Frank Goldammer: Tod auf der Elbe. Kriminalrat Gustav Heller, München 2024, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3-423-26385-6, Klappenbroschur, 398 Seiten, Format: 13,7 x 3,7 x 21,1 cm, Buch: EUR 17,00 (D), EUR 17,50 (A), Kindle: EUR 13,99, auch als Hörbuch lieferbar.
Dieser historische Kriminalroman ist mir aufgrund eines Zahlendrehers versehentlich zugegangen. Weil er da war, habe ich ihn gelesen, auch wenn ich mir das Thema nie selbst ausgesucht hätte.
Quereinsteiger bei der Polizei
Dresden 1879: Unter den (Polizei-)Beamten ist Kriminalrat Gustav Heller (40) ein Exot. Er entstammt weder dem Adel noch einer Beamten-Familie, sondern ist Quereinsteiger mit einem bunten Lebenslauf: Pferdezüchter, Offizier, Expeditionsteilnehmer, Abenteurer und Obstbauer – und jetzt Beamter der Königlich Sächsischen Polizei. Dass sie ihn überhaupt genommen haben, verdankt er zum Teil seiner Frau Helene, die aus einer berühmten Familie stammt. Dass Rittmeister Heller den König von Sachsen, Albert, persönlich kennt, hat bei der Einstellung noch keine Rolle gespielt, das kommt erst später ans Licht.
Und wie’s eben so ist, wenn ein Mitarbeiter nicht den passenden „Stallgeruch“ hat: Er tut sich in seinem Job schwer, auch wenn er noch so gut ist. Rittmeister Gustav Heller hat’s leider gar nicht mit den geschliffenen Manieren. Er ist aufbrausend und ein bisschen ungehobelt. Außerdem sieht er nicht ein, warum Leute sich auf ererbte Titel und Vermögen etwas einbilden dürfen – Dinge, für die sie nichts können und für die sie nie haben arbeiten müssen. Das sagt er recht unverblümt, und bald ist er nicht nur als grober Klotz, sondern auch noch als Sozialdemokrat verschrien. Und als jemand, der sich nicht um Hierarchien schert, sondern einfach das macht, was er für richtig hält. Das sowieso. Einzig der nerdige und vollkommen humorlose Kriminalassistent Adelbert Schrumm (28) hält unverbrüchlich zu ihm. Von ihm nimmt Rittmeister Heller auch mal Kritik an. Kritisieren darf ihn sonst nur seine Frau.
Kriminalrat mit querulatorischen Tendenzen
Regierungsrat Ferdinand Posch würde den querulatorischen Rittmeister Heller lieber heute als morgen loswerden. Posch ist gut vernetzt, doch Heller kennt den König, deswegen ist ihm nicht so leicht beizukommen. Aber vielleicht ergibt sich ja jetzt eine Chance …
Es ist Zufall, dass Kriminalrat Heller gerade am Elbufer entlangreitet, als es einen Höllenschlag tut und bei einem Dampfschiff der Kessel explodiert. Es gibt Tote und Verletzte. Heller zieht höchstpersönlich einen verwundeten Matrosen aus dem Wasser, der sich ihm als Justus Kleibig vorstellt. Er bringt den Mann zu einem Arzt, und damit sollte die Sache für ihn erledigt sein.
Unfall oder Sabotage? Heller ermittelt
Aber explodiert ein Dampfkessel einfach so? Kriminalassistent Schrumm bezweifelt das und auch der Ingenieur des Schiffseigners, des Freiherrn von Kelb, kann sich den Hergang nicht erklären. War’s Sabotage? Ein Versicherungsbetrug?
Sonderbar ist auch, dass die Aussagen der wenigen Überlebenden klingen wie auswendig gelernt. Vielleicht kann ja Justus Kleibig, der gerettete Matrose, Licht ins Dunkel bringen. Ein Besuch bei ihm überzeugt Heller endgültig davon, dass hier was oberfaul ist: Der Mann, der da im Bett liegt, ist nicht der, den er aus der Elbe gefischt hat! Wenig später ist der Matrose tot. Überhaupt verschwinden nach und nach alle Augenzeugen des Schiffsunglücks.
