H. Dieter Neumann: Die Tote von Kalkgrund. Kriminalroman

H. Dieter Neumann: Die Tote von Kalkgrund, Kriminalroman, Dortmund 2015, Grafit Verlag, ISBN 978-3-89425-454-4, Softcover, 220 Seiten, Format: 11,3 x 2,2 x 19 cm, Buch und Kindle Edition: EUR 9,99.

Abbildung: (c) Grafit-Verlag
Abbildung: (c) Grafit-Verlag

So haben sich Kapitän Janssen und die Trauergäste die Seebestattung des pensionierten Lehrers nicht vorgestellt: Gerade als die Urne in der Geltinger Bucht feierlich der Ostsee überantwortet wird, treibt eine übel zugerichtete nackte Wasserleiche vorbei.

Die Tote ist Lisa Maria Simonsen, die Noch-Ehefrau des bankrotten Bauunternehmers Simon Simonsen. Dieser musste gerade schweren Herzens seine Segelyacht „Seeschwalbe“ – eine Colin Archer – verkaufen und hat jetzt außer seinem Hund gar nichts mehr. An Bord dieser Yacht soll Lisa Simonsen zum letzten Mal lebend gesehen worden sein. Aber warum hätte sie mit ihrem künftigen Ex-Gatten einen Wochenend-Segeltörn unternehmen sollen? Und was hätte wohl ihr jetziger Lebensgefährte, der Unternehmer Konrad Lambert, dazu gesagt? Doch Fischhändler Tjark Olsen, für die Polizei kein unbeschriebenes Blatt, schwört Stein und Bein, er habe Herrn und Frau Simonsen an Bord der „Seeschwalbe“ gesehen.

Für Kriminalkommissar Edgar Schimmel, der kurz vor der Pensionierung steht und vielleicht schon ein bisschen dienstmüde ist, ist der Fall klar: Simonsen hat seine Noch-Ehefrau im Streit erstochen und über Bord geworfen. Kriminalkommissarin Helene Christ hat zwar 20 Jahr weniger Diensterfahrung als ihr Kollege, aber dafür starke Zweifel an Simonsens Schuld. Und das nicht nur, weil ihr der Mann sympathisch ist. Hätte er die Leiche seiner Frau dort ins Wasser geworfen, wo er laut Zeugenaussage mit ihr zusammen gesehen worden ist, wäre die Tote nie im Leben in Kalkgrund angespült worden. Hier stimmt etwas nicht! Hat etwa jemand den „Augenzeugen“ Tjark Olsen für seine „Beobachtung“ bezahlt? Dass ein vorbestrafter Kleinkrimineller freiwillig zur Polizei geht und eine Aussage macht, ist doch eher ungewöhnlich.

Helene Christ verdächtigt Lisas Lebensgefährten Konrad Lambert. Die Abteilung Wirtschaftskriminalität des Hamburger LKA hat ihn und seine Geschäfte schon länger im Visier. Lambert steckt allem Anschein nach knietief im organisierten Verbrechen, aber nachzuweisen ist ihm nichts. Hat Lisa vielleicht zu viel über seine illegalen Aktivitäten gewusst? Wollte sie mit ihren Informationen zur Polizei gehen? Oder ist das alles nur eine fixe Idee der Kommissarin?

Lambert passt es natürlich gar nicht in den Kram, dass die Polizei ihm auf den Zahn fühlt. Als eine zweite Frauenleiche an Land gespült wird und auch noch ein Vermisstenfall dazukommt, wird ihm klar, dass er die Ermittler so schnell nicht wieder von der Backe bekommt.

Ein dubioser Geschäftsmann, der über Leichen geht und eine Kommissarin, die nicht nach den Regeln spielt, das läuft auf einen gefährlichen Showdown hinaus …

Hinter wem die Polizei im Mordfall Lisa Simonsen her ist, wird sehr schnell klar. Da wird nicht in alle Richtungen ermittelt, nach Motiven gesucht und auch keine Liste mit Verdächtigen abgeklappert. Die Kripo Flensburg schießt sich auf den zwielichtigen Lambert ein und es geht nur noch darum, wie sie ihm seine Tat(en) nachweisen können. Wer ist schneller und gerissener, die Polizei oder er?

Konrad Lambert ist für die Kommissare ein monströs amoralischer Gegenspieler, der fast eines James Bond würdig wäre. Die Täter in deutschen (Regional-)Krimis sind ja meist ein paar Nummern kleiner: verzweifelte Gestalten, die irgendwie in die Kriminalität hineinrutschen. Hier ist einer, der schon als Kind sein Talent zum Manipulieren entdeckt hat und das seither rücksichtslos zu seinem Vorteil ausnutzt. Möglicherweise hat der Mann eine antisoziale Persönlichkeitsstörung. Ein Feld-, Wald- und Wiesenganove ist er jedenfalls nicht. Er wirkt geradezu unmenschlich – wie das personifizierte Böse. Was seine Helfershelfer umtreibt, die wahrlich auch keine Chorknaben sind, begreift man als gesetzestreuer Normalbürger schon eher.

Wie die verschiedenen Ereignisse wirklich zusammenhängen und was letztendlich zu Lisa Simonsens gewaltsamem Tod geführt hat, reimt man sich auch als routinierter Krimileser nicht unbedingt zusammen.

Wahrscheinlich wird vom Pubilkum erwartet, dass jeder Krimi auch eine Liebesgeschichte enthält. Die gibt’s hier natürlich auch. SIE ist jung und sehr blond, ER ist vom Schicksal gebeutelt und hat sich trotzdem seinen trockenen Humor bewahrt. Irgendwann sind sie plötzlich zusammen. Na gut, wenn’s denn unbedingt sein muss! Ich fand die kriminellen Machenschaften sowie das Katz- und Maus-Spiel zwischen Kripo und Kriminellen deutlich interessanter und überzeugender. Das geht mir aber immer so.

Verblüfft war ich, als irgendwann gegen Schluss eine Zahl auftauchte, anhand derer man ausrechnen konnte, wie alt die Kommissarin und Simon Simonsen tatsächlich sind. Ich hatte mir beide die ganze Zeit über rund zehn Jahre älter vorgestellt. Sie haben schon so viel erreicht, erlebt und zum Teil wieder verloren, dass sie viel reifer und gesetzter wirken als sie ihrem Alter nach sein sollten. Und wären Twens und Thirtysomethings nicht permanent mit ihren Smartphones beschäftigt? Diese beiden sind es nicht. Das hat mich dann vollends in die Irre geführt. 😉

Wie immer bei Regionalkrimis haben natürlich die Leser mit „Heimvorteil“ ein besonderes Vergnügen. Wer die bei den Ortsnamen schon ein Bild vor Augen hat, für den wird die Geschichte so richtig plastisch. Der Krimi ist aber durchaus auch landrattentauglich. Man muss sich nicht an der Ostsee auskennen und nicht einmal was vom Segeln verstehen, um die Ermittlungen im Mordfall Simonsen mit Spannung zu verfolgen.

Der Autor
Heinrich Dieter Neumann, Jahrgang 1949, war Offizier in der Luftwaffe der Bundeswehr und in verschiedenen internationalen Dienststellen der NATO. Anschließend arbeitete der diplomierte Finanzökonom als Vertriebsleiter und Geschäftsführer in der Versicherungswirtschaft, bevor er sich ganz aufs Schreiben verlegte. Der passionierte Segler ist verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter und lebt in Flensburg.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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