Edi Graf: Wolfsgebiet. Kriminalroman

Edi Graf: Wolfsgebiet. Kriminalroman, Meßkirch 2019, Gmeiner Verlag, ISBN 978-3-8392-2480-9, Softcover, 410 Seiten, Format: 11,8 x 3,2 x 20 cm, Buch: EUR 15,00 (D), EUR 15.50 (A), Kindle: EUR 11,99.

Abb. (c) Gmeiner Verlag

Homo homini lupus – Der Mensch ist des Menschen Wolf. Das wussten schon die alten Römer.

Der Wolf ist zurück im Schwarzwald! Naturschützer befürworten dies, Landwirte, Schäfer und ängstliche Naturen sprechen ihm die Daseinsberechtigung ab und würden ihn am liebsten abschießen. Als sieben Schafe aus der Herde von Schäfer Johann Kerner gerissen werden, spielt das den Wolfsgegnern natürlich in die Hände. Dass den Tieren höchstwahrscheinlich nichts passiert wäre, wenn nicht irgend so ein Depp sie aus dem Gehege befreit hätte, spielt bei der aufgeheizten Diskussion keine Rolle.

Hat der Wolf ein Mädchen getötet?

Doch es kommt noch schlimmer: Die vierzehnjährige Luisa, die nach einem Besuch im Nachbardorf zu Fuß nach Hause gegangen ist, kommt niemals dort an. Man findet sie tot im Wald – mit Fraßspuren eines Wolfs. Aber hat er sie auch getötet? Oder hat er nur die Leiche gefunden und sich bedient? Menschen gehören ja normalerweise nicht zum wölfischen Beuteschema.

Der Anti-Wolfs-Gruppe ist das alles egal. Am liebsten würden sich die Leute zu einem Mob zusammenrotten wie die Dörfler im Frankenstein-Film und dem Tier den Garaus machen. Kleinere Splittergruppen versuchen das sogar. Doch der Lynchjustiz stehen Kriminalhauptkommissar Jens Bosch aus Calw entgegen, genau wie der Wildbiologe Martin Jaschke, der Förster Heinz Werkmann und die Tübinger Journalistin Linda Roloff, die im Verlauf der Geschichte sogar ihren Freund, den afrikanischen Safariführer Alan Scott zur Unterstützung einfliegen lässt. In Sachen Spurensuche ist er sowohl dem Förster als auch dem Biologen haushoch überlegen.

Die Pro-Wolfs-Liga hat einen schweren Stand. Diejenigen, die für eine vorurteilsfreie Ermittlung sind, ebenfalls. Nicht zuletzt deshalb, weil der Rundfunkjournalist Heiko Büsgens aus höchst eigennützigen Gründen öffentlich Stimmung gegen Wölfe macht.

Wolfshysterie und eine Mordermittlung

Doch bei aller Wolfshysterie muss man auch der Frage nachgehen, ob Luisa nicht vielleicht verunglückt ist oder ermordet wurde, ehe der Wolf sie fand. Die Familienverhältnisse, aus denen der Teenager stammt, sind mit „desolat“ nur unzureichend beschrieben. Die Mutter: eine verhuschte, verhärmte junge Frau mit einem Alkoholproblem, der Stiefvater: ein brutaler Schläger mit krankhaftem Hass auf Luisas biologischen Vater – über den es auch beim besten Willen nichts Positives zu sagen gibt. Darüber hinaus scheint es noch ein Familiengeheimnis zu geben, über das sich niemand zu reden traut. Es wäre kein allzu großes Wunder, wenn das Mädchen bei einem häuslichen Gewaltexzess zu Tode gekommen und im Wald entsorgt worden wäre.

Natürlich würde die Polizei jetzt liebend gerne mit Luisas leiblichem Vater reden. Doch Harald Haag ist spurlos verschwunden. Angst? Ein Schuldeingeständnis? Oder ist er ein weiteres Opfer, von wem oder was auch immer?

Die Wolfsgegner: brutal und verbissen

So brutal und verbissen, wie die Anti-Wolfs-Fraktion ihre Interessen vertritt, kann es für sie nicht nur um Sicherheit, Rechthaberei oder eine illegale Jagdtrophäe gehen. Für den einen oder anderen steht offenbar viel mehr auf dem Spiel. Die Gruppe schreckt nicht vor schwerer Körperverletzung zurück und nimmt dabei den Tod ihres Opfers billigend in Kauf. Mordet sie auch …?