Anscheinend geht’s hier um sehr viel Geld. Der adelige Schiffseigner von Kelb hat einen Konkurrenten, den bürgerlichen Hamburger Unternehmer Alwin B. Engelbrecht. Beide Herren haben sich um die königliche Konzession für einen Dampfschifffahrtbetrieb auf der Elbe beworben. (Jedem eine Konzession zu geben und den Markt die Sache regeln zu lassen, ist vermutlich zu modern gedacht.) Es steht viel auf dem Spiel und entsprechend kämpfen die zwei mit harten Bandagen um diese Genehmigung. Aber welcher der Herren würde dabei über Leichen gehen? Von Kelb und Engelbrecht sind beides keine Chorknaben.
Hellers Vorgesetzte haben die Explosion längst als bedauernswertes Unglück abgehakt und er hat keine offizielle Befugnis, in der Sache zu ermitteln. Er tut es trotzdem und tritt dabei einer Menge hochrangiger Persönlichkeiten kräftig auf die Zehen. Als er Medizinalrat Löbbers dazu anstiftet, zwei Todesopfer des Schiffsunglücks zu exhumieren, um nachzusehen, ob sie nicht vielleicht doch ermordet worden sind, überspannt er den Bogen endgültig. Ist er jetzt die längste Zeit Polizist gewesen?
»Getroffene Hund bellen«
So absurd sich Hellers Theorien für manche Leute auch anhören mögen – er scheint einen wunden Punkt getroffen zu haben. Nicht nur, dass auf ihn ein Anschlag verübt wird, als er allein unterwegs ist, eine Gruppe Unbekannter überfällt des Nachts auch noch das Gut seiner Familie. Auch wenn Hellers Vorgesetzte versuchen, die Angriffe zu verharmlosen und wegzuerklären: Jetzt sind seine Frau und seine Kinder in Gefahr, und damit ist für Rittmeister Gustav Heller endgültig Schluss mit lustig!
Es war interessant zu sehen, wie der Kriminalrat/Rittmeister mit den begrenzten Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, dem komplexen Fall auf den Grund geht. Heute würde die Kriminaltechnik ruckzuck geklärt haben, wie und warum der Kessel explodiert ist. Damals gab’s das noch nicht. Auch die Schwierigkeiten, die unangepasster Quereinsteiger hat, werden dem Leser sehr deutlich vor Augen geführt.
Enthüller gegen Vertuscher
Ich wollte wissen, ob Heller mit seinen Vermutungen recht hat – unterwegs vergaloppiert er sich ja mal mit seinen Theorien – und ob er es wirklich schafft, den/die Verantwortlichen zu überführen, obwohl so viele wichtige Leute die Ereignisse am liebsten unter dem Deckel halten würden. Wer von den verdächtigten Unsympathen tatsächlich der Übeltäter ist, war mir eigentlich egal.
Der kantige Rittmeister und sein etwas seltsamer Assistent sind interessante Figuren. Der Autor hat mit Sicherheit ausgiebig recherchiert und ich weiß auch, dass seine Krimis Bestseller sind – doch Rang- und Revierkämpfe unter Männern und berufliche Intrigen sind keine Themen, mit denen ich mich (auch noch) in meiner Freizeit beschäftigen möchte. Offensichtlich gehöre ich nicht zur angepeilten Zielgruppe. Ich habe auch keinerlei Bezug zu Dresden. Es ist keine Frage der Qualität: Die „Kriminalrat Gustav Heller“-Reihe und ich sind einfach nicht kompatibel, daher werde ich sie nicht weiterverfolgen.
Der Autor
Frank Goldammer, Jahrgang 1975, ist gelernter Handwerksmeister und begann schon früh mit dem Schreiben. Die Bände seiner historischen Kriminalromanreihe über den Dresdner Kommissar Max Heller landen regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Goldammer lebt mittlerweile als freier Autor in seiner Heimatstadt Dresden.
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Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
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