende Betrunkene, kleine Ladendiebstähle, renitente Rathausbesucher, Streit unter Nachbarn, Verkehrsunfälle“ (Seite 6) und vielleicht mal ein Fall von häuslicher Gewalt – das sind die Vorfälle, um die er sich gewöhnlich kümmern muss. Wenn sein Kollege Benno Holzer nicht da ist, unterstützt ihn Marina Domino, 29, eine Kollegin aus Blaubeuren. Mir ihr arbeitet er am liebsten. Und sie gefällt ihm auch sonst sehr gut …

Mit einer Babyleiche in der Garage der schlimmsten Dorftratschen, Luise Hufnagel, hätte Köberle nie im Leben gerechnet. Den Hufnagels kann das Kind nicht gehören. Das muss jemand da abgelegt haben der wusste, dass sich das Tor nicht abschließen lässt. Aber wer? Und warum?

Die werdenden Mütter im Ort sind alle noch schwanger. Ob es das Baby von Carmen Langer ist? Es geht das Gerücht, dass sie auf der Flucht vor ihrem kriminellen Lebensgefährten wieder in ihr Heimatdorf zurückgekehrt und überdies hochschwanger sei. Ist sie bei ihrer Mutter, Britta Langer? Oder hat sie bei ihrer Freundin, der Pfarrhaushälterin Barbara Seidel, Unterschlupf gefunden? Das wüsste Hanno Köberle gern. Auch Fred Dobermann, Carmens Lebensgefährte, ist auf der Suche nach ihr. Nicht aus Liebe oder Sorge, sondern weil sie zu viel über seine Geschäfte weiß.

Dieser mysteriöse Fall ist derzeit nicht Köberles einziges Problem. Aus heiterem Himmel ist seine Mutter wieder aufgetaucht, mit der er seit 24 Jahren keinen Kontakt mehr hatte. Ihr langjähriger Lebensgefährte Horst Barsch hat sie um 50.000,- Euro betrogen und plant, sich zusammen mit einer jungen Witwe ins Ausland abzusetzen. Wenn Hanno ihr das Geld wiederbeschafft, liefert sie ihm genügend Informationen, damit er Barsch für lange Zeit hinter Gitter bringen kann. Hanno, der den gewalttätigen „Horst Arsch“ noch aus seiner Kindheit in schlechter Erinnerung hat, wäre es zwar ein Vergnügen, den verhassten Stiefvater im Knast verschimmeln zu sehen, aber er glaubt seiner Mutter kein Wort.

Für Rachegefühle und Familienklimbim hat er jetzt ohnehin keine Zeit. Denn auf dem Friedhof wird eine Dörflerin erstochen aufgefunden. Sie hat noch kurz vor ihrem Tod einen handfesten Streit mit Fred Dobermann gehabt. Aber auch der eine oder andere Dorfbewohner hätte ein Mordmotiv, denn die Dame war zu Lebzeiten ein ganz spezieller Fall. Zeugen gibt es zwar, aber was die erzählen, passt vorne und hinten nicht zusammen.

Zwei ungeklärte Todesfälle, jede Menge Familienstress und die lang ersehnte Chance vor Augen, Horst Barsch mal so richtig ans Bein zu pinkeln – Hanno Köberle kommt mächtig ins Rotieren. Das einzig Erfreuliche: Er kommt im Lauf der Ermittlungen endlich seiner Kollegin Marina Domino näher …

Dass der Autor mehr als 100 Theaterstücke verfasst hat, merkt man. Er schreibt wunderbar authentische und zum Teil herrlich komische Dialoge. Ob Dorfklatsch, Kollegengestichel, Familienstreitigkeiten oder das Geschwätz in der Dorfkneipe – das ist wirklich toll gemacht! Ich sag nur: „Kapilismus!“

Inhaltlich ist der Krimi vielleicht ein bisschen überengagiert. Man muss sich 15 Polizistennamen und rund 50 Dorfbewohner merken. Ich habe sie gezählt. Das heißt, manche müsste man sich nicht merken, weil sie nach ihrer ersten Erwähnung nie wieder auftauchen und nur die Handlung weitertreiben oder Lokalkolorit liefern sollen. Aber das weiß man ja als Leser nicht und versucht angestrengt, den Überblick über das Personal zu behalten.

Ist das das dörfliche Köberle-Universum vielleicht schon Schauplatz anderer Geschichten des Autors gewesen und wird deshalb als bekannt vorausgesetzt? So fühlt es sich zumindest an.

Zur Komplexität trägt bei, dass das Buch fünf nahezu gleichberechtigte Handlungsstränge hat:

  • Die Liebesgeschichte zwischen Hanno Köberle und Marina Domino
  • Der Babyleichenfund in der Garage
  • Der Frauenmord auf dem Friedhof
  • Carmen Langers Flucht vor Fred Dobermann und seine Suche nach ihr
  • Die schlimme Kindheit des Polizisten Köberle und seine späte Rache am Stiefvater

Und zwischendrin monologisiert die kirchenkritische Pfarrhaushälterin Barbara über den Vatikan und dessen Verfehlungen.

Die Personen, so zahlreich sie sind, wirken sehr lebensnah. Es gibt prachtvolle Dialoge, schräge Originale und hinreißende Anekdoten. Aber es ist eben alles ein bisschen viel. Man kann sich noch so konzentrieren, es bleibt unübersichtlich. Es besteht sogar die Gefahr, dass man die beiden kriminellen Herren verwechselt, nach denen hier gefahndet wird. Kleine Hilfe: Barsch fährt Porsche, Dobermann ist der mit dem BMW. Der eine zockt ab und der andere hält zu. 😉

Die Aufklärung der Fälle ist mindestens so verwirrend wie der Personalbestand. Die Motive leuchten zwar irgendwie ein – aber wie Köberle darauf kommt und wie das alles vor sich gegangen sein soll, ist nicht so ohne weiteres nachvollziehbar.

Vielleicht hätte man aus diesem Roman zwei machen sollen: einen mit dem Fall Barsch und den Familienproblemen und einen zweiten mit der Babyleiche, dem Frauenmord und der Carmen/Dobermann-Geschichte. So, wie es jetzt ist, wird der Durchschnittsleser ein bisschen sehr gefordert.

Der Autor
Walter G. Pfaus, Jahrgang 1943, war Versicherungsvertreter, Buchhändler und Wirt einer Künstlerkneipe. Seit 1989 arbeitet er als freier Schriftsteller, Er hat etliche Kriminalromane und mehr als 100 Theaterstücke veröffentlicht. Er lebt in Blaubeuren und ist Mitglied in der Krimiautorenvereinigung „Syndikat“.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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