Michael Meisheit: Wir sehen dich sterben. Thriller

Michael Meisheit: Wir sehen dich sterben. Thriller, München 2019, Wilhelm Heyne Verlag, ISBN 978-3-453-43982-5, Softcover, 446 Seiten, Format: 11,9 x 3,5 x 18,7 cm, Buch: EUR 10,99, Kindle: EUR 9,99, auch als Hörbuch lieferbar.

Abb. (c) Wilhelm Heyne Verlag

Manchmal verrät schon die Entstehungsgeschichte eines Romans ein wenig davon, was den Leser erwartet. Dass der Autor TV-Serien und Liebesromane – mit und ohne Fantasy-Elemente – schreiben kann, wissen wir. Er ist ein Profi. Seinen ersten Thriller hat er „ins Blaue hinein“ geschrieben, ohne zu wissen, ob er einen Verlag dafür finden würde. Das Exposé des fertigen Romans hat er dann an eine Literaturagentur geschickt. „Sechs Monate kann es dauern, bis so ein vielbeschäftigter Agent sich meldet, sagte man mir“, schreibt er in seiner Danksagung (Seite 445/446). „(…) Die müssen ja erst einmal lesen, und das dauert ewig. Nicht sechs Monate, sondern exakt sechs Stunden nach meiner Mail mit dem Exposé hat Felix [der Agent] sich gemeldet (…)“ (Seite 446)

Man kann also davon ausgehen, dass die Geschichte eine gewisse Sogwirkung entwickelt. Und, ja, das kann ich bestätigen!

Nina will Blinden die Sehkraft wiedergeben

Nina Kreuzer heißt die Heldin, die völlig unvorbereitet in eine ebenso wahnwitzige wie gefährliche Situation hineingerät. Sie ist Augenärztin und Biologin und hat, seit ihr Vater in jungen Jahren durch einen Unfall erblindet ist, ein Kindheitstrauma und eine Mission: Sie will Blinden das Augenlicht wiedergeben. In einem in den Sehnerv implantierten Chip sieht sie eine Chance. Auf diesem Gebiet forscht sie zusammen mit ihrem Lebensgefährten Christoph Becker an einer Universität.

Die Beziehung und die Zusammenarbeit der beiden läuft akkurat so lange, bis für Christoph privat und beruflich etwas Besseres des Weges kommt. Privat in Gestalt der IT-Spezialistin Franziska, beruflich in Form eines Jobangebots des Internetmoguls Philipp „Ruby“ Rubinski. Dieser pervertiert die Idee des engagierten Forscherpaares zu MYVIEW. Die Implantate, die seine Firma GEM herstellt, machen nicht etwa die Blinden sehend, sondern übertragen das, was die Probanden sehen, in einen Livestream ins Internet.

Die Firma GEM pervertiert Ninas Idee

Christoph Becker nimmt das Angebot an, Nina Kreuzer ist raus aus der Nummer. Damit will sie nichts zu tun haben. Hat sie auch nicht – bis eines Tages eine GEM-Mitarbeiterin auf sie zukommt und sie um Hilfe bittet. Sie hat im Internet ein halbes Dutzend Livestreams entdeckt von Leuten, die offensichtlich keine Ahnung davon haben, dass alles, was sie sehen, irgendwohin übertragen, aufgezeichnet und beobachtet wird. Unfreiwillige Versuchskaninchen!

Als die beiden Frauen auch noch beobachten, wie einer der Probanden kaltblütig ermordet wird, geht Nina zur Polizei. Es dauert eine Weile, bis man ihr dort glaubt. Kriminalkommissar Tim Börde hört wieder mal auf sein viel geschmähtes Bauchgefühl und geht der Sache nach. Die Streams sind ja nicht wegzudiskutieren. Und wenn eine der Versuchspersonen von einem Profikiller ausgeschaltet worden ist, ist nicht auszuschließen, dass die anderen ebenfalls in Gefahr sind.

