Sibylle Luise Binder: Mord bei den Festspielen. Bodenseekrimi

Sibylle Luise Binder: Mord bei den Festspielen. Bodenseekrimi, Meßkirch 2020, Gmeiner Verlag, ISBN 978-3-8392-2583-7, Klappenbroschur, 378 Seiten, Format: 13,9 x 3,5 x 20,9 cm, Buch: EUR 15,00 (D), EUR 15,50 (A), Kindle: EUR 4,99.

Abb.: (c) Gmeiner

„Ich habe in der Oper Drama genug. Ich brauche das privat bestimmt nicht.“ (Seite 377)

Bregenz am Bodensee, Sommer 2018: Dramatik auf der Bühne, Ruhe und Beschaulichkeit im Privatleben – so wünscht sich das der Kammersänger und Opernregisseur Lucas E. Benning, 52, der gerade „Don Carlos“ für die Seefestspiele inszeniert. Dass das Drama auch gern mal in sein Privatleben schwappt, liegt an Ehefrau Nummer drei. Victoria Rühle-Benning (36) ist eine bodenständige, denkbar unprätentiöse schwäbische Pfarrerstochter. Sie schreibt Sachbücher, hat einen Lehrauftrag als Musikhistorikerin an der Stuttgarter Hochschule für Musik, und arbeitet, wenn ihr Mann ein Stück inszeniert, als seine Assistentin. Aber sie war auch mal Journalistin und hat ihre professionelle Neugier nie abgelegt. Und das sorgt für Wirbel.

Hätte sie die streitsüchtige Familie des Star-Baritons Mario Miercoledi in der benachbarten Hotelsuite nicht einfach brüllen lassen können? Das haben die doch schon immer gemacht! Aber dieses Mal klingt es irgendwie anders als sonst. Victoria weckt ihren Mann und sie gehen nachsehen. 

Tod im Hotelzimmer

Vor seinem Bett liegt der Sänger – tot! Und es ist kein schöner Anblick. Lucas Benning vermutet einen Hinterwandinfarkt. Miercoledi war nicht mehr der Jüngste und hatte Herzprobleme. Der muffelige Hausarzt, den der alarmierte Hotelmanager eilends herbeizitiert, sieht das ähnlich und bescheinigt eine natürliche Todesursache.

Victoria Rühle-Benning hat Zweifel. Hat man bei einem Hinterwandinfarkt tatsächlich so einen knallroten Mund? Könnte der Sänger nicht auch vergiftet worden sein? Dieser Verdacht ist alles andere als absurd: Der Verstorbene war ein egozentrisches Ar***l*ch, das seinen Angehörigen und Kolleg*innen das Leben zur Hölle gemacht hat. Er hat alles angebaggert, was nicht bei drei auf den Bäumen war, diverse außereheliche Kinder gezeugt, Karrieren ruiniert und mindestens ein Menschenleben auf dem Gewissen. Wenn er denn ein Gewissen gehabt hätte.

Victoria ist schon ein paar Jahre im Geschäft, ihr Gatte noch länger. Sie kennen die beruflichen und privaten Verstrickungen ihres Ensembles und können aus dem Stand ein halbes Dutzend Motive und Tatverdächtige aus dem Ärmel schütteln. Aber das ist nichts, mit dem man zur Polizei gehen könnte.

Wurde der Sänger vergiftet?

Als Victoria feststellt, dass die Eibenhecke vorm Hotel unfachmännisch gestutzt wurde, fällt ihr ein seltsamer Vorfall in der Todesnacht ein. Sie beginnt zu recherchieren: Ja, an der Eibe ist praktisch alles giftig. Ja, Mario Miercoledis Symptome passen zu einer Taxin-B-Vergiftung. Und es ist nicht weiter schwierig, das Gift zu extrahieren. Viel braucht man davon nicht. Man muss es dem Opfer nur irgendwie ins Essen oder in ein Getränk mischen.

Als sie im Geiste durchgeht, wer von den Kolleg*innen über entsprechende Kenntnisse verfügt, wird ihr ganz anders. Es sind doch einige – vom Ex-Chemiestudenten über diverse Hobby-Kräuterhexen bis zur Apothekertochter und Arztgattin. Auch die Sopranistin Riika Bergqvist-Seiler, Victorias beste Freundin seit dem Studium, ist demnach verdächtig. 

Victoria wird trotzdem bei der Kriminalpolizei vorstellig. So sachlich und überzeugend, wie sie dort auftritt, hält man sie zum Glück nicht für eine überspannte Wachtel, sondern leitet sofort entsprechende Maßnahmen ein, z.B. eine Obduktion.

