Hermien Stellmacher: Katzenglück und Dolce Vita. Roman

Hermien Stellmacher: Katzenglück und Dolce Vita. Roman, Berlin 2017, Insel-Verlag, ISBN 978-3-458-36274-6, Softcover, 268 Seiten mit s/w-Illustrationen, Format: 11,8 x 2 x 18,9 cm, Buch: EUR 9,95 (D), EUR 10,30 (A), Kindle Edition: EUR 9,99.

Abbildung: (c) Insel-Verlag

Karla Becker, 38, Mediendesignerin in München, fühlt sich in ihrem Beruf nicht mehr wohl. Sie will nicht mehr tagaus, tagein im Agentur-Hamsterrad rennen und sich das selbstherrliche Geschwätz des schnöseligen Creative Directors anhören müssen. Ihr Traum ist es, Bücher zu illustrieren. Und so verbindet sie den hart erkämpften Urlaub in Italien mit dem Besuch einer Kinder- und Jugendbuchmesse in Bologna, wo sie mit ein paar Verlagen Termine vereinbart hat.

Karlas Traum: Bücher illustrieren


Doch die Konkurrenz ist groß und vor allem jung. Es hagelt Absagen – bis sie mit der Designerin Pauline Brinkmann ins Gespräch kommt. Die kennt jemanden, der jemanden kennt, und ruckzuck hat Karla ein Gespräch mit der Geschenkbuch-Verlegerin Lindemann und einen Auftrag für ein paar Probeillustrationen in der Tasche. Sie soll ein Buch mit Katzen-Kurzgeschichten illustrieren.

„Models“ gibt es in dem Häuschen, das Karla und ihr Lebensgefährte, der IT-Fachmann Marius, für drei Wochen gemietet haben, genügend, auch wenn Hausverwalter Fabio, der eine ausgeprägte Katzenphobie hat, nichts davon wissen darf. Karla deckt sich mit Zeichenbedarf ein und legt los. Doch es ist gar nicht so einfach, den roten Kater Leporello, die stimmgewaltige graue Katzendame Callas und die getigerte Paroli auf Papier zu bannen. Und so gemütlich, wie sie es sich vorgestellt hat, wird der Urlaub auch nicht. Von wegen zeichnen, nichts tun und sich von Marius bekochen lassen! In seiner Firma gibt es ein Problem, mit dem sein Geschäftspartner alleine überfordert ist, und so muss Marius Knall auf Fall zurück nach München.

Allein mit ihren Katzen und Selbstzweifeln


Karla ist mit ihren Katzen, den Selbstzweifeln, dem aufdringlichen Hausverwalter und den quälenden Erinnerungen an ihre problembelastete Kindheit allein. In künstlerischen Fragen hilft ihr der französische Maler Lucien, der sich mit seiner Frau Claire, einer Autorin, ganz in der Nähe niedergelassen hat. Von ihm lernt sie nicht nur ein paar Tricks zum Katzenzeichnen, sondern auch, wie man Altes loslässt und neu anfängt, wenn das bisherige Leben nicht mehr zu einem passt. Marius daheim in München reagiert mit Eifersucht auf diese Arbeitsfreundschaft.

Karla ist zwar zunehmend genervt von den Nachrichten ihres Chefs, der dauernd will, dass sie ihren Urlaub abbricht und zurück in die Agentur kommt, aber sie hat nicht den Mut, ihm die Brocken vor die Füße zu werfen und auf ihren Neustart als Illustratorin zu vertrauen. Dazu ist ihr Sicherheitsbedürfnis zu hoch – ein Relikt aus ihrer Jugend.

Durch eine Verkettung widriger Umstände wird Karla plötzlich tageweise Babysitterin der vierjährigen Valentina. Sie hat nicht viel Erfahrung mit Kindern und will selbst auf gar keinen Fall welche haben. Zu groß ist ihre Angst, dass die Geschichte sich wiederholen könnte und ihr Sohn oder ihre Tochter dasselbe erleiden müsste wie sie als Kind. Niemand, der sie mit Valentina zusammen sieht, kann das nachvollziehen. Karla wäre ganz bestimmt eine tolle Mutter.

Mann weg, Job weg, Traum geplatzt?


Doch das Thema „Kinder“ scheint ohnehin durch zu sein. Es sieht ganz so aus, als sei Karla der Mann abhandengekommen. Marius amüsiert sich in München offenbar ganz wunderbar ohne sie. Eine Nachricht, die sie ihm schickt, kommt aus Versehen ohne den erklärenden Anhang an und sorgt für ein folgenschweres Missverständnis. Nun meldet er sich gar nicht mehr. Und die Verlegerin Lindemann hat auf Karlas Probeillustrationen auch nicht reagiert. Dabei hatte Karla sogar noch als Bonus Entwürfe für eine weitere Buchidee, das Katzen-ABC, geschickt.