  • Problem 1: Niemand weiß, wer die Probanden sind.
  • Problem 2: Tim kann sich nicht auf alle seine Kollegen verlassen. Er hat Grund zur Annahme, dass es in ihren Reihen einen „Maulwurf“ gibt, der der Gegenseite zuarbeitet.
  • Problem 3: Auch in der Firma GEM ist unklar, wem man trauen kann und wem nicht.

Ahnungslose Probanden in Lebensgefahr

Für den folgenden Tag ist eine öffentliche Präsentation des bislang geheimen Projekts MYVIEW geplant. Dieses Ereignis sollen die Probanden vermutlich nicht mehr erleben …

Zusammen mit Nina und ein paar befreundeten Polizeibeamten schlägt Kommissar Tim Börde in seiner Wohnung ein provisorisches Hauptquartier auf. Sie gehen jedem noch so kleinen Hinweis nach, um die Probanden aufzuspüren, zu warnen und zu retten. Doch die Gegenseite, wer auch immer dahinterstecken mag, ist hochprofessionell organisiert und ausgestattet, hat ihre Augen und Ohren überall – und der Profikiller erledigt unerbittlich seinen Auftrag.

Trotz der dramatischen Handlung muss man manchmal schmunzeln. Für einen besonders schamhaften jungen Polizisten ist das Überwachen der Livestreams eine Tortur. Zu viele Informationen für armen Kerl! Der Spott seiner Kolleg*innen ist ihm gewiss.

Nina lässt sich von der Polizei nichts sagen

Eine der Unwägbarkeiten bei diesen heimlichen polizeilichen Ermittlungen ist Zivilistin Nina Kreuzer. Sie lässt sich von den Anordnungen der Polizisten nicht beeindrucken und macht, was sie für richtig hält. Auch wenn es Tim und seinen Kolleg*innen nicht passt, geht sie, die eine offizielle Einladung besitzt, am Sonntag Abend zur MYVIEW-Präsentation in die Firmenzentrale von GEM – wo es zu einem hochdramatischen und actionreichen Showdown kommt.

Erfahren wir jetzt, wer auf wessen Seite steht? Und kommen alle, mit denen wir nun 400 Seiten lang nägelkauend mitgefiebert haben, mit dem Leben davon?

Von Samstag früh bis zum Sonntag Abend (kurz vor der Tagesschau 😉 ) folgen wir Nina, den Probanden und Polizisten bei ihrem mörderischen Wettlauf gegen die Zeit. Es bedarf einer starken Willensanstrengung, das Buch zwischendrin wegzulegen und sich dem eigenen Alltag zu widmen, weil es einfach so spannend ist.

Das Seelenleben des Auftragsmörders

Interessant sind die Einblicke in die Gedankenwelt des Auftragsmörders. Einerseits ist er eine emotionslose, hocheffiziente Killermaschine, andererseits ein liebevoller Familienvater, der sich seine Profession schön redet. Aber hat er nicht auch ein kleines bisschen recht, wenn er sagt: „(…) Glauben Sie, dass solche Menschen so viel Geld verdienen, ohne dass andere leiden oder gar sterben? Es fällt ihm nur deswegen leichter, weil er seine Opfer nicht sterben sehen muss. Das ist der einzige Unterschied zu mir.“ (Seite 375)

Kurz und gut: Meisheit kann auch Thriller. Und wie! Allerdings habe ich wieder mal ein kleines Prolog-Problem: Ich kann die Personen aus dieser packenden Szene nicht zweifelsfrei in den Roman einsortieren. So bleibt er ein „Appetithäppchen“, das gleich zu Beginn zeigt, welche Spannung der Autor aufbauen kann. Ich hätte das jetzt nicht gebraucht. Ich hab’ ihm das auch so geglaubt.

Der Autor

Michael Meisheit, 1972 in Köln geboren, studierte an der Filmakademie Baden-Württemberg Drehbuch und ist seit über zwanzig Jahren im deutschen Fernsehgeschäft aktiv. Heute lebt Meisheit mit seiner Familie in Berlin-Kreuzberg, gegenüber von Polizeiabschnitt 52 und in Fußentfernung vom Tempelhofer Flughafen – also mitten in seiner Geschichte.

Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
www.boxmail.de

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