Trauern will gelernt sein

Ich will ja immer alles verstehen und richtig machen. Auch jetzt. Schließlich bin ich zum ersten Mal verwitwet. Und ich brauch das auch kein zweites Mal, sag ich euch!

Von einer Freundin bekam ich den Tipp mit den Büchern der Schweizer Psychotherapeutin Verena Kast. Sie beschäftigt sich schon seit Jahrzehnten mit den Themen Trauer und Trennung. Zwei ihrer Bücher habe ich gelesen: „Trauern – Phasen und Chancen des psychischen Prozesses“ und „Sich einlassen und loslassen – neue Lebensmöglichkeiten bei Trauer und Trennung.“

Und diesmal hab ich nicht nur die kuriosen Fallbeispiele gelesen, wie ich das in den 80-er Jahren bei Psychologiebüchern gerne gemacht habe.

Ein bisschen was habe ich gelernt: Dass die Trauer in verschiedenen Phasen und Wellen verläuft und dass ich anscheinend zwei davon schon mehr oder weniger hinter mir habe: Das Leugnen und Nicht-wahrhaben-Wollen und die Phase der widersprüchlichen Emotionen. Dass man den Verstorbenen „sucht“ – entweder an früheren Lieblingsplätzen oder eben, wie ich, in alten Fotos, scheint auch normal zu sein.

Viel ist die Rede von Träumen, die sich mit dem Verlust befassen. Die Beispiele in dem Buch waren für jeden Laien zu deuten. Aber mir schickt mein Unbewusstes keine Botschaften, ich erinnere mich zumindest kaum an meine Träume.

Letzte Nacht habe ich erstmals seit seinem Tod von Gerhard geträumt.
„Ich verlasse dich und ziehe wieder nach Denkendorf“, habe ich zu ihm gesagt. „Und du bleibst da.“
„Wo bleib‘ ich?“, hat er gefragt. „In Nellingen? Warum denn?“
Ich: „Weil es so einfach nicht funktioniert. Und keine Ahnung, wo du bleibst. Ich jedenfalls geh allein.“

Hm.

So weit, mein Leben mit ihm einfach hinter mir zu lassen und weiterzuziehen, bin ich doch noch gar nicht. Ich war nur gestern in meinem Heimatort und habe wieder mal festgestellt, dass es dort schön ist.

Was mir jetzt nach der Lektüre der beiden Bücher die ganze Zeit durch den Kopf geht: Mache ich das richtig mit dem Trauern? Oder bin ich schon ein pathologischer Fall? Bin ich zu geschäftig, gehe ich zu schnell zur Tagesordnung über oder bleibe ich in irgendeiner der geschilderten Phasen stecken? Habe ich um meine Mutter genügend getrauert? Oder erwischt es mich jetzt doppelt, weil mich das damals nicht so bis ins Mark getroffen hat, wie es vielleicht sollte? Bei ihr war es ein langer Abschied, sie war drei Jahre lang krank und im letzten Jahr kaum mehr kommunikationsfähig. Wird einem die „Besorgniszeit“ – die Zeit, in der man bei langer Krankheit des Angehörigen vorab schon trauert – eigentlich auf die spätere Trauerzeit angerechnet? Ist das so wie bei der Untersuchungshaft?

Ich glaube, mir wäre selbst beim Trauern ein konkretes Ablaufschema mit Zeitangaben am liebsten. Ich bin ein Erbsenzähler und Zahlenmensch. Wenn sich ein Problem in eine Tabelle packen lässt, habe ich das Gefühl, es sei beherrschbar. Aber trauern nach Zahlen gibt’s nicht. Hier sind wir im Bereich der Emotionen – für mich von jeher unsicheres Terrain.

Kolumb-Schrift 011  Gesteck 012

Heute habe ich die erste Familienfeier hinter mich gebracht, ohne dass er an meiner Seite war. Das ist schon knüppelhart, auch wenn ich das minutenlang in angeregten Gesprächen vergessen konnte. Weil wir ganz in der Nähe des Friedhofs waren, gingen wir alle zusammen ans Kolumbarium. Der Steinmetz hat seine Namenstafel angebracht.

Ganz so grauenvoll war es für mich diesmal nicht mehr, vor dieser Wand zu stehen und mir vorzustellen, dass von diesem großen Kerl nur noch so viel übrig ist, wie in dieses kleine Fach passt. Es ist immer noch schlimm genug.

Papierkram ist auch noch jede Menge zu erledigen. Immer wieder melden sich Firmen und Institutionen, auf deren Anliegen man reagieren muss. Das wird uns alle noch hübsch eine Weile beschäftigt halten.

Ein Kommentar

  1. Liebe Frau Nebel

    da sind Sie schon viel weiter als ich es bin. Ich habe es bis jetzt nicht geschafft zu seiner Urne zu gehen. Aber ich habe von seinem Baum ein Poster machen lassen und das sehe ich täglich. Wenn das Trauern nur nicht so verdammt weh tun würde. Mein Trostbuch ist das von Judy und Billy Guggenheim, „Trost aus dem Jenseits“ da haben sich auch schon manche Leute das Maul zerrissen, ich lese es trotzdem.

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