Johannes Groschupf: Das Lächeln des Panthers (ab 16), Hamburg 2015, Oetinger Taschenbuch, ISBN 978-3-8415-0349-7, Klappenbroschur, 317 Seiten, Format: 13,6 x 2,5 x 20,3 cmBuch: EUR 12,99 (D), EUR 13,40 (A), Kindle Edition: EUR 11,99.
„Sie lehnte sich von innen gegen die Tür. Jetzt war sie allein, ganz allein. Sie hatte ihren Vater verloren. Sie war von ihrem Freund betrogen worden. Und von der einzigen Frau ihres Alters, die sie in Berlin kannte, ebenfalls betrogen. Von der Mutter sitzen gelassen. Das Hotel, das sie erben sollte, war hoffnungslos überschuldet. Den Abschluss im Internat konnte sie auch vergessen. Keine gute Bilanz der letzten zwei Monate.“ (Seite 163)
Gerade eben war Katinka Schwarz, 17, noch eine unbeschwerte Schülerin in einem schottischen Internat, Mitglied im Rugbyteam und Teil einer rauen aber herzlichen Freundinnenclique. Ein Anruf ihrer Mutter ändert alles: Katinka muss sofort nach Hause kommen. Ihr Vater, der in Berlin ein traditionsreiches kleines Hotel betreibt, liegt nach einem schweren Unfall im Koma.
Katinka erbt ein Hotel – und Schulden
Der Vater überlebt den Unfall nicht. Katinka erbt das Hotel „Marabu“ in der Schlüterstraße 45, das seit 60 Jahren in Familienbesitz ist und seit Jahrzehnten nicht mehr renoviert wurde. Die Mutter, zu der das Mädchen ein extrem distanziertes Verhältnis hat, bekommt nur die Eigentumswohnung. Sie schleppt gleich einen Immobilienmakler an, der ihrer Tochter das Hotel abkaufen soll. Doch davon will Katinka nichts wissen. Sie ist im „Marabu“ aufgewachsen. Hier hat sie mit ihrem Opa hinter der Empfangstheke gestanden und von klein auf den Umgang mit den Gästen gelernt. Sie will das Hotel unbedingt halten und weiter betreiben.
Erst als Katinka sich durch die Papiere ihres Vaters wühlt, dämmert ihr, dass sie ein gewaltiges Problem geerbt hat: Das Haus ist derart überschuldet, dass ihr Vater die Rechnungen schon gar nicht mehr geöffnet hat. Nie im Leben wird sie mit diesem zwar geschichtsträchtigen aber absolut nicht mehr zeitgemäßen alten Kasten so viel erwirtschaften, dass sie die Schulden tilgen kann. Und wer würde ihr, einer siebzehnjährigen Schülerin, einen Kredit geben? Es wird wohl darauf hinauslaufen, dass sie das Erbe ausschlagen muss. Um diese Entscheidung zu treffen, hat sie sechs Wochen Zeit. Bis dahin hält sie den Laden so gut wie möglich am Laufen.
Lebenserfahrene Ratgeber hat sie nicht. Ihre Mutter turtelt mit dem Immobilienmakler und will mit ihrer Tochter offensichtlich nichts zu tun haben, Katinkas Freunde hier in Berlin – Empfangsdame Zazie und der britische Kunststudent (?) Finley – sind ebenso jung und unerfahren wie sie, und der alte Nachtportier Sumbeck kann zwar von vergangenen Zeiten schwärmen, aber vom Geschäft selbst versteht er nichts.
Wer ist die Frau mit dem Rolls Royce?
Eigenartige Leute stehen auf einmal bei ihr auf der Matte. Eine vornehme alte Dame im Rolls Royce fährt ein ums andere Mal vor und beobachtet das Hotel aus der Entfernung. Täuscht das, oder hat sie tatsächlich einen schwarzen Panther als Haustier? Der Kunsthistoriker Eduard Skripnik geistert durchs Haus, betrachtet ganz genau die dort hängenden Bilder und unkt etwas von einem Geheimnis, das dieses Hotel umgibt. Vor allem das Bild eines Panthers, das angeblich von Otto Mueller stammt, hat es ihm angetan. Sein eigentliches Interesse gilt jedoch dem Werk des Malers Felix Nussbaum. Irgendwie ist dieser Skripnik unheimlich … mit seinen Spinnefingern, seiner geschraubten Redeweise und dem etwas irren Blick.
Irre scheint auch der Immobilienmakler Schwenckendorf geworden zu sein. Mit aller Macht und den übelsten Mitteln versucht er, den Ruf des Hotels zu ruinieren und Katinka Schwartz dadurch zum Verkauf zu zwingen. Ist diese Immobile wirklich so viel wert, dass er dafür Kopf und Kragen riskiert?