Dass neben den Wolfsfreunden und Wolfsgegnern auch noch ein naiver Tierschützer mitmischt, der alles nur noch schlimmer macht, beschleunigt die Aufklärung des Falles nicht gerade. Die kommt dann aus einer nicht gänzlich unerwarteten Richtung. Die Details schockieren aber doch!

Oh ja, spannend ist das! Deprimierend auch, denn am Schluss hat keiner der Beteiligten durch seine Aktionen etwas gewonnen. Im Gegenteil: Alle haben Wertvolles verloren: das Leben, die Freiheit, die Hoffnung, einen geliebten Menschen … Nur Mutter Natur zeigt den eifernden Menschlein ganz ungerührt den Stinkefinger.

Band 6 einer Buchreihe

Offensichtlich bin ich da mitten in eine lange laufende Buchreihe hineingeraten. Das ist schon der sechste Band. Deshalb brauchte ich eine Weile – und ein paar erklärende Rückblicke – um die Personen, ihre Vorgeschichte und ihre Beziehungen zueinander einordnen zu können. Überraschung gegen Schluss: Der Safariführer ist ein Weißer! 😀 Ich bin mit Fernsehserien wie „Daktari“ und „Boney“ aufgewachsen – für mich war der Fährtenleser automatisch eine Person of Color. Hm. Das war dann wohl rassistisch von mir.

Wer die Hauptfigur in dieser Geschichte ist, könnte ich nicht einmal sagen. Kommissar Bosch? Die Journalistin Roloff? Der Wolf? Die Story weist eine Menge Personen auf und der Hauptader der Handlung hat viele Seitenarme, von denen manche unterwegs irgendwie versickern. Als Leserin komme ich mir da veralbert vor. Erst wird eine tierische Spannung aufgebaut und man wähnt die eine oder andere Person in tödlicher Gefahr – und nachdem man –zig Seiten lang gar nichts mehr über ihr Schicksal erfahren hat, löst sich der Sachverhalt auf einmal in zwei Sätzen in Wohlgefallen auf. Ärgerlich!

Gemeine Irreführung

Und warum genau habe ich mir jetzt die Lebensgeschichte einer allein stehenden alten Bäuerin gemerkt? Sie taucht nach der einen Szene nie wieder auf! Bei Schneeschuhwanderer Michael Günthner war ich dann schlauer: Hat er einen der Vermissten gefunden? Sachdienliche Hinweise? Den Wolf? Nein? Okay, irrelevant, weiterblättern. Und genau der Kerl wird nachher noch wichtig! Wie war das in der Äsop-Fabel mit dem Mann, der „Wolf“ rief …?

Ein bisschen Irreführung der Krimileser*innen gehört zum Geschäft. Aber solche gemeinen Ablenkungsmanöver mag ich nicht. Wenn sämtliche Ermittler einer falschen Spur folgen, fein. Aber dem Leser Nebenhandlungen unterzujubeln, die gar nichts mit dem Verlauf der Geschichte zu tun haben, das ist fies.

Jetzt weiß ich ja, dass der Autor so arbeitet und wäre für einen weiteren Band gerüstet. Die Naturbeschreibungen sind nämlich klasse, die Spannung stimmt und die Personen kommen auch recht realistisch daher. Da kann ich über Gemeinheiten aus der Autorentrickkiste auch mal hinwegsehen.

Der Autor

Edi Graf, Jahrgang 1962, studierte Literaturwissenschaft in Tübingen und arbeitet als Moderator und Redakteur bei einem Sender der ARD. Zuhause ist er in Rottenburg am Neckar. Seit über 30 Jahren bereist der Autor den afrikanischen Kontinent und lässt neben seinen Protagonisten, der Journalistin Linda Roloff und ihrer Fernliebschaft, dem Safariführer Alan Scott, die gemeinsam zwischen Schwarzwald und Afrika ermitteln, auch Tierwelt und Natur tragende Rollen zukommen.

Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
www.boxmail.de

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