Lars Simon: Rentierköttel – Roman

Lars Simon: Rentierköttel, München 2015, dtv Deutscher Taschenbuch Verlag, ISBN 978-3-423-21609-8, Softcover, 365 Seiten, Format: 12,1 x 2,4 x 19,1 cm, Buch: EUR 9,95 (D), EUR 10,30 (A), Kindle Edition: EUR 7,99.

Abbildung: (c) dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
Abbildung: (c) dtv Deutscher Taschenbuch Verlag

„Könnte vielleicht mal was problemlos ablaufen? Warum konnten die Handwerker nicht einfach ihren Job machen und mein Haus renovieren, dann könnte Linda klingeln und mir sagen, dass sie mich liebt (…)? So aber musste ich offenbar in Begleitung eines subkultursuchenden Sozialpädagogen mit massiver Sehschwäche und mangelndem Realitätsbezug in einem alten VW-Bus nach Lappland fahren um die Frau meiner Träume zu suchen.“ (Seite 56)

RENTIERKÖTTEL ist der dritte Band der Tierkot-Reihe. Man muss die Bände ELCHSCHEISSE und KAIMANKACKE nicht zwingend gelesen haben, um der Handlung folgen zu können. Die wichtigsten Informationen liefert der Autor vorab: Nachdem es privat und beruflich für Torsten Brettschneider, 35, in Frankfurt nicht gut gelaufen ist, hat er das Erbe seiner Großtante dafür genutzt, sich in Mittelschweden ein Haus zu kaufen und sich dort als Autor niederzulassen. Er hat sich in die Pfarrerstochter Linda Pettersson (32) verliebt, doch die weiß noch nicht so recht, wen oder was sie will: Torsten oder ihren Ex, den Galeristen Olle Olofsson. Mit ihm ist sie derzeit im lappländischen Jokkmokk, um ihm bei einem Kulturprojekt zu helfen.

Linda in Lappland verschollen


Lindas Nachrichten von dort werden immer seltsamer und spärlicher und bleiben schließlich ganz aus. Sie ist nicht mehr zu erreichen. Nicht nur Torsten, sondern auch ihre Eltern machen sich Sorgen. Aber Torsten kann jetzt nicht weg, um nach Lappland zu fahren. Er hat die Handwerker im Haus, und die kann man auch in Schweden nicht einfach unbeaufsichtigt wursteln lassen. Papa Gerd Brettschneider, 61, Ex-Ingenieur und Frührentner, hat eine Idee: Er reist mit Lebensgefährtin Renate aus Deutschland an und übernimmt die Umbauaufsicht, während Torsten in Lappland nach dem Rechten sieht.

Okay, denkt der Kenner der Buchreihe: Wenn Mecker-Papa und Esoterik-Renate nicht mitfahren und ihm auch Großonkel Björn nicht in die Quere kommt, kann bei Torstens Lappland-Mission eigentlich nicht viel schiefgehen. Doch dann steht sein Kumpel Rainer Renner vor der Tür, ein Sozialpädagogik-Student im drölften Semester. Der ist ein lieber Kerl aber vollkommen weltfremd. Ihm folgt das Chaos auf dem Fuße.

Rainer hat ein Faible für die nordische Mythologie und will mit nach Lappland. In Jokkmokk, dem Ort, aus dem Lindas letztes Lebenszeichen kam, betreibt ein gewisser Thoralf Leifsson einen Kulturverein namens „Yggdrasils Ritter“. Da will Rainer, der ewig auf der Suche nach einem „authentischen, völlig integrativen Kulturbiotop“ (Seite 27) ist, unbedingt mitmachen. Und weil die beiden Freunde zumindest geographisch dasselbe Ziel haben, schwingen sie sich in Torstens alten VW-Bus „Lasse“ und düsen mitten im Winter tausend Kilometer weit nach Norden.

An einer Tankstelle nahe Örnköldsvik begegnen die beiden erstmals der rabiaten Radikalfeministin Daphne Teichmann aus Frankfurt. Sie vertickt im Internet die titelgebenden Rentierköttel und ist gerade in Sachen Materialbeschaffung unterwegs. Rainer ist hin und weg von ihr.

Wo die irren Asen rasen


In Jokkmokk treffen sie weder Olle Olofsson noch Linda Pettersson an. Doch offenbar lassen sich „Ygdrassils Ritter“ ihre Post an Olles Adresse schicken. Leifsson finde man in Kvikkkjokk, sagt eine Nachbarin.

Thoralf Leifsson entpuppt sich als tumber Bodybuilder mit Fistelstimme und seine Ritter als ein Haufen Meschuggener, die in alberner Verkleidung in einem primitiven Camp irgendwo im Nirgendwo hausen und sich für die Reinkarnation der Asen – der nordischen Götter – halten. Anscheinend fehlen in dem Club noch zwei Leute, denn Torsten und Rainer werden als ersehnte Asgard-Mitglieder willkommen geheißen. Um herauszufinden, was diese Halbirren über Olle und Linda wissen, müssen die beiden Deutschen das Spiel mitspielen. Das ist gar nicht so einfach.

Ruckzuck werden sie enttarnt und sind auf einer aberwitzigen Flucht vor den rasenden Asen – durch Kälte, Schnee und Dunkelheit. Eine Landkarte nebst Kurzbiographie der Hauptpersonen findet man hier: http://www.larssimon.de/index.php/buecher/rentierkoettel Im Schlepptau haben die zwei Flüchtigen einen kranken und verwirrten „Göttervater“, einen bissigen und einen furzenden Hund sowie einen armen Kerl, den die Asen als Opfertier vorgesehen hatten.

Wer rettet jetzt die Retter?


Ihre Handys sind weg, der VW-Bus springt nicht mehr an und von Linda und Olle keine Spur. Es sieht ganz so aus, als müsste die Linda-Rettungsmission nun selbst gerettet werden. Kann Daphne, die Rentierköttel-Händlerin, ihnen helfen, oder macht sie alles nur noch schlimmer? Und kann es sein, dass hinter der Asen-Sekte viel mehr steckt als nur ein Haufen größenwahnsinniger Bekloppter? Thoralf hat diesbezüglich eine merkwürdige Andeutung gemacht, ehe er aus den Latschen kippte.

Wie soll man es mit Gegnern aufnehmen, deren wahre Absichten man nicht kennt? Das müssen sich nicht nur Torsten und Rainer fragen, sondern bald auch die Asen selbst …

Bis es zum furiosen Showdown kommt, bei dem endlich alle erfahren, was hier wirklich gespielt wird, gibt’s noch jede Menge wilde Verfolgungsjagden, slapstickartige Szenen und kreischkomische Dialoge. Der Humor hier ist nicht gerade von der leisen, feinsinnigen Sorte. Die Personen schrammen haarscharf an der Grenze zur Karikatur vorbei oder sind schon deutlich drüber (Rainer, Daphne). Möchtegern-Ase Larf – pardon: Lars! – ist nur deshalb komisch, weil er einen Sprachfehler hat. Wenn er Zeug faselt wie „Ef ift gewiff eine Fügung des Fickfals (…)“ (Seite 118) ist man am Gackern, obwohl es nicht politisch korrekt ist.

Abenteuer-Klamauk mit Zwischentönen


Manche Szenen sind so überkandidelt actionreich als seien sie aus einem Zeichentrickfilm der 1960er-Jahre entsprungen. Die Schlittenfahrt mit den Rüstungsteilen, zum Beispiel. Aber nicht alles ist so brachial und trivial. Die Lebenssituationen und –krisen der Hauptfiguren und ihre Beziehungen untereinander sind sehr genau beobachtet und nachvollziehbar geschildert. Die Tierkot-Reihe ist schon eine ungewöhnliche Mischung: eine Geschichte über Familie und Freundschaft, die im Gewand krawallig-komischer Abenteuer daherkommt. Oder ist es Klamauk mit ernsten Zwischentönen? Auf jeden Fall ist dieser Mix nicht jedermanns Sache.

Auch wenn ich manche Figuren und Szenen ein bisschen zu schrill finde: Ich mag diesen Chaotentrupp. RENTIERKÖTTEL hat mir besser gefallen als der Vorgängerband KAIMANKACKE. Weil im vorliegenden Band nur zwei Chaoten (plus Gaststars) die Handlung tragen, ist dieser Band fokussierter. Da passiert nicht an jeder Ecke irgendwem irgendwas, sondern Torsten und Rainer haben einen konkreten Plan. Weil sie aber sind, wie sie sind, geht dann dies und das und jenes granatenmäßig schief.

Ich vermute, dass mit diesem Band die Tierkot-Reihe abgeschlossen ist. Es gibt jedenfalls keinen Ausblick auf weitere Abenteuer mehr. Aber wer weiß das schon so genau? Sollte im nächsten Jahr ein Band mit dem Titel BULLSHIT, HÜHNERDRECK oder FLIEGENSCHISS auf den Markt kommen, ich wäre als Leser wieder dabei.

Der Autor
Lars Simon ist Jahrgang ’68 und hat nach seinem Studium zuerst lange Jahre als Marketingleiter einer IT-Firma gearbeitet, bevor er als Touristen-Holzhaus-Handwerker mit seiner Familie mehr als sechs Jahre in Schweden verbrachte. Heute lebt er in der Nähe von Frankfurt/Main.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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