Simone Dorra, Ingrid Zellner: Ein Geschenk der Götter: Band III der Kashmir-Saga

Simone Dorra, Ingrid Zellner: Ein Geschenk der Götter: Band III der Kashmir-Saga, Hamburg 2018, Tredition GmbH, ISBN 978-3-7469-6840-7, Softcover, 364 Seiten, Format; 17 x 1,9 x 24,4 cm, Buch: EUR 14,99, Kindle Edition: EUR 3,99.

Abbildung: K. u. S. Dorra / Tredition

„Wir hatten unsere Hoffnung ganz verloren
und Gott hat uns neue Hoffnung gegeben.
Jetzt warten wir auf den Frieden.
Wir bitten nicht um viel:
Dass wir diesen Frieden sehen dürfen,
dass er endlich, endlich zu uns kommt.
Und dass die Menschen, dann noch bei uns sind,
die wir lieben.“
(Seite 69). Aus dem Friedensgebet Moussa Qaadris (13) aus dem Waisenhaus Dar-as-Salam/Kashmir.

Die erste Hälfte des Romans dient dazu, die beiden Helden und ihre Geschichten noch weiter zu verzahnen. Ursprünglich waren es ja zwei voneinander unabhängige Romanwelten, die die Autorinnen hier zur großen Kashmir-Saga vereinen.

Simone Dorras Held ist Vikram Sandeep, 56, Leiter des Waisenhauses Dar-As-Salam in Srinagar/Kashmir. Davor war er 25 Jahre lang Soldat und Agent der indischen Abwehr. In der Zeit hat er sehr viel Schreckliches gesehen und auch viel Schreckliches getan. Dass er sich jetzt um traumatisierte Kinder kümmert, ist eine Art Buße für ihn. Spät im Leben hat er durch seine Tätigkeit im Waisenhaus seine Traumfrau kennengelernt die eurasische Traumatherapeutin Sameera Sullivan (48). Inzwischen sind sie glücklich verheiratet.

Ingrid Zellners Protagonist, Raja Sharma aus Shivapur/Maharastra ist ebenfalls ein Mann in den Fünfzigern. Er hat aufgrund einer Intrige 25 Jahre lang unschuldig im Gefängnis gesessen. Inzwischen ist er voll rehabilitiert und hat seine verwitwete Jugendliebe Sita geheiratet. Mit ihr hat er einen erwachsenen Sohn aus Vor-Gefängniszeiten und eine vierjährige Tochter.

Verschiedene Persönlichkeiten, ähnliches Schicksal


In Band zwei sind sich die der schweigsame, verschlossene Vikram und der impulsive und überschwängliche Raja zufällig begegnet und haben sich spontan gut miteinander verstanden. Die Kinder des Dar-as-Salam waren begeistert von dem umgänglichen Mann aus Shivapur und auch Sameera findet ihn sympathisch.

Übers Internet bleiben sie auch nach seiner Heimreise in Kontakt. Und jetzt werden Raja, seine Frau Sita samt Tochter Rani zu Besuch im Dar-As-Salam erwartet. Alle sind aufgeregt. Die Sandeeps haben eigens für ihren Besuch das Haus um ein Gästequartier erweitert. (Ein Anbau löst in Srinagar offenbar keinen akuten Bürokratieanfall aus.)

Die beiden Paare verstehen sich prächtig, obwohl sie einander erst so kurze Zeit kennen. An einem whiskeyseligen Abend erzählen Vikram und Raja einander die Episoden in ihrem Leben, auf die sie am wenigsten stolz sind. Beide haben sich in der Vergangenheit zu Taten hinreißen lassen, die sie inzwischen zutiefst bereuen: Vikram als Soldat/Agent und Raja als Strafgefangener. Sonderbarerweise haben die Männer Verständnis für die Aktionen des jeweils anderen, nicht aber für die eigenen. Mit einem gewissen Maß an Selbsthass werden sie wohl leben müssen.

Der Holzschnitzer Hassan Harabi, der sie beide kennt, hat wohl recht mit dem, was er über sie sagt: „Sie waren beide Krieger … und es sah aus, als hätten sie, ohne voneinander zu wissen, jahrelang die gleiche Schlacht geschlagen.“ (Seite 50). Doch die meiste Zeit können sie die Erinnerungen zum Glück verdrängen. Und so verbringen die Familien Sandeep und Sharma eine unbeschwerte gemeinsame Zeit. Sie kochen, sie feiern, sie albern mit den Kindern herum, unternehmen Ausflüge und Einkaufsbummel. Dabei gelingt Raja das, was weder Waisenhausleiter Vikram noch Therapeutin Sameera in den letzten Jahren geschafft haben: Er bringt durch seine freundliche und mitfühlende Art den dreizehnjährigen Moussa dazu, über die traumatisierenden Erlebnisse in seiner Kindheit zu sprechen. Dem Jungen hilft das enorm, und alle sind sich einig: Die Freundschaft mit den Sharmas ist ein Geschenk der Götter.

Sameera ist so viel Glück unheimlich: „Manchmal (…) warte ich darauf, dass der Schlag kommt, der allem ein Ende macht. Weil er kommen wird, irgendwann. Weil es unmöglich ist, so glücklich zu sein, ohne dafür zu zahlen.“ (Seite 173) Ihr Mann lacht sie aus, aber sie soll Recht behalten.