Ist jetzt alles aus? Zurück in die Agentur kann und will Karla nicht. Für ein Jahr reicht ihr Erspartes, wenn sie aus dem teuren München wegzieht, hat sie errechnet. Und dann? Auf einen Neuanfang war sie eingestellt, nicht aber auf die komplette Vernichtung ihrer beruflichen und privaten Existenz!

Im Grunde passiert gar nicht viel in diesem Buch. Eine Frau fährt mit einer schrottreifen „Ape“ durch die Toskana, versorgt ein paar Katzen, zeichnet, telefoniert mit ihrem Lebenspartner und kommt mit den Einheimischen in Kontakt. Wenig Action. In aller Stille macht sie sich daran, ihr Leben umzukrempeln. Und die spannende Frage ist, ob sie es schaffen wird, all die äußeren und inneren Hindernisse zu überwinden und ihre Zukunft so zu gestalten, wie sie es möchte.

Schon der der Kauf zweier farbiger T-Shirts auf dem Markt ist ein Riesenfortschritt – nach all den Jahren im Agentur-Einheitsschwarz. Statt eines trostlosen Hamsterrads schwebt Karla für die Zukunft nämlich ein buntes Karussell vor. Aber allzu bunt sollte es das Leben bitte auch nicht treiben. Als ob es darauf Rücksicht nähme! Es kommt wie es kommt. Uns fragt ja auch keiner, wie wir’s gerne hätten …

Wenn das alte Leben nicht mehr passt


KATZENGLÜCK UND DOLCE VITA ist ein inspirierendes Wohlfühlbuch, das den LeserInnen Mut macht, ihr derzeitiges Leben in Frage zu stellen und gegebenenfalls etwas daran zu ändern. Dass das nicht so einfach geht und mit Ängsten und Zweifeln verbunden ist, sieht man Karla. Veränderungen haben ihren Preis. Aber wenn man nichts ändert und aus lauter Furcht und Bequemlichkeit unter Bedingungen verharrt, die nicht mehr zu einem passen, zahlt man dafür auch. Man muss sich entscheiden.

Hermien Stellmacher ermutigt uns nicht nur, sie nimmt uns auch wieder ein paar Illusionen. Hat sie ihrem Roman COTTAGE MIT KATER das Leben als SchriftstellerIn entzaubert, sehen wir hier, dass auch die angeblichen Traumjobs in der Werbung ihre Schattenseiten haben. Und selbst die Arbeit als Buchillustrator ist bei weitem nicht so romantisch, wie man sich das vorstellt. Es ist ein hartes Brot.

Karlas Katzenbuch gibt’s wirklich


Die ganze Zeit über dachte ich, es wäre doch nett, wenn es das Katzen-ABC, an dem Karla Becker in jeder freien Minute arbeitet, wirklich zu kaufen gäbe. Und tatsächlich: Unter dem Titel WIE WIR KATZEN DIE WELT SEHEN  erscheint es im Oktober 2017 im Insel-Verlag. Dann kann man die Illustrationen, an denen Karla im vorliegenden Roman arbeitet, und von denen wir nur ihre Beschreibungen und (Hermien Stellmachers?) Skizzen kennen, in ihrer Vollendung sehen.

Schon witzig, wenn Autoren die Bücher ihrer Protagonisten fertigschreiben „müssen“. Das ging neulich der Autorin Heike Abidi mit ihrer schriftstellernden Kinderbuchheldin Henriette Vogelsang so, und nun wird auch noch das Herzensprojekt von Hermien Stellmachers Heldin Karla in Wirklichkeit realisiert. Irgendwie erwarte ich dann immer, dass auch die Romanfiguren als Autoren genannt werden. Man kommt ganz durcheinander, wenn das, was die Buchhelden tun, Auswirkungen auf das reale Leben hat. 😉

Die Autorin
Hermien Stellmacher, geboren 1959, wuchs in Amsterdam auf. Im Alter von 15 Jahren zog sie nach Deutschland. Sie illustrierte zahlreiche Kinder- und Jugendbücher. Seit einigen Jahren schreibt sie hauptsächlich für Erwachsene, zum Teil unter dem Pseudonym Fanny Wagner. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Katern in einem kleinen Dorf in der Fränkischen Schweiz.

Rezensent: Edith Nebel
EdithNebel@aol.com

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