Stephen Spotswood: Die Tote im Wanderzirkus. Pentecost & Parker ermitteln, Band 2, Kriminalroman, OT: Murder Under Her Skin, Deutsch von Charlotte Lungstrass-Kapfer, München 2023, Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe, ISBN 978-3-7341-1063-4, Softcover, 510 Seiten, Format: 11,9 x 3,8 x 18,8 cm, Buch: EUR 11,00 (D), EUR 11,40 (A), Kindle: EUR 9,99.

„(Ruby Donner] hatte sich für mich starkgemacht und ich hatte nie etwas davon erfahren. […] [Sie] hatte mir das Leben gerettet. Das Einzige, was ich jetzt noch für sie tun konnte, war, ihren Mörder zu finden.“
(Seite 234)
Privatermittlerin Will Parker erzählt uns in einer persönlichen Rückschau von ihren spektakulärsten Fällen. Ihr lakonischer, leicht schwarzhumoriger Ton erinnert an die Filme der Schwarzen Serie. Man muss den 1. Band, DIE TOTE AUF DEM MASKENBALL, nicht unbedingt kennen, um der Handlung folgen zu können. Das Wichtigste über die Figuren wird in Band 2 kurz erwähnt, und ein Personenverzeichnis gibt es dankenswerterweise auch.
Hilferuf vom Wanderzirkus
New York City, 1946: Willowjean „Will“ Parker, 23, seit vier Jahren als Ermittlerin in der Privatdetektei von Lillian Pentecost tätig, bekommt einen Hilferuf aus ihrem alten Leben: Ihr früherer Lehrmeister aus dem „Hart & Halloway’s Wanderzirkus“, der Messerwerfer Valentin Kalishenko, soll seine Kollegin Ruby Donner, die „Tätowierte Schönheit“ aus dem Kuriositätenkabinett hinterrücks erstochen haben.
Will bezweifelt das. Sie kennt den Mann fast ihr halbes Leben lang. Er hat seine Schwächen, doch niemals würde er jemandem vom Zirkus etwas antun! Die Zirkusleute sind die einzige Familie, die er hat. Seine Kolleginnen und Kollegen empfinden ähnlich. Genau das wird für die beiden New Yorker Detektivinnen zum Problem, als sie in dem kleinen Kaff in Virginia eintreffen, um den Messerwerfer herauszupauken.
Zurück zu den Anfängen
Will Parker ist als fünfzehnjährige Ausreißerin zum Zirkus gekommen und hat fünf Jahre lange als Valentins Assistentin gearbeitet. Sie sieht sich immer noch als „Familienmitglied“ und ist überzeugt davon, dass die Zirkusleute ihr gegenüber ehrlich sind. Doch in deren Augen ist sie durch ihren Weggang zu einer Außenstehenden geworden, die nicht alles zu wissen braucht. Wills Chefin Lillian, der man sonst nichts vormachen kann, muss sich in der Zirkuswelt erst akklimatisieren, bevor sie sich eine Meinung bilden kann, und so gestalten sich die Ermittlungen zäher als erwartet.
Weil es kein Hotel gibt, sind die beiden Detektivinnen in dem etwas heruntergekommenen Farmhaus von Rubys Onkel Pat untergebracht. Denn – Überraschung! – Ruby stammt aus diesem Ort und wollte nie wieder hierher zurück. Nicht einmal zur Beerdigung ihrer Eltern ist sie hergekommen. Und kaum war sie mit ihrem Zirkus ein paar Stunden hier, schon hat sie jemand umgebracht.
Wer hatte Grund, Ruby zu töten?
Jetzt ist die Frage: Wenn’s der Messerwerfer nicht war, hatte dann jemand aus ihrem Heimatort Grund, sie zu töten? Warum ist sie überhaupt als Teenager weggelaufen? Wegen Missbrauchs und Misshandlung, wie Will Parker sogleich vermutet? Oder hat Onkel Pat das zu verantworten? Der ruhelose Geist ist in jungen Jahren nämlich ziemlich herumgekommen und hat seiner Nichte aus allen Ecken Amerikas geschrieben. Das hat Ruby auf die Idee gebracht, dass es noch etwas anderes geben könnte als diese piefig-frömmlerische Gemeinde am Ende der Welt.
