Paul Grote: Tödlicher Steilhang – Mord an der Mosel

Paul Grote: Tödlicher Steilhang – Mord an der Mosel, München 2013, dtv Deutscher Taschenbuch Verlag, ISBN 978-3-423-21464-3, 413 Seiten, Format: 19 x 11,8 x 2,8 cm, EUR 9,95 (D), EUR 10,30 (A), EUR 8,99 (Kindle Edition).

Geschäftsführer-Posten weg, Villa weg, Frau und Kinder weg – Georg Hellberger, 40 und ein Kerl wie ein Baum, steht vor dem Nichts. Ausgebrannt und bar jeder Idee, wie es weitergehen soll, nimmt er eine Einladung des Winzers Stefan Sauter an. Er lässt Hannover hinter sich und zieht ins Gästeapartment auf Sauters Weingut an der großen Moselschleife. Ein Sabbatjahr habe er genommen, erzählt er Sauters Mitarbeitern, und um seinen Horizont zu erweitern, mache er hier auf dem Gut ein Praktikum.

Hellberger ist Betriebswirt und war Geschäftsführer einer Sicherheitsfirma, ehe er seinen Job hinschmiss. Das erweist sich jetzt als praktisch, denn sein Gastgeber hat einen Notfall auf seinem Weingut in der Maremma (Mittelitalien) und muss sofort abreisen. Hellberger versucht derweil zusammen Sauters Assistentin das Chaos im Büro zu bändigen. Das funktioniert ganz gut. Vom Wein hat er allerdings keine Ahnung, da verfügt er allenfalls über ein bisschen Bildungsbürger-Halbwissen. Er freundet sich mit dem 19-jährigen Winzer-Azubi Klaus an, lässt sich von dem muffeligen Kellermeister Bischof unterrichten und lernt täglich dazu.

Zunächst kreisen Hellbergers Gedanken hauptsächlich um sein vergeigtes Leben. Immer hat er den Weg des geringsten Widerstands genommen und getan, was andere von ihm erwartet haben. So ist er in seinen Job geschlittert und im Grunde auch in seine Ehe. Jetzt, wo niemand greifbar ist, der ihm einen Vorschlag unterbreitet oder ein Angebot macht, weiß er nicht, was er tun soll und hat Selbstmordgedanken.

Doch die neue Umgebung weckt nach und nach seine Lebensgeister, und er entwickelt wieder Interesse an dem, was um ihn herum vorgeht. Ganz automatisch springen auch seine Instinkte als Sicherheitsfachmann mit Privatdetektiv-Ausbildung wieder an: Wie kann es sein, dass der Winzer Peter Albers, der doch hier am Ort aufgewachsen ist und jeden Weg und Steg kannte, auf dem Heimweg von der Gemeinderatssitzung in die Mosel gefallen und ertrunken ist? Hat da vielleicht jemand nachgeholfen? Aber wer? Und warum? Sein Gastgeber Sauter hatte mit Albers einen Rechtsstreit. Hat er etwas mit der Sache zu tun? Ist das der Grund für seine überstürzte Abreise nach Italien?

Hellberger ermittelt – und es ist gut, dass er wachsam und in Übung bleibt, denn sein Ex-Arbeitgeber, die Sicherheitsfirma Customer Overseas Services, hat ein Team auf ihn angesetzt. Ehe Hellberger seinem Chef die Brocken hingeworfen hat, hat er nämlich noch schnell ein paar belastende Unterlagen mitgehen lassen. Der Grund: Die neuen Inhaber der Sicherheitsfirma haben ihr Geschäftsfeld in Richtung Erpressung und Industriespionage erweitert, und das ging Hellberger zu weit.

Über den Nachbarsjungen Kilian lernt Hellberger die mutmaßlich verwitwete Winzerin und ausgebildete Geologin Susanne Berthold kennen – eine attraktive aber misstrauische und verschlossene Frau. Durch den Beruf kommen sich die beiden näher und Georg erwägt jetzt ernsthaft, an der Mosel zu bleiben. Sonst wäre er nie zu der Versammlung der Bürgerinitiative gegen den Bau der Hochmoselbrücke gegangen. Dort spricht ihn Helmut Menges, der Vorsitzende der Initiative, an und bittet ihn um Hilfe. Hellberger soll als Privatdetektiv für ihn tätig werden und herausfinden, wer ihn vor kurzem krankenhausreif geprügelt hat. Und wer die Auftraggeber waren. Die Polizei kann oder will nichts unternehmen. Hellberger mag erst nicht so recht, und als er sich am nächsten Morgen endlich zu einer Zusage durchgerungen hat, ist Menges tot. In seinem eigenen Weinberg gestürzt und den Steilhang hinuntergefallen.

