Sybille Baecker: Körschtalrache. Schwaben-Krimi, Köln 2023, Emons-Verlag, ISBN 978-3-7408-1660-5, Softcover, 331 Seiten, Format: 13,2 x 2,6 x 20,1 cm, Buch: EUR 14,00 (D), EUR 14,40 (A), Kindle: EUR 10,99.
„Manch einer gibt vor, nach der Lösung eines Problems zu suchen, möchte aber eigentlich gar nicht, dass sich etwas ändert.“
(Seite 270)
Band 11 einer Reihe – aus Gründen
Das ist Band 11 (!) einer mir bis dato unbekannten Krimireihe. Normalerweise steige ich nicht so spät ein, weil mir dann die Vorgeschichte der Figuren und das Verständnis für deren Beziehungen untereinander fehlt. Hier habe ich eine Ausnahme gemacht, nachdem ich gelesen hatte, dass der Krimi zu einem großen Teil in meinem Heimatort spielt. Also da, wo ich aufgewachsen bin und seit ein paar Jahren wieder lebe. Ich wollte mal wissen, wie das ist.
Gleich vorneweg: Der Krimi funktioniert auch, wenn man noch nie was vom Körschtal, von Esslingen oder gar von Denkendorf gehört hat. Schwäbisch muss man auch nicht verstehen. Es gibt nur einen einzigen Zeugen, der hier dialektmäßig die Sau rauslässt, und da hat der Kommissar einen Kollegen als Dolmetscher dabei. Er ist nämlich auch nicht von hier.
Mord mit der Armbrust
So, und darum geht’s: Für Friedhofsmitarbeiter:innen ist der Tod Tagesgeschäft. So auch für Frau Ludwig vom Esslinger Ebershaldenfriedhof. Trotzdem ist es für sie ein Schock, als sie dort eines Morgens mitten auf dem Weg die Leiche eines jungen Mannes findet, aus dessen Brust der Bolzen einer Jagd-Armbrust ragt. Ruckzuck wimmelt es vor Polizeibeamten. Kriminalhauptkommissar Andreas Brander (49), seine Kollegin, Kriminalhauptkommissarin Persephone „Peppi“ Pachatourides (51) und ihre Leute drehen alles auf links.
Raubmord war’s keiner. Der Tote hat noch Handy, Geldbeutel und Papiere. Die Friedhofsmitarbeiterin kennt ihn: Moritz Rösch, 19. Er ging regelmäßig, wenn er von der Nachtschicht kam, ans Grab seiner Mutter und stellte einen Tankstellen-Blumenstrauß hin. Auch wenn der Friedhof um diese Uhrzeit noch geschlossen war, hat man ihn gewähren lassen. Er hat ja nichts angestellt.
Zufallsopfer oder Rache?
Wer, zum Kuckuck, rennt in der Morgendämmerung mit einer Jagd-Armbrust durch die Gegend und erschießt einen harmlosen Friedhofsbesucher? – Obwohl: Ganz so harmlos war der Bursche nicht: Vor drei Jahren musste er sechzig Sozialstunden ableisten, weil er am Stuttgarter Hauptbahnhof eine junge Frau so heftig angerempelt hatte, dass sie die Treppe hinunterfiel und sich derart schwer verletzte, dass sie nun ihren Beruf nicht mehr ausüben kann. Vorsatz konnte man ihm nicht nachweisen. Sein Fehler war, in die Bahn zu springen ohne sich um die Verletzte zu kümmern.
Wenn Rösch so eigenbrötlerisch und menschenscheu war, wie alle sagen, hat er nicht allzu viele Gelegenheiten gehabt, sich Todfeinde zu machen. Entweder ist er das Zufallsopfer eines Verrückten, oder sein Tod hat mit diesem Vorfall von vor drei Jahren zu tun.
Vielleicht waren dem damaligen Opfer seine 60 Sozialstunden nicht Strafe genug. Immerhin musste die junge Frau nach dem Sturz ihren Lebenstraum begraben: Apollonia „Loni“ Heppler, Mitte 20, ist eine vielversprechende Pianistin gewesen, doch seit dem Unfall kann sie nicht mehr spielen. Sie kann Musik nicht mehr ertragen und ihre Wohnung in Esslingen nicht mehr verlassen. Wenn sie etwas braucht oder etwas erledigen muss, kümmert sich ihre Familie aus Denkendorf darum. Halbherzig absolviert sie ein Fernstudium, das sie im Grunde nicht interessiert und tut nichts, um ihr Trauma aufzuarbeiten und ihrem Leben eine positive Wendung zu geben. Therapieangebote lehnt sie rigoros ab. Alles soll so werden, wie es vor dem Sturz war, nur tun will sie dafür nichts.
