Stef Penney: Was mit Rose geschah – Roman

Stef Penney: Was mit Rose geschah, OT: The Invisible Ones, Deutsch von Susanne Goga-Klinkenberg, München 2013, dtv, Deutscher Taschenbuch Verlag, ISBN 978-3-423-24961-4, Softcover/Klappenbroschur, 444 Seiten, Format: 21 x 13,4 x 4,2 cm, EUR 14,90 (D), EUR 15,40 (A).

England, Ende der 1980-er Jahre: Die Geschichte beginnt wie ein klassischer Detektivroman oder wie ein Film noir: Leon Wood, der gut gekleidete Klient, der das armselige Büro des Privatdetektivs Ray Lovell betritt, hat seine Hausaufgaben gemacht: Er ist ein Rom, und er weiß, dass Lovell auch einer ist, wenn auch einer, dessen Familie vor Jahrzehnten schon sesshaft geworden ist. Dieser kulturelle Hintergrund ist es, der Lovell den Auftrag beschert. Er soll Woods Tochter Rose suchen, die nach ihrer Heirat mit Ivo Janko spurlos verschwunden ist … vor rund sechs Jahren!

Offiziell als vermisst gemeldet wurde die junge Frau nie. Die Roma haben nicht die besten Erfahrungen mit gorjio-Institutionen wie Polizei und Privatdetektiven. Sie würden ihnen als Außenstehenden auch gar keine Auskunft geben.

Vielleicht hatten die Woods auch verdrängt, dass Rose etwas zugestoßen sein könnte. Jetzt, nach dem Tod von Roses Mutter, ist ihr Vater bereit für jede Wahrheit. Er vermutet schon länger, dass die Jankos Rose ermordet haben, aus welchem Grund auch immer. Ein bisschen sonderbar war die Familie schon immer, aber die schüchterne Rose mit dem entstellenden Muttermal am Hals war auf dem Heiratsmarkt nicht viel wert. Der kränkliche Ivo Janko war die beste Partie, die die machen konnte.

Detektiv Ray Lovell kommt die Geschichte ein bisschen komisch vor, doch er braucht das Geld. Also reist er durchs Land und sucht Angehörige der Wood- und der Janko-Sippe auf um herauszufinden, was mit Rose geschehen ist.

Ihre Schwestern wissen nichts und gingen all die Jahre davon aus, dass Rose nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollte und sich deshalb nie mehr gemeldet hat. Sie haben nie so recht gewusst, was in dem schweigsamen Mädchen vorging.

Die Jankos dagegen erzählen viel. Klan-Chef Tene Janko, 60, seit einem Autounfall auf den Rollstuhl angewiesen, sagt, Rose sei weggelaufen, als klar war, dass ihr Sohn an der unheilbaren Erbkrankheit leidet, die viele der männlichen Jankos schon in jugendlichem Alter dahinrafft. Der einzige, der jemals von dieser Krankheit genesen ist, und zwar nach einer Wallfahrt nach Lourdes, ist Roses Mann Ivo.

Ivo redet nicht viel, sein Sohn Christo (6) kann sich krankheitsbedingt nicht verständlich äußern, und der Rest der Sippe – Tenes Schwestern, Schwager und Nichte – sind misstrauisch und berichten allenfalls Belangloses. Der einzige, der Rays Ermittlungen mit ehrlichem Interesse verfolgt, ist der 14-jährige James Janko, JJ. Den anderen ist es entweder egal, was Rose zugestoßen ist, oder sie wissen es ohnehin.

Ray flirtet mit Luella, Tenes jüngster Schwester, trauert immer noch seiner Ex-Frau Jen hinterher und tappt ansonsten im Dunkeln. Da wird bei Bauarbeiten auf einem früheren Lagerplatz der Jankos das Skelett eines jungen Menschen gefunden, das dort schon seit Jahren liegt. Rose? Als Ivo davon erfährt, verschwindet er, obwohl sein Sohn Christo gerade im Krankenhaus liegt.

Im Krankenhaus landet auch Ray – mit einer schweren Vergiftung. Wollten ihn die Jankos ausschalten, weil er der Wahrheit auf der Spur ist? Dass sie allerhand zu verbergen haben, ist offensichtlich. Nichts, was sie erzählt haben, passt auch nur annähernd zusammen oder hält einer Überprüfung stand.

Der Anruf eines Pfarrers aus Wales bringt eine ganz neue Wendung in die Geschichte. Nichts ist so, wie Ray – und der Leser – geglaubt hat. Aber was läuft dann hier ab? Was verschweigen die Jankos?

Die Wahrheit ist verrückt und unfassbar abartig. Aber auf einmal ergeben all die Merkwürdigkeiten und Ungereimtheiten einen Sinn. Und wer glaubt, dass so etwas nur in der kranken Phantasie einer Autorin funktionieren kann, dem lege ich gerne eine reale Künstlerbiographie ans Herz. Deutlicher kann ich jetzt nicht werden, sonst verrate ich zu viel.

Wer ein bisschen Ahnung von Genetik hat und sich die Mühe macht, die komplexen Familienverhältnisse der Sippen aufzudröseln, ahnt recht bald, wo in der Geschichte etwas faul sein muss. Doch des Rätsels Lösung haut den Leser genauso um wie den Privatdetektiv Ray Lovell.

Mit Absicht hat Stef Penney die Geschichte in die 80-er Jahre gelegt. Mit den Techniken von heute – Handy, Internet, Gentests – wäre der Fall ruckzuck geklärt gewesen, dazu hätte es keiner mühseligen Detektivarbeit bedurft. So läuft die Geschichte in einem altmodisch-gemächlichen Tempo ab. Ein hektischer Thriller voll atemloser Spannung ist der vorliegende Roman also nicht. Aber man hat, genau wie Ray Lovell, keine Ruhe, bis man alle Rätsel gelöst hat. Und so ganz nebenbei erfährt man vieles über das Leben der Roma und der englischen Gypsy , abseits von Kitsch und Operettenromantik. Ein kleines Glossar erklärt Romani-Begriffe, die im Buch verwendet werden, obwohl das nicht unbedingt nötig wäre, weil Stef Penney im Buch selber alles wunderbar erklärt.

Ein Teil des Romans wird aus der Sicht des 14-jährigen Rom JJ erzählt. Er redet ständig von seinen Großeltern, Großonkeln und Großtanten. Das verwirrt zunächst, weil man sich automatisch uralte Herrschaften vorstellt. Doch Roma und Gypsy heiraten sehr jung und die Sippen hier sind kinderreich. Der Großonkel und Klan-Chef ist 60, JJs Großeltern in den 50-ern und Großtante Lulu ist eine todschicke Frau von gerade mal 43 Jahren.

WAS MIT ROSE GESCHAH bietet spannende Unterhaltung in einem nicht alltäglichen Umfeld.

Die Autorin
Stef Penney aufgewachsen in Edinburgh, studierte zunächst Philosophie und Theologie an der Bristol University, später Filmwissenschaft am Bournemouth College of Art.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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