Hellberger glaubt nicht an einen Unfall.

Ob die beiden ungeklärten Todesfälle zusammenhängen? Ins Visier geraten ein paar dubiose Gestalten aus der Rockerszene, die sich auf dem Campingplatz von „Tille“ Lehmann herumdrücken. Doch die sind sicher nicht von selbst auf die Idee gekommen, Albers und Menges umzubringen. Es muss sie jemand dafür bezahlt haben.

Naheliegend aber leichtsinnig ist es, dass Georg Hellberger den motorradfahrenden Winzer-Azubi Klaus einweiht und ihn „undercover“ in die Rocker-Szene einschleust. Klaus ist begeistert aber unerfahren, und mit dem „Wikinger“ und seinen Kerlen ist nicht zu spaßen.

Dass man Männerarbeit nicht von Jungs erledigen lassen sollte, dämmert irgendwann auch Hellberger, und er beordert ein paar Kumpels aus alten Zeiten an die Mosel. Die Rocker Pepe, Keule und Ritze sind schon mit ganz anderen Herausforderungen fertig geworden. Sie quartieren sich auf Lehmanns Campingplatz ein und halten Augen und Ohren offen. Und siehe da: Sie erfahren von ganz erstaunlichen Verbindungen …

Anders als in den anderen Krimis von Paul Grote erklärt uns diesmal kein grantiger Mittfünfziger den Wein und die Welt. Der Held dieses Kriminalromans ist 40 und lernt gerade selber erst das ABC des Weines – und der Leser mit ihm. Wie die Welt funktioniert, weiß er selber nicht. Seine eigene zumindest ist gerade frisch zusammengebrochen. Pampig kann er trotzdem werden, genau wie alle anderen Grote-Helden. Funktionsträger sind für ihn nicht automatisch Autoritäten. Sie müssen sich seinen Respekt erst verdienen.

Es ist sehr anschaulich und nachvollziehbar beschrieben, wie Georg Hellberger in eine Krise gerät und sich dort wieder herauswurstelt … wenngleich sich die Befindlichkeitsbeschreibungen manchmal etwas ziehen. Und um das ganze Für und Wider rund um die Hochmoselbrücke angemessen würdigen zu können, muss man vielleicht doch an der Mosel leben. Wer froh ist, über die Großbaustellen vor der eigenen Haustür einigermaßen informiert zu sein, verspürt nicht unbedingt die Neigung, sich in die Details eines anderen Mega-Projekts einzuarbeiten.

Naturgemäß dauert es eine Weile, bis Hellberger als Ortsfremder die Beziehungen der Leute untereinander durchschaut und sich zusammenreimen kann, wer wohl Albers und Menges auf dem Gewissen hat. So richtig kommt Geschichte erst in Schwung, als er wieder zu seiner alten Form aufläuft und seine Biker-Kumpels mit ins Spiel bringt. Der seriöse Betriebswirt und die deftigen Rocker – das ist ein Team mit Fernsehserienpotenzial. So eine Art „Fall für zwei“ mit dreifachem Matula. Wobei der seriöse Betriebswirt auch selber recht sauber austeilen kann.

Schütteln könnte man ihn, wenn er über seine Frau spricht. Wenn seine Miriam schon immer so ein habgieriges, oberflächliches, egoistisches, faules, intrigantes, dämliches, verlogenes, keifendes (…) Miststück war, warum hat er sie dann überhaupt geheiratet? Oder sich nicht längst von ihr scheiden lassen?

Ein bisschen seltsam sind die Kinder in der Geschichte. Hellbergers Tochter Rose ist nur ein wenig altklug. Aber ich bin aus allen Wolken gefallen, als es irgendwann hieß, der Nachbarsjunge Kilian ginge bereits aufs Gymnasium. Ich habe ihn rund 300 Seiten lang für einen Fünfjährigen gehalten.

Politik und Befindlichkeiten bremsen die Krimihandlung ein wenig. Aber man lernt viel über den Wein und begegnet einer Menge interessanter Persönlichkeiten. Und das macht die Geschichte lesenswert.

Der Autor
Paul Grote berichtete fünfzehn Jahre lang als Reporter für Presse und Rundfunk aus Südamerika. Seit 2003 lebt er als freier Autor in Berlin. Sein Gespür für Wein, sein Wissen und seine Erfahrungen spiegeln sich in allen seinen Krimis wider.

Rezensent: Edith Nebel<em><font color=“#ff9900″>
EdithNebel@aol.com</font></em>
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