Das Leben präsentiert die Rechnung


Nachdem Sharmas abgereist sind, kehrt auch im Dar-as-Salam wieder der Alltag ein. Als Vikram nach diversen Erledigungen in Srinagar in ein Café geht, gerät er mitten in einen bewaffneten Raubüberfall, wird angeschossen und lebensgefährlich verletzt. Während Dr. Lakshmi Shetty und ihr Team um sein Leben kämpfen und Sameera fast rund um die Uhr an seinem Klinikbett sitzt, reist Raja aus Shivapur an, um ihr im Dar-as-Salam unter die Arme zu greifen. Bei einem Besuch im Krankenhaus fängt ihn die Politikerin Najiha Kamaal ab und eröffnet ihm, dass sie nicht an einen Zufall glaube. Sie kennt Vikram schon sehr lange – er war ein Freund ihres verstorbenen Mannes – und ist überzeugt davon, dass der Schuss im Café ein gezieltes Attentat war. Vikram hat aus seiner Zeit als Agent noch viele Feinde. Und die werden jetzt nicht so einfach aufgeben.

Noch ist der Leiter des Waisenhauses nicht über den Berg. Doch selbst wenn er es schafft, ist sein Leben weiterhin in Gefahr …

Ich habe die beiden Vorgängerbände (DAS HAUS DES FRIEDENS und DER WEG AUS DER FINSTERNIS) mit Spannung und Vergnügen gelesen. Die Vorgeschichte war mir noch im Wesentlichen präsent. Und doch war ich überaus dankbar für das Personenverzeichnis im Anhang. Wenn einem die Namen fremd sind (Peter, Paul und Anna merkt man sich eben leichter), tut man sich ein wenig schwer, sämtliche Kinder, Enkel, Angestellte, Freunde und entfernte Verwandte im Blick zu behalten.

Erst Rückblick, dann Action


Dass man bei der Handlung auch als QuereinsteigerIn mitkommt, dafür sorgen die Autorinnen durch die Rückblicke im ersten Teil. Aber ich glaube, die schiere Personalfülle erschlägt einen, wenn man mit all den Menschen hier erstmalig konfrontiert wird.

Wer ständig Action braucht, wird sich gedulden müssen, denn in der ersten Hälfte des Romans gibt’s praktisch keine. Da geht es hauptsächlich um die Vergangenheit. Dafür überschlagen sich in der zweiten Hälfte die Ereignisse und man kommt aus der Angst um die Hauptfiguren nicht mehr heraus. Sie müssen mit allen Tricks arbeiten, um ihre Haut zu retten. Wenn fortan jemand mit einer vollen Kaffeekanne über den Büroflur schleicht, werde ich immer an Sita Sharma denken müssen.

Ich bin gespannt, wie’s weitergeht. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis alle Feinde entweder befriedet oder ausgeschaltet sind und das wahr wird, wofür der junge Moussa betet. Vikram und Raja werden noch eine Menge Kämpfe auszustehen haben. Auch aus der Richtung der Politikerin Najiha Kamaal kann noch etwas kommen. Sie selbst scheint ja eine integre Person zu sein, doch allein die Tatsache, dass Sandeeps und Sharmas mit ihr bekannt bzw. befreundet sind, stellt meines Erachtens eine Gefahr da.

Es muss nicht in jedem Band für eine der Hauptfiguren um Leben und Tod gehen. Ich begleite sie auch gerne „einfach so“ durch ihren Alltag, der sich doch deutlich von unserem unterscheidet. Begriffe aus anderen Sprachen (Arabisch, Hindi, Urdu), die in den Text mit einfließen, werden im Glossar erklärt, meist aber ergibt sich ihr Sinn aus dem Zusammenhang. Shukriya – danke – für diese faszinierende Romanwelt!

Die Autorinnen
Simone Dorra wurde 1963 in Wuppertal geboren, machte eine Ausbildung zur Buchhändlerin und arbeitete mehrere Jahre als kirchliche Radio-Redakteurin für den Privatfunk. Sie ist verheiratet, Mutter von drei erwachsenen Kindern und Autorin von bislang drei Büchern im Silberburg-Verlag Tübingen. Als begeisterter Fan von Indien und Kashmir schrieb sie Das Haus des Friedens als Soloprojekt und setzte es gemeinsam mit ihrer Co-Autorin Ingrid Zellner zu einer Serie in insgesamt sieben Bänden fort, die in den Jahren 2017 bis 2022 erscheinen werden. www.simonedorra.de

Ingrid Zellner, geboren 1962 in Dachau. Studium der Theaterwissenschaft, der Neueren deutschen Literatur und der Geschichte in München. 1988 Magisterexamen. Dramaturgin 1990 bis 1994 am Stadttheater Hildesheim und 1996 bis 2008 an der Bayerischen Staatsoper München. Veröffentlichung von Romanen, Krimis, einem Kinderbuch, Kurzgeschichten, Theaterstücken, CD-Booklet-Texten und Artikeln. Freiberufliche Tätigkeit u.a. als Übersetzerin (Schwedisch) sowie als Schauspielerin, Regisseurin und Autorin.
www.ingrid-zellner.de
www.kashmirsaga.de

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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