Gestatten? Ich bin hier der Held!

Wenn ich mich entschließe, Tage oder gar Wochen in Gesellschaft eines Romanhelden zu verbringen, dann will ich auch beizeiten wissen, mit wem ich es zu tun habe. Ich hätte gerne, dass mir das wichtigste Romanpersonal vorgestellt wird. Und zwar, bevor ich mir selbst ein Bild von den Personen gemacht habe.

Ich habe nämlich ein Problem damit, wenn ich nach einem Drittel des Buchs feststellen muss, dass, sagenwirmal, Jan und Petra mitnichten jung verliebte Twens sind, sondern gestandene Mittfünfziger, die bereits erwachsene Kinder haben. Sie haben schwere Zeiten erlebt, klauben gerade die Scherben auf und fangen gemeinsam neu an. So etwas ist mir tatsächlich mal in einem Roman untergekommen, und ich hatte enorme Schwierigkeiten, mir nach –zig Seiten statt einer elfengleichen Zwanzigjährigen auf einmal eine zähe, drahtige Altersgenossin vorstellen zu müssen.

Jawohl, ich hasse es, wenn ich mitten in der Geschichte mein Bild vom Held oder der Heldin radikal umschmeißen muss. Und das, seit ich als Achtjährige erst gegen Ende eines Buchs kapierte, dass Teddy und Freddy keine Jungs waren, sondern Mädchen. Für die Handlung war das nicht weiter wichtig, es waren Nebenfiguren. Aber ich hatte sie mir eben als Buben vorgestellt, die in meiner Phantasie Ähnlichkeit mit zwei meiner Cousins hatten. An Theodora und Friederike, die in Sonntagskleidchen und Lackschühchen mit ihren Eltern zur Kirche gingen, konnte ich mich einfach nicht gewöhnen. Diese literarische Geschlechtsumwandlung war ein prägendes Schockerlebnis für mich. 😉 Hätte ich mir sonst 46 Jahre lang die Namen der beiden Figuren gemerkt?

Man muss mir nicht jede Sommersprosse beschreiben, aber ich möchte ziemlich am Anfang ein paar Eckdaten geliefert bekommen, die es mir ermöglichen, mir die Person ungefähr so vorzustellen, wie der Autor sie gemeint hat.

Die umtriebige Sheila war früher Sekretärin, ist seit kurzem im Ruhestand, verwitwet, und klamottentechnisch irgendwo in den Swinging Sixties steckengeblieben. Figurmäßig kann sie sich die Minikleidchen durchaus noch leisten.

Wenn ich diese Informationen auf den ersten paar Seiten geliefert bekomme, habe ich einen Menschen vor Augen. Ob Sheila brünett, blond oder grauhaarig ist, die Haare lang oder kurz trägt, das ist nicht weiter wichtig.

So eine Personenbeschreibung kann man auch bewusst vage halten:

Jack ist Ende 30, hat Frau und Tochter und kultiviert gezielt sein unauffälliges Äußeres. Er lebt quasi davon, dass keiner auf ihn achtet. „Ja, da war so’n Kerl. Mittelgroß, mittelalt, mittelschwer. Haarfarbe? Hm … so dunkelblond bis mittelbraun. Was er angehabt hat? Na, Jeans, glaube ich, ein dunkles Sweatshirt und Turnschuhe.“

Jetzt kann sich jeder seinen eigenen langweiligen Durchschnittsfuzzi vorstellen.

Der Autor hat ein Bild von seinen Geschöpfen im Kopf. Wenn er seine Vorstellung von den Figuren nicht gleich darlegt, schaffen sich die Leser ihre eigenen – und geraten unter Umständen ziemlich aus dem Konzept, wenn sie diese unterwegs wieder revidieren sollen. Wenn es nicht gerade die Pointe der Geschichte ist, will der Leser nicht nach 200 Seiten damit verwirrt werden, dass der Held Afroamerikaner ist, der alte Mann erst Mitte 30 oder Toni eine Frau.

Foto: (c) S. Hofschlaeger / pixelio.de
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