Hat man Ruby wegen ihres Erbes umgebracht? Wusste sie überhaupt davon? Oder hatte in ihrer alten Heimat noch jemand eine Rechnung mit ihr offen? Der Ex vielleicht? Ein verschmähter Liebhaber? Auch die spitzmäulige Gattin des Reverends ist nicht gut auf Ruby zu sprechen und frönt ganz unchristlich der üblen Nachrede.
Das Geheimnis der Blumen-Tattoos
Womöglich liegt des Rätsels Lösung in einem von Rubys Tattoos: einer ursprünglich professionellen Arbeit, die später laienhaft überstochen wurde. Leider war’s kein Name, sondern ein Bildmotiv. Was hat das zu bedeuten? Mit dieser Spur vertun die Detektivinnen eine Menge Zeit. Es gibt einen winzigen Hinweis in Rubys Nachlass, der einem aber erst im Nachhinein auffällt. Wenn Will und Lillian da besser hingeschaut hätten, wären sie viel schneller ans Ziel gekommen. Eine kleine Autoren-Gemeinheit.
Ein Brandanschlag wirft wieder ein anderes Licht auf den Fall. Richtet sich die Aggression gegen den Zirkus als Ganzes und nicht nur gegen Ruby? Hat die freizügige Kuriositätenschau den Unmut der bigotten Sektierer erregt? Dann macht der, äh … Finanzexperte, den Lillian mit routinemäßigen Hintergrundchecks beauftragt hat, eine alarmierende Entdeckung. Jetzt sieht die Sache wieder ganz anders aus …!
Die Denkerin und die Kämpferin – ein Super-Team
Detektivin Lillian Pentecost (Ende 40) mag körperlich beeinträchtigt sein, doch ihrem messerscharfen Verstand entgeht nichts. Für die impulsiven Aktionen und gefährlichen Stunts ist Will Parker zuständig. Lillian ist die kultivierte, gut vernetzte Denkerin, Will der (durchaus lernfähige) Heißsporn, der aus der Gosse kommt. Keine der beiden entspricht den gesellschaftlichen Normen, und sie ergänzen einander perfekt.
Was mir ebenfalls positiv aufgefallen ist: die Art, wie der Autor die Schauplätze beschreibt. Er muss nicht großartig ins Detail gehen, er schafft es in wenigen Zeilen, das ärmliche Farmhaus, die bescheidene Dorfkirche oder die gruselige Spelunke so zu schildern, dass man sie sich vorstellen kann, sie zu spüren und zu riechen meint. Das gilt auch für den Wanderzirkus, der schäbig und abgeranzt sein mag, aber für die Artisten und Mitarbeiter die ganze Welt bedeutet.
Es gibt weitere Bände – aber auch auf Deutsch?
Ich finde die Reihe ausgesprochen unterhaltsam und habe mir die Folgebände auf Englisch beschafft. Im Moment sieht es nämlich nicht danach aus, als würden sie auch auf Deutsch erscheinen, was ich sehr schade finde.
Der Autor
Stephen Spotswood ist ein preisgekrönter Autor von Theaterstücken, Journalist und Theaterpädagoge. Zusammen mit seiner Frau, der Jugendbuchautorin Jessica Spotswood, ihrer Katze und einer stetig wachsenden Büchersammlung lebt und arbeitet er in Washington, D.C.
Die Übersetzerin
Die Liebe zu Büchern und Sprache brachte Charlotte Lungstrass-Kapfer auf ziemlich direktem Weg zum Übersetzen, sodass sie heute ihre Tage (und manchmal auch Nächte) damit verbringt, Vertreter ihrer Lieblingsgenres Fantasy und Krimi in ein deutsches Gewand zu kleiden. Sie lebt mit Mann, Kind und diversen Haustieren in der Nähe von München. Einblick in ihre Arbeit gibt sie (wenn sie es nicht vergisst) auf Instagram: @clkpages.
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Rezensentin: Edith Nebel
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