Victoria ermittelt sich um Kopf und Kragen

Jetzt sollte sich die Professorin zurücklehnen und die Profis ihre Arbeit machen lassen, aber das bringt sie nicht fertig. Die armen Kripo-Beamten, die kennen sich doch in der Opernszene gar nicht aus! Wie sollen sie da ohne ihre Hilfe klarkommen? Also zapft sie ihre Quellen an und ermittelt auch selbst. Das bleibt nicht lange unbemerkt. Eine gefährliche Begegnung mit einem Speedboot tut die Professorin noch als dummen Zufall ab. Ein weiterer Unfall, der nicht so glimpflich abgeht, lässt keinen Zweifel mehr: Jemand trachtet Victoria und ihrem Mann nach dem Leben. Doch das schreckt sie nicht ab. Jetzt ist sie erst recht darauf erpicht, dem oder den Tätern persönlich das Handwerk zu legen.

Eine Spur führt weit weg von gekränkten Weggefährten und kleinkarierten Erbhändeln. Doch von einem Fall dieser Größenordnung sollte eine Musikprofessorin besser die Finger lassen. Das Problem ist nur, dass Amateurdetektiv*innen keine Krimis lesen, sonst wüssten sie, dass sie professionellen Gegnern nicht gewachsen sind. Schon gar nicht im Alleingang! 

Doch da können der Ehemann und der Kommissar reden, was sie wollen – Victoria zieht trotzdem los. Das Gute ist, dass sie vor sich selbst und den Leser*innen nichts beschönigt. Wenn eine Aktion voll daneben geht, erzählt sie das auch. Für uns ist es spannend. Und ein bisschen muss man auch schmunzeln, wenn sie sich in Lebensgefahr begibt, um die Familie des Mordopfers zu belauschen, nur um festzustellen, was sie von vornherein hätte wissen müssen: „Mist! Die sprechen ja italienisch – aber ich nicht!“

Wird irgendjemand den oder die Täter dingfest machen, bevor sich die neugierige Ex-Journalistin noch um Kopf und Kragen ermittelt?

Drama und Gemeinheiten

Was auf der Bühne abgeht ist harmlos im Vergleich zu dem, was sich hinter den Kulissen tut! Das ist dort der reinste Intrigantenstadl. Und fürsMundwerk bräuchte das gesamte Ensemble einen Waffenschein: „Bei ihm kann man inzwischen wirklich sagen: Wenn er das in der Höhe hätte, was ihm in der Tiefe fehlt, wär’s eine gute Mittellage. Und wenn ihm dann mal einer gesagt hätte, dass es nicht genügt, die Töne ungefähr zu treffen …“ (Seite 70) Und in dieser Preisklasse teilt hier fast jede*r aus!

Es ist kein Fehler, wenn man sich als Leser*in ein bisschen mit Musik/Gesang auskennt, aber ein ausgewiesener Opernexperte muss man nicht sein, um der Handlung folgen zu können. Insider-Gags und –Formulierungen erklärt die Autorin kurz und knapp in den Fußnoten.

Ich musste nachsehen, ob das privat ermittelnde Paar dasselbe ist wie in Sibylle Luise Binders Krimi TODESARIE. Ist es nicht, auch wenn die Konstellation „umschwärmter Musik-Star und deutlich jüngere (Ex-)Journalistin“ ähnlich ist.

Eine kleine Verwirrung gibt’s rund um Victorias Kleinwagen, der in der Geschichte eine Rolle spielt: Entweder hat sie ihn zum ersten Hochzeitstag bekommen, dann fährt sie ihn schon seit vier Jahren. Oder ihr Mann hat ihn ihr zum Geburtstag geschenkt, dann passt die Aussage, dass sie ihn erst seit ein paar Monaten hat. Ich sag’s nur, damit andere Erbsenzähler*innen unter den Leser*innen nicht nervös blättern müssen. 😉

Ob nun die Bennings hinter den Kulissen der Oper ermitteln oder ein anders Paar – ich lese diese Krimis gern und genieße die exquisiten Gemeinheiten aus sicherer Distanz.

Die Autorin

Sibylle Luise Binder, 1960 in Stuttgart geboren, hat schon mit 14 den ersten Roman geschrieben. Nach Lehr- und Wanderjahren, in denen sie mit (klassischer) Musik, Buchherstellung und Werbung befasst war, landete sie im Journalismus und bei ihrer großen Leidenschaft, den Pferden. Die Autorin lässt sich ungern festlegen. Neben Sach- und Jugendbüchern veröffentlicht sie auch Krimis und historische Romane. Mit »Mord bei den Festspielen« ist sie zu einer alten Liebe zurückgekehrt: Der Oper.

Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
www.boxmail.de

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