Adrian Leemann, Stephan Elspaß und andere: Grüezi, Moin, Servus! Wie wir wo sprechen

Adrian Leemann, Stephan Elspaß, Robert Möller, Timo Grossenbacher: Grüezi, Moin, Servus! Wie wir wo sprechen, Reinbek bei Hamburg 2022, Rowohlt Verlag GmbH, ISBN 978-3-499-63330-0, Softcover, 175 Seiten mit zahlreichen s/w-Fotos und Karten, Format: 12,5 x 1 x 19 cm, Buch: EUR 12,00.

Abb.: (c) Rowohlt Verlag

 [Wir hoffen], dass deutlich geworden ist, dass es nicht das eine „richtige“ Deutsch gibt […]. Wer aus einer anderen Region kommt und/oder nicht zur Mehrheit gehört, spricht deswegen […] noch lange nicht „falsch“. 

(Seite 171)

Dieses Büchlein wurde jüngst in einem Zeitungsartikel erwähnt, und weil ich „mehrfach dialektbetroffen“ bin und mich generell für Sprache interessiere, habe ich es gelesen. 

Offenbar ist der vorliegende Band die BoD-Fassung eines bereits 2017 bei rororo erschienenen Buchs. Die Abbildungen sind hier in Schwarzweiß, während sie in der Originalausgabe farbig gewesen sein müssen. Deshalb ist es ein wenig irritierend, wenn die Autoren im Text ständig auf feine Farbabstufungen in ihren Karten hinweisen, und der Leser das gar nicht sehen kann. Aber gut … für Leser:innen, die sich hobbymäßig und nicht wissenschaftlich mit Sprache und Dialekten befassen, reicht diese vereinfachte Darstellung in Grauwerten aus.

Auf unterhaltsame Weise erläutern uns die Autoren in Wort, Bild und Karten, wie man in verschiedenen Regionen Deutschlands, Österreichs und der deutschsprachigen Schweiz zu ausgewählten Gegenständen, Zuständen und Tätigkeiten sagt – und warum das so ist. 

Dass es zum Beispiel für einen „gebratenen flachen Kloß aus zerkleinertem Fleisch“ verschiedene Ausdrücke gibt, wissen wir alle: Es gibt Frikadelle und Bulette – beides Lehnwörter – sowie diverse zusammengesetzte Beschreibungen wie Fleischküchle, -laiberl oder -klops. Wobei der Klops auch ein Zuwanderer aus dem Ausland ist. Doch wie kommen die Bayern auf Fleischpflanzerl? Mit Pflanzen hat das doch nichts zu tun! – Wir erfahren es hier. Das Fleischpflanz(er)l hat eine etwas unappetitliche Verwandtschaft.

So geht’s interessant und amüsant zunächst mal quer durch die Küche. Das Kapitel über die Pfannkuchen, Eierkuchen und Palatschinken hat mich allerdings verwirrt. Dieses Gericht würde ich außerhalb meiner angestammten Dialektbereiche nirgendwo zu bestellen wagen. Da kann man sich ja auf gar keinen Standardbegriff einigen und kriegt überall was anderes! 😊

Wir lernen verschiedene Regionalbezeichnungen von Alltagsgegenständen kennen