Dr. Jörg Bremer: Unheiliger Krieg im Heiligen Land – Meine Jahre in Jerusalem

Dr. Jörg Bremer: Unheiliger Krieg im Heiligen Land – Meine Jahre in Jerusalem, Berlin 2010, Nicolaische Verlagsbuchhandlung, ISBN 978-3-89479-559-7, Hardcover mit Schutzumschlag, 256 Seiten, Format: 22 x 14,2 x 2,8 cm, Buch: EUR 24,95, Kindle Edition: EUR 9,99.

Abbildung: © Nicolaische Verlagsbuchhandlung
Abbildung: © Nicolaische Verlagsbuchhandlung

 

„Meins!“ – „Nein, meins!“
Auf diese drei Wörter reduziere ich mit meinem bescheidenen Hausverstand den Nahostkonflikt. Zwei Parteien erheben Anspruch auf ein und dasselbe Gebiet und sind zu keinem Kompromiss bereit. Das ist ein bisschen so, wie wenn zwei Geschwister zusammen ein Haus erben und jeder will es für sich haben. Da kann man noch so viel vermitteln: Sie wollen weder in einer Wohngemeinschaft leben noch das Haus so aufteilen, dass einer oben wohnt und der andere unten. Jeder denkt, das Haus stehe allein ihm zu und das Geschwister habe kein Recht darauf. Ein unlösbarer Konflikt, der sich über Generationen fortsetzt, weil jeder seinen Kindern erzählt, dass man mit dem anderen Teil der Sippe einfach nicht auskommen könne. Und so streiten sie bis aufs Blut bis ans Ende aller Tage. Sage ich.

Jetzt hat es mich interessiert, was Jörg Bremer, ein Mann, der deutlich klüger und gebildeter ist als ich und außerdem 18 Jahre lang in Jerusalem gelebt hat, dazu meint. Und vor allem: ob er sich eine Lösung für das Problem vorstellen kann.

Gleich vorweg: „Israel für Einsteiger“ ist das Buch nicht. Das Personenverzeichnis im Anhang umfasst rund 340 Namen und der Bogen spannt sich vom Alten Testament bis in die Gegenwart. Da sollte man schon ein paar Vorkenntnisse über das Land mitbringen, sonst kommt man schnell ins Schwimmen.

Im Januar 1991 kommt der promovierte Historiker Jörg Bremer als Korrespondent der FAZ nach Jerusalem. Super Timing! Er ist noch keine 24 Stunden im Land, schon geht der Irakkrieg los und er sitzt bei der Familie eines befreundeten Professors im versiegelten Schutzraum.

Die Israelis erlebt der Autor als offen und warmherzig. Professor Yehuda Blum und dessen Frau werden für ihn und seine Familie zu einer Art Ersatzeltern. Doch über das Oslo-Abkommen geraten sie in Streit und es kommt zum Bruch. Bremer betrachtete Oslo als Chance, Blum als einen Fehler.
„Wie damals in Warschau lernten wir in Israel rasch, dass Politik nicht ein heikles Thema ist, das man besser meidet, sondern sogar im Smalltalk seinen Platz findet. Schnell kann man freilich auch in heftige Streitereien verwickelt sein.“ (Seite 21)

Die erste Intifada (arabisch für „Abschütteln“) 1987 ist für die Israelis ein Schock. Unter der Regierung von Jitzchak Rabin geht sie 1993 mit dem Oslo-Abkommen zu Ende. „Nun schien uns der Mond erobert“, schreibt Jörg Bremer. „In fünf Jahren sollte das ‚Ende es Konflikts‘ besiegelt werden – eine naive Hoffnung, wie sich erweisen sollte.“ (Seite 39)

Weshalb wurde nichts daraus? Warum haben Rabin und Arafat diese historische Chance nicht genutzt? Bei diversen anderen Gesprächen, Treffen und Abkommen (Taba 1995, Wye-Abkommen I 1998, Wye II 1999, Camp David II im Jahr 2000) kam auch nichts heraus außer enttäuschten Hoffnungen und zementierten Vorurteilen. Die jüdischen Israelis sprachen von den „undankbaren Palästinensern“, die arabischen von den „unfairen Israelis“.

Statt Frieden kommt es zur zweiten Intifada. Im September 2000 besucht Ariel Sharon den Tempelberg, den jüdische Israelis seit der Eroberung Ostjerusalems 1967 nicht betreten sollen. Dieser Besuch wird von den Palästinensern als Provokation angesehen. Es kommt zu Ausschreitungen. Statt Wasser und Tränengas einzusetzen, wie sonst bei gewalttätigen Demonstrationen, schießt die israelische Polizei sofort mit scharfer Munition. Dafür gibt es hinterher verschiedene Erklärungsversuche. Eine politische Lösung hat sich damit auf jeden Fall erledigt. Die wird damals sowieso nur noch von einer kleinen Gruppe um Ministerpräsident Ehud Barak getragen.