Katinka versteht überhaupt nicht, was um sie herum vorgeht. Was wollen all diese Menschen von ihr? Erst als sich ihr die alte Dame mit dem Rolls Royce als Baronin Erdmuthe von Rochlitz zu erkennen gibt und von der Vergangenheit des „Marabu“ erzählt, als das Haus noch kein Hotel war, sondern die Reichskulturkammer der Nazis beherbergte, ergeben die jüngsten Ereignisse Sinn. „Dieses Haus hat weit mehr zu bieten als Schulden“, behauptet die Baronin. (Seite 109). Und genau das ist das Problem: Hinter diesem „Mehr“ sind eine Menge Leute her – und die minderjährige Einzelkämpferin Katinka hat ihnen so gut wie nichts entgegenzusetzen.
Erbe oder Leben!
Nach und nach wird Katinka auch klar, wie ihre eigene Familie in die Ereignisse verstrickt ist und was das für sie bedeutet. Doch zunächst einmal muss sie mit heiler Haut aus der Erbsache herauskommen. Sieht ganz so aus, als hieße die Alternative: Hotel oder Leben!
Autor Johannes Groschupf hat anscheinend eine Vorliebe für marode Immobilien. 2013 schrieb er ein Jugendbuch über Urban Explorers (LOST PLACES), jetzt geht’s um ein heruntergewirtschaftetes Hotel in einem geschichtsträchtigen Gründerzeitgebäude.
Vorbild für das Hotel Marabu im Roman war das Hotel Bogota in der Schlüterstraße 45 in Berlin:
Ein bisschen gruselig ist ein altes, verfallendes Gebäude immer. So auch das in diesem Buch. Die Stimmung ist melancholisch, die Heldin ist in Trauer. Und sie muss erkennen, dass sie mutterseelenallein dasteht in einem Kampf gegen die harten Tatsachen des Lebens, gegen gierige Spekulanten, ungeduldige Gläubiger und verzweifelt Suchende. Und dabei geht es nicht nur um Geld und juristische Winkelzüge, sondern tatsächlich um Leben und Tod.
Die Sache mit den minderjährigen Erben
So packend und mysteriös die Geschichte ist – ich habe mich gefragt, ob man tatsächlich einen minderjährigen Erben einfach so wursteln und sogar eine Firma leiten lässt. Im realen Leben hätte doch sicher die Mutter darüber entschieden, ob das Erbe angenommen oder ausgeschlagen wird und wahrscheinlich auch darüber, was mit dem Hotel passiert. Bei einer Erbausschlagung hat, soweit ich weiß, sogar noch das Familiengericht mitzureden. Mit der minderjährigen Katinka hätte sich der Immobilienmakler also auf gar keinen Fall auseinandersetzen müssen. Ihre Mutter war ja ohnehin auf seiner Seite. Okay, das Buch richtet sich an eine jugendliche Zielgruppe, die sich solche Fragen vermutlich nicht stellen wird. Da zählt die Spannung – und spannend ist das Buch allemal.
Bei den Rückblicken der Baronin hatte ich manchmal Schwierigkeiten zu verstehen, von wem denn nun die Rede ist. Wer war in alles eingeweiht? Der Baron oder der erste Hotelbesitzer? Wenn von Hans und Franz die Rede ist, ist die Sache klarer, als wenn namenlose Nebenfiguren nur durch ihren Bezug zu einer anderen Person definiert werden: dein Nachbar, dein Großvater, dein Onkel … da kommen im Zweifelsfall mehrere in Frage.
Wie schon bei LOST PLACES hat man auch bei diesem Groschupf-Buch das Bedürfnis, die so bildhaft beschriebenen real existierenden Locations selbst zu sehen, genau wie die Gemälde, die in der Geschichte vorkommen. Internet sei Dank hat man ja heute recht schnell das vor Augen, was der Autor vor sich gesehen hat, als er den Roman schrieb. Schon sehr eindrucksvoll: charmanter „shabby chic“ mit Geschichte. Irgendwie wäre DAS LÄCHELN DES PANTHERS auch ein verflixt cooler Film.
Der Roman bietet spannende Unterhaltung, jubelt dem Leser gekonnt geschichtliches Wissen unter – und die juristischen Spitzfindigkeiten rund um den Erbfall stören allenfalls den erwachsenen Leser. Die eigentliche Zielgruppe kann gut damit leben.
Hier ist noch ein SPIEGEL-Artikel zum Hotel Bogota: http://www.spiegel.de/reise/aktuell/hotel-bogota-berliner-institution-muss-schliessen-a-932605.html
Der Autor
Johannes Groschupf, 1963 in Braunschweig geboren, wuchs in Lüneburg auf. Studium der Germanistik, Amerikanistik und Publizistik in Berlin (West). Einer der ersten Entdecker des Bezirks Neukölln; seine Erkundungen wurden unter dem Pseudonym Olga O’Groschen: Gebrauchsweisung für Neukölln (1988) veröffentlicht. Reisejournalist für Die Zeit, FAZ, Frankfurter Rundschau: Hawaii, Karibik, Ukraine, Russland, Kamtschatka, Japan, Indien, Algerien. 1994 Hubschrauberabsturz in der Sahara. 1998 entstand aus dieser Erfahrung das Radio-Feature „Der Absturz“, das im Jahr darauf den Robert-Geisendörfer-Preis erhielt. Johannes Groschupf hat zwei mittlerweile erwachsene Kinder und lebt in Berlin.
Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com
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