Die Spur führt nach Denkendorf
Als die Telefonnummer ihrer jüngsten Schwester in der Kontaktliste von Moritz Röschs Handy auftaucht, ist klar, wo die Ermittler ansetzen müssen. Und sie finden eine schicksalshaft miteinander verstrickte, erschreckend unsympathische Familie vor. (Alles Fiktion, natürlich! So grässliche Leute gibt’s bei uns nicht! Ehrlich! 😉 )
Apollonia Heppler, das Unfallopfer, sitzt nur im abgedunkelten Zimmer und leidet. Die Fragen der Polizei empfindet sie als Zumutung. Ja, sie ist froh, dass Rösch tot ist. Schließlich hat er ihr Leben ruiniert und sie gestalkt, indem er ihr heimlich kleine Geschenke vor die Tür gelegt hat. Gedichte und Notenblätter und so. – Ernsthaft? Gedichte und Noten? Der Kellner aus dem Fast-Food-Restaurant? Das ist doch gar nicht sein Stil!
Eine furchtbar toxische Familie
Gibt’s den Stalker überhaupt, oder denkt Loni sich das nur aus, um sich weiterhin die Aufmerksamkeit und Fürsorge ihrer Familie zu sichern? Von klein auf hat sich alles um sie gedreht. Zeit, Geld und Energie hat man nur in sie und ihr musikalisches Ausnahmetalent investiert, ihre Schwestern waren lediglich Randerscheinungen. Offenbar ist die Familie Heppler nicht erst seit Lonis Unfall zu einer toxischen Höllensippe geworden. Sie war es schon vorher.
Mutter Doris ist eine hysterisch kreischende Helikoptermutter, die in jedem zweiten Satz mit ihrem Anwalt droht. Vater Lutz mäandert auf irritierende Weise zwischen Patriarch und Pantoffelheld, Tochter Cordelia, die zusammen mit ihrem Lebensgefährten Paul Kübler einen Blumenladen in Denkendorf betreibt, ist eine keifende Furie, die ihre leidende Schwester verteidigt wie eine Löwin ihr Junges. Am zugänglichsten ist noch Florentine, die jüngste der Schwestern. Aber die lügt, sobald sie den Mund aufmacht. „Körschtal-Drachen“ hätte als Titel auch gepasst. Der einzig Normale in dem Haufen scheint Cordelias Partner Paul zu sein.
Befreiende Komik in den Nebenhandlungen
Erschwert werden die polizeilichen Ermittlungen dadurch, dass KHK Brander derzeit die verhaltensoriginelle Kriminalkommissar-Anwärterin Jeannette Gugel an der Backe hat. Die sagt stets, was ihr gerade in den Sinn kommt und versaut dadurch so manche Befragung. An Branders Nerven zerrt auch sein bevorstehender 50. Geburtstag, den er nicht feiern will, seine Familie aber schon.
Diese Themen sorgen für die befreiende Komik in diesem deprimierenden Fall. Auch die exaltierte Psychotherapeutin Katharina Preuss, eine Kollegin von Branders Frau, bringt uns zum Schmunzeln. Sie fühlt eine diffuse Bedrohung und verlangt von Brander privat professionelle Hilfe, beruft sich aber selbst auf ihre Schweigepflicht, wenn er sie etwas fragt. Überkandidelte Wachtel, denkt Brander, und nimmt sie nicht ernst. Dabei hätte es sich für beide Seiten gelohnt, miteinander Klartext zu reden …!
Die verantwortliche Tatperson hatte ich nicht auf dem Schirm. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, mich über die schrecklichen Heppler-Weiber aufzuregen. Ich nehme mal an, genau das war der Plan der Autorin.
Spannend, plausibel, unterhaltsam
Auch wenn mir außer Andreas Brander und der exzentrischen Neuen die Polizisten fremd geblieben sind: Den Krimi fand ich spannend, plausibel und unterhaltsam. Die Passagen, in denen der Kommissar und sein Kumpel über Whisky fachsimpeln, habe ich aber nur überflogen. Davon verstehe ich wirklich nichts. Aber über meinen Heimatort habe ich was gelernt: He, der Weg zwischen dem Friedhof und der Körsch hat einen Namen! Da muss ich direkt mal drauf achten, wenn ich dort bin. Dorfkinder haben es nicht so mit Straßennamen. Die orientieren sich an Landmarken.
Die Autorin
Sybille Baecker ist gebürtige Niedersächsin und Wahlschwäbin. Sie liebt das Ländle, ihr Herz schlägt aber auch für die Highlands und die rauen Küsten Schottlands, die sie immer wieder gern und ausgiebig bereist. Ebenso hegt sie ein Faible für den Scotch Whisky. Die Fachfrau für »Whisky & Crime« ist Autorin der erfolgreichen Krimiserie um den Kommissar und Whiskyfreund Andreas Brander. 2020 wurde sie mit dem Arbeitsstipendium des Autorinnennetzwerkes Mörderische Schwestern ausgezeichnet. www.sybille-baecker.de
Rezensentin: Edith Nebel
E-Mail: EdithNebel@aol.com
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