„Irgendwann im Laufe der zweiten Intifada habe ich mir angewöhnt, dieses Wort [Friedensprozess] nicht mehr zu benutzen. Ich schrieb nur noch von Bemühungen um einen Ausgleich. Der Frieden im Sinne von Aussöhnung, Vergebung, Neuanfang ist in weite Ferne gerückt, denn dieser Prozess wird von den Israelis nicht mehr gewollt, vorangetrieben oder auch nur interessiert begleitet.“ (Seite 118)

Verkennung der Realität, Selbstüberschätzung, mangelnde Kompromissbereitschaft, Machtpolitiker am Ruder statt dringend benötigter Visionäre, Passivität, keine überzeugenden Entwürfe für die Zukunft des Landes … mögliche Gründe dafür, dass es mit dem Frieden nichts wird, gibt es viele. Manche Aktionen kommen einem geradezu wie Selbstsabotage vor: Zahlreiche Maßnahmen, die eigentlich dazu gedacht waren, die Islamisten der Hamas zu bekämpfen, haben sie letztendlich gestärkt.

Und so eiern sie rum und schießen lieber alle paar Jahre das Land in Klump als sich auf einen wie auch immer gearteten Kompromiss einzulassen. In der Art werden sie wahrscheinlich weitermachen, bis die jüdische Bevölkerung zur Minderheit in ihrem Land wird. Ein Mathematiker könnte mit den Daten über die demographischen Entwicklungen sicher ausrechnen, wann das voraussichtlich der Fall sein wird. Irgendwann verliert Israel dann seine jüdische Identität und womöglich auch seine demokratische Verfassung. Und dann war’s das mit Eretz Israel. Dann haben sie’s endgültig vergeigt.

Jörg Bremer bringt uns die bedeutenden Persönlichkeiten Israels näher als eine Nachrichtensendung dies je könnte. Als Journalist hat er natürlich Kontakt zu ihnen allen gehabt. Seine persönlichen Eindrücke und verschiedene Hintergrundinformationen fließen in die Schilderungen mit ein. Nebenbei erfahren wir vieles über das nicht ungefährliche tägliche Leben in Jerusalem … über die Rolle des Militärs im Lande und über die der Siedler. Letztere scheinen fast so etwas wie Narrenfreiheit zu genießen. Aus Gründen.

Interessant ist auch der Exkurs in die „Gründungsmythen“ der Stadt Jerusalem und des Staates Israel. Wie wörtlich darf man die Bibel und die Erzählungen des römischen Historikers Flavius Josephus eigentlich nehmen? Die Könige David und Salomon, Abraham, der kollektive Selbstmord von Massada etc. werden mit einem Handstreich von Archäologen und Historikern zur Fiktion erklärt. Damit haben die muslimischen Archäologie-Studenten von der Negev-Universität in Beerscheva kein Problem. Nur die nächtliche Himmelfahrt des Propheten Mohammed wollen sie nicht in Frage gestellt wissen. Das stelle eine Beleidigung ihrer Religion dar, berichtet der Autor. (Seite 145) Ich möchte dem gläubigen Protestanten Bremer ja nicht zu nahe treten, aber mit verlässlichen außerbiblischen Quellen für Jesus von Nazareth als historische Person schaut es meines Wissens nach auch nicht allzu gut aus. Jesus aber ist für ihn durchaus real: „(…) Symbole (…) die wohl schon Jesus über sich erblickt hatte, als er nach dem Einritt durch die großen Tore von Süden her zum Tempel hinaufgeritten war.“ (Seite 84) Die Sache mit der Religion ist einfach nicht so einfach. Und die ist in Israel nur ein Teil des Problems.

Das Buch erfordert eine gewisse Konzentration, ist aber hochinteressant zu lesen. Es wird einem vieles klarer. Doch viel Hoffnung auf eine Lösung des Konflikts kann es uns leider auch nicht machen.

Der Autor
Jörg Bremer war 18 Jahre lang Korrespondent der FAZ – mit dem viel beachteten Kürzel „jöb“ – in Jerusalem. Als engagierter Protestant beschäftigte er sich dort nicht nur mit der Politik, sondern ebenso mit der Geschichte und dem Wirken der Religionsgemeinschaften im Heiligen Land. Ab Mitte 2009 arbeitet er als FAZ-Korrespondent in Rom.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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