Martina Fischer, Dorothea Steinbacher: Die Alm – Ein Ort für die Seele

Martina Fischer, Dorothea Steinbacher: Die Alm – Ein Ort für die Seele: Lebensweisheiten, Geschichten und Rezepte einer Sennerin, München 2016, Kailash Verlag, ISBN 978-3-424-63118-0, Hardcover mit Schutzumschlag, 239 Seiten, rund 140 Farbfotos, Format: 16,7 x 2,4 x 21,8 cm, Buch: EUR 19,99, Kindle Edition: EUR 15,99.

Abbildung: (c) Kailash-Verlag
Abbildung: (c) Kailash-Verlag

„Ich habe das Gefühl, wir überfrachten uns heutzutage oft zu sehr, um ja nichts zu verpassen und immer up to date zu sein – ich nehme mich da nicht aus. (…) Diesem Sog und diesem Druck entziehe ich mich auf der Alm für mehrere Monate: Hier gibt es keine Entscheidungsschwierigkeiten in der Freizeitgestaltung, ich lebe nur im Hier und Jetzt, in der Spontanität. (…) Hier oben heißt es anpacken, viel arbeiten und damit auch körperlich wirklich an seine Grenzen kommen. Der entscheidende Unterschied für mich ist, dass in meinem Kopf nicht zehn Dinge kreisen, die ich jetzt eigentlich zu erledigen hätte. Die Natur und meine Kühe bestimmen den Rhythmus.“ (Seite 154)

Martina Fischer ist ausgebildete Krankenschwester und arbeitet als Verkäuferin in einem Sportgeschäft. Der Besuch bei einer Verwandten, die den Sommer über eine Alm im Wendelsteingebiet bewirtschaftet, weckt in ihr den Wunsch, ebenfalls Almerin zu werden. „Sennerin“ ist für viele vielleicht der geläufigere Begriff.

Vier Monate auf die Alm? Der Gatte meutert


Ihr Mann ist zunächst nicht so begeistert. Er hat ein Bauunternehmen, und dass er vier Monate lang auf seine Frau verzichten und neben der Arbeit her den Haushalt und die Gartenarbeit auch noch auf die Reihe bekommen soll, findet er zunächst nicht so prickelnd. Aber auf die Alm zu gehen ist Martinas Herzenswunsch, und mit etwas Organisation und Improvisation wird das schon gehen.

Martina ist eine Bauerntochter aus der Nähe von Rosenheim, versteht etwas von Viehhaltung, dem Buttern und Käsemachen, ist naturverbunden und praktisch veranlagt. Almerinnen werden gesucht und ein Vorstellungsgespräch bei einer Bauernfamilie ist schnell vereinbart. Zur Freude aller passt’s. Per Handschlag wird der Vertrag besiegelt, und nach einer kurzen Einarbeitungsphase im beginnenden Frühjahr ist Martina allein auf der Alm.

Nun ist sie verantwortlich für 40 Jungkühe, zwölf Kälbchen und zwei Milchkühe. Und nicht nur das: Sie muss das Weidegebiet abgehen und von unerwünschtem Bewuchs freihalten und täglich das Vieh im weitläufigen Almgebiet kontrollieren. Zu ihren Aufgaben gehört es auch, Zäune zu reparieren und Brunnen instand zu halten. Sie muss die Kühe melken und die Milch umgehend zu Rahm, Butter, Käse und Topfen verarbeiten. Kommen Gäste vorbei, bewirtet die Almerin sie mit selbst zubereiteten Speisen.

Viel Arbeit, viel Natur, wenig Luxus


Es ist eine harte, körperlich anstrengende Arbeit, bei der man nicht zimperlich sein darf. Und Martina ist dabei weitgehend auf sich allein gestellt. Auto hat sie keines. Wenn sie ins Tal muss, setzt sie sich aufs Mountainbike – und darf nach ihren Erledigungen wieder auf 1.244 m Höhe hinaufstrampeln, um rechtzeitig zum Melken zurück zu sein. Ganz von Gott und aller Welt verlassen ist sie zum Glück nicht. Wenn eine Situation eintritt, die sie überfordert, kann sie per Handy „ihre“ Almbauernfamilie zu Hilfe rufen. Aber von dieser Möglichkeit will sie natürlich so wenig wie möglich Gebrauch machen.

Sie nimmt uns mit auf eine Hüttenführung. Viel Platz oder gar Luxus hat eine Almerin nicht: es gibt eine Stube, also so eine Art Wohnküche, und eine winzige Schlafkammer. Eine Solarzelle speist die Stubenlampe, in der Küche gibt’s einen Holzofen und fließendes Wasser und vor ein paar Jahren hat der Bauer in der Hütte ein Bad einbauen lassen. So kann sie wenigstens nach der Stallarbeit warm duschen. Es existieren durchaus Almhütten, in denen es nur einen Waschtrog gibt.

Die Kühe muss sie aber nicht von Hand melken. Die Melkmaschine wird mit einem Stromaggregat betrieben, das sie jedes Mal eigens anwerfen muss. Es ist schon ein sehr einfaches Leben da droben.

