Hotelrituale

Hübsch hässlich ham die’s hier“, feixt mein Kollege und schaut sich mit unverhohlenem Grausen in der Hotelhalle um. Ich stimme ihm zu und hoffe nur, dass man hierzulande unseren breiten Dialekt nicht versteht – falls man zufällig deutsch können sollte. „Wer stellt nur diese potthässlichen, geblümten Teppiche her?“, wundere ich mich. „Ja, und welcher Hirsch kauft sie?“, fragt sich mein Kollege. „Und was mich am allermeisten interessiert: Wer um alles in der Welt kombiniert sie mit den gestreiften Tapeten und den total anders geblümten Sofas? Und mit den grausigen Vorhängen! Uaah!“ Er schüttelt sich.

„Das beleidigt dein geschultes Designer-Auge, was? Aber die Scheußlichkeiten gehören hier vielleicht zur Corporate Identity. Wenn du hier nachts um zwölfe aus dem Bett fällst, weißt du vielleicht nicht, in welchem Land du bist, aber wenn du auf einem affenhässlichen Blümchenteppich aufschlägst, weißt du immerhin: Es ist Hilton“, lästere ich. „Du bist ein Snob“, sagt er zu mir und lümmelt sich an die Theke der Rezeption. Er nennt lässig unseren Firmennamen, und die Dame am Empfang lockt die dazugehörige Reservierung aus dem PC. Der Kollege verhandelt wegen zahlreicher Sonderwünsche und kämpft mit dem Anmeldeformular. Mich beachtet kein Mensch, und ich muss mich wieder mal eigens bemerkbar machen. Nein, ich bin nicht die Begleitung des Herrn, ich bin ein eigenständiger Workshopteilnehmer, und auf mich ist ebenfalls ein Zimmer reserviert.

Jedes Mal der gleiche Klamauk. Irgendwas mache ich falsch. Unsere elektronischen Zimmerschlüssel in der Hand, verabreden wir uns auf später für einen kleinen Erkundungsgang und verschwinden auf unsere jeweiligen Zimmer. Meins ist genau so garstig eingerichtet wie die Hotelhalle. Der Teppich passt nicht zu den gleichfalls geblümten Vorhängen, und beides beißt sich extrem mit dem Bettüberwurf und den Bezügen der kitschig verschnörkelten Polstermöbel. Ganz automatisch beginne ich mit meinem Ritual der „Inbesitznahme“ meines Hotelzimmers. Reiße alle Türen auf, inspiziere das Bad. Wieder keine Ablage. Wo zum Geier soll ich meinen ganzen Kosmetikkrempel lassen? Na, wenigstens geht das Licht. Und das Waschbecken ist sauber. Und was haben die hier an Shampoo und Seife? Igitt, stinkt. Ah, eine Duschhaube! Die darf ich nicht vergessen mitzunehmen, wenn ich abreise. Unser Kollege daheim sammelt die nämlich.

Da ist auch die obligatorische Kaffeemaschine. Funktioniert die wie überall, oder ist das irgendein abartiges Patent? Ich untersuche sie kurz. Prinzip kapiert, nix Besonderes. Als nächstes ist der Kleiderschrank dran. Genügend Kleiderbügel vorhanden? Nee, natürlich nicht. Und schon gar keine Hosenbügel. Grr. Aber ein Bügelbrett und ein Bügeleisen. Sehr schön. Ach, da schau her, da ist ja das Schild mit den Zimmerpreisen. Waaaaas verlangen die hier offiziell für eine Nacht? Die sind verrückt! Das sind umgerechnet tausend Mark. Pff. Das ist der Kasten mit dem diskreten Charme der siebziger Jahre im Leben nicht Wert. Es muss die Lage sein. Ich hoffe, unsere Organisatoren haben einen sauberen Rabatt ausgehandelt, ehe sie uns hierher geschickt haben. Schließlich muss ich die Kröten vorstrecken.

Tausend Mark! Das glaubt mir daheim kein Mensch. Und ich beschließe, das Schild am Morgen vor meiner Abreise abzumontieren und mit nach Hause zu nehmen. Mit dem Phasenprüfer aus der Laptoptasche müsste es eigentlich abzuschrauben sein… Jetzt ist der Fernseher dran, inspiziert zu werden. Hoffentlich funktioniert die Fernbedienung! Oh, wie nett, da ist ja eine Botschaft unserer Teamleitung auf dem Schirm. Hm. Um halb sieben treffen wir uns an der Bar. Gut, da haben wir ja noch eine Weile Zeit. Deutsches Fernsehen gibt’s hier wohl nicht, oder? Ich zappe mich durch die Programme. Hoffentlich erwische ich nicht aus Versehen einen Pay-TV-Kanal. Die Angst hab ich immer, aber passiert ist es bis jetzt zum Glück noch nie. Es klopft. Das Gepäck kommt. Der Gepäckträger kriegt sein Trinkgeld und zieht freundlich grüßend wieder ab. Hab ich vielleicht zuviel gegeben?

Ich packe meinen Koffer aus und verteile meinen Krempel großzügig über das ganze Hotelzimmer. Mist – ich wollte doch noch Fotos vom Zimmer machen. Mach ich immer. Wenn ich nur einmal dran denken würde, die Aufnahmen zu schießen, BEVOR es in dem Raum ausschaut wie im Zirkus! Meine Arbeitsunterlagen werde ich mir morgen früh noch mal anschauen, nehme ich mir vor. In Hotelbetten kann ich sowieso nicht gut schlafen und werde stets im Morgengrauen wach. Und was ist das hier für ein Gewurstel mit den Bettdecken? Aha, das Übliche: Diverse Lagen von Lappen und Lumpen, die bombenfest unter die Matratze gestopft sind. Das kenne ich schon: am Morgen liegt die eine Hälfte davon auf dem Boden und im Rest hab ich mich rettungslos verheddert.

Ein Blick auf die Uhr. Hat es Sinn, schon daheim anzurufen? Oder kommuniziere ich da nur mit meiner eigenen Stimme auf dem Anrufbeantworter? Hm, noch wird niemand zu Hause sein. Ich probiere es, kurz bevor wir zur Bar gehen. Was muss ich nach Deutschland eigentlich vorwählen? Da werfen wir doch gleich mal einen Blick in die Informationsunterlagen … Na, die waren auch schon mal informativer. Aber die Touri-Broschüre, die nehme ich mit. Die Landkarte ist geil. Da sieht man wenigstens, wo wir hier sind. Wie spät? Es könnte noch schnell auf einen Sprung unter die Dusche reichen, den Reisestaub abspülen. Himmel, immer das Gefummel mit dem heißen und kalten Wasser! Was haben manche Länder bloß gegen Mischbatterien? Oder hat sich die Erfindung noch nicht bis hierher rumgesprochen?

Was ist das denn? Wo kommen auf einmal die Stimmen her? Und in was für einer Sprache reden die nur? Ich höre sie laut und deutlich, als stünden sie neben mir. Ein Mann und eine Frau. Verdammt! Die sind draußen – in meinem Zimmer! Na Klasse! Haben die das Zimmer etwa zweimal vergeben? Einbrecher werden es ja nicht sein. Die brüllen doch bei ihrer Tätigkeit nicht herum wie gestört. Was mach ich denn jetzt? Im Evaskostüm rausgehen und freundlich aber bestimmt um umgehende Verpissung bitten? Oder warten, bis die von selber wieder gehen? Das kann ich nicht machen! Wenn die nun was klauen! – Himmel! Mein Laptop! Da sind alle Daten drauf. Wenn der weg ist, ist das Meeting gelaufen! Ich wickle mich eilends in ein Badetuch und stürze aus dem Bad. Im Zimmer ist kein Mensch – außer mir, natürlich. Der Nachrichtensprecher im Fernsehen faselt dröge vor sich hin. Der war’s auch nicht. Ja, wo kommen dann die Stimmen her? Zurück ins Bad. Das sind sie wieder. Ach Gottchen – das kommt aus dem Badezimmer darüber! Oder von darunter? Anscheinend leiten die Wasserleitungen nicht nur Wasser, sondern auch ganz hervorragend Schall. Na, das kann ja heiter werden. Also nicht singen beim Duschen. Und beim Fönen nicht laut den Vortrag üben… Na, der Kollege wird vielleicht lachen, wenn ich ihm das nachher erzähle! Das werde ich mir noch lange anhören müssen, dass ich „Stimmen höre“. Egal. Das ist einfach zu gut, das kann ich nicht für mich behalten.

Zugegeben, die Story meiner Kollegin Wendy kann es nicht toppen. Die wachte nachts um drei in ihrem Hotelzimmer in Madrid auf – und es stand ein ganzer Trupp Sicherheitsleute im Raum. Sie hatte die Zimmertür aus Versehen nur angelehnt gelassen und war zu Bett gegangen. Und die Security hatte Mord und Totschlag befürchtet. Mörderisch war aber nur Wendys Schrecken gewesen angesichts der uniformierten Muskelpakete an ihrem Bett. Diese Story wird bei jedem Workshop des Konzerns früher oder später erzählt. Wendys Wandersage. Und dann gibt’s noch die Geschichte von dem schlafwandelnden Kollegen, der sich plötzlich nackt auf dem Hotelflur wieder fand … Nee, da höre ich lieber Stimmen. Im Rekordtempo mache ich mich ausgehfertig. Noch schnell den Stadtplan einstecken, die Kamera, und die Sonnenbrille … Und wo, zur Hölle, ist der verflixte Zimmerschlüssel? Ach … da, auf dem Bettüberwurf! Auf dem wilden Muster da fällt er gar nicht auf. Schnell die Jacke schnappen und raus. Und schön die Tür zumachen, sonst geht’s mir noch wie Wendy. So, Freunde, das hätten wir. Dieser Tag ist so gut wie gelaufen. Jetzt sind’s noch fünf. Oder besser gesagt, viereinhalb. Der Freitag zählt schon nicht mehr richtig. Wie auch immer das Meeting läuft – um halb zwei sitzen wir im Taxi zum Flughafen, und ich darf wieder heim.

Erschienen bei http://www.feierabend.com
Alle drei Fotos sind von http://www.pixelio.de

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