Der Tagesablauf ist respekteinflößend


Wenn Martina uns einen typischen Tagesablauf beschreibt, wird einem ganz anders. Gut, um 4 Uhr 30 aufstehen, das würde ich ohne mit der Wimper zu zucken machen. Aber … jeden Tag? Auch am Wochenende? Vier Monate lang? Das klingt für einen Stadtmenschen schon ein bisschen hart. Und dann geht’s mit der Arbeit gleich Schlag auf Schlag: einheizen, buttern, Kühe holen und melken, Milchgeschirr reinigen, Butter ausschlagen, Topfen (Quark) machen, Stall putzen, Käse herstellen, Brotteig kneten, nach den Kälbern sehen, backen, putzen, Gäste bewirten, melken, sich wieder den Gästen widmen … und da wird’s beim Reden, Essen, Blödeln, Singen und Musizieren oft später als ihr lieb ist. Viel Schlaf bekommt sie während ihrer Zeit auf der Alm gerade nicht.

Wir erfahren Interessantes, Amüsantes und Wissenswertes über die tierischen Almbewohner. In erster Linie natürlich über die Kühe, Kalbinnen und Kälber. Was diese drei Begriffe genau bezeichnen, das erfahren wir hier auch 😉 . Eine Hühnerschar gab’s mal auf der Alm, allerdings auch einen Fuchs … Die Ziegenparade erwies sich als allzu umtriebig und einfallsreich und musste deshalb bald wieder die Heimreise ins Tal antreten. Katze Maunzi und Ganter Carlos sind da deutlich pflegeleichter.

Der Butter und der Radio


Martina beschreibt anschaulich, wie sie Butter und Käse macht. Wer nicht gerade VeganerIn ist, würde am liebsten sofort davon kosten. Das Buch enthält 18 Rezepte mit almtypischen Zutaten. Mit Almbrot, Almrauschlikör, Blüten-Kräuterbutter, gebratenen Steinpilzen oder balsamischen Waldbeerenessig kann man sich ein Stück naturnahes Sennerinnenleben nach Hause holen.

Wer auch aus dem bairischen Sprachraum stammt, dürfte mit einem freudigen Grinsen zur Kenntnis nehmen, dass die Butter in diesem Buch dem Dialekt entsprechend „der Butter“ heißt. Martina sagt so, also schreiben die beiden Autorinnen das auch so. Der Radio lesen wir hier übrigens auch.

Nah an der Natur, allein aber nicht einsam


Vom Almauftrieb bis zum festlichen Almabtrieb begleiten wir Martina Fischer durch ihre Almsaison – und beneiden sie mehr als nur ein bisschen um ihr außergewöhnliches Leben. Wenn sie vom Lauf der Jahreszeiten erzählt, von Schnee im Mai, bedrohlichen Hitzewellen im August, beängstigenden Gewittern und grauen Regentagen, wird einem so richtig klar, dass sie die Natur deutlich intensiver erlebt als wir Büromenschen in der Stadt.

Man muss schon sehr gut mit sich allein sein können, wenn man sich als Almerin verdingt. Martina kann das. Als einsam empfindet sie ihr Leben nicht. Die Einfachheit, und Überschaubarkeit, die klaren Aufgaben und Grenzen geben ihr ein Gefühl der Geborgenheit und des Vertrauens. Dass die Arbeit der Almerin allgemein anerkannt und angesehen ist, tut ihr ebenfalls gut.

Doch eines ist auch klar:Was man sich nicht vormachen darf: dass man vor Problemen davonlaufen kann, indem man auf die Alm geht (…) Die Probleme warten auf dich, wenn du wieder runterkommst.“ (Seite 213) Ihren eigenen Ehrgeiz, den Anspruch an sich selbst, das Überhören der Signale des Körpers, das alles nimmt sie mit hinauf auf die Alm und muss erst lernen, dass sie mit Hektik und Druck bei den Tieren rein gar nichts bewirkt. Sie muss gelassener werden. Ein bisschen was von dieser Gelassenheit kann sie auch in ihr Leben im Tal hinüberretten. Man wird kein neuer Mensch auf der Alm, aber ein paar Veränderungen bringen diese Sommer zweifellos mit sich.

Wer nun wissen will, wie man AlmerIn werden kann, findet im Anhang die wichtigsten Informationen über Voraussetzungen, Verdienstmöglichkeiten, das Bewerbungsverfahren und noch einiges mehr. Für die meisten von uns wird die Alm ein Sehnsuchtsort bleiben. Doch schon allein das Buch von Martina Fischer und Dorothea Steinbacher zu lesen ist wie eine kleine, wohltuende Auszeit in der Natur.

Die Autorinnen
Martina Fischer, Jahrgang 1972, ist gelernte Krankenschwester und Ernährungsberaterin. Ihre Leidenschaft gilt der Kräuterheilkunde. Die Sommer 2011 bis 2013 verbrachte sie als Sennerin auf der Rampoldalm und 2015 auf dem Laubenstein in den oberbayrischen Voralpen. Sie lebt mit ihrem Mann in einem schönen alten Bauernhof im Chiemgau

Dorothea Steinbacher studierte Kunstgeschichte und Volkskunde. Sie lebt mit ihrer Familie am Chiemsee. Aufgewachsen mit den ländlichen Traditionen des bayerischen Südens, beschäftigt sie sich vor allem mit der Alltags- und Kulturgeschichte der „einfachen Leute“. Als Verlagslektorin und Autorin ist es ihr ein besonderes Anliegen, die Spuren alten Brauchtums in unserer modernen Welt als spannende Phänomene aufzuzeigen, die uns über Jahrhunderte hinweg mit unseren Vorfahren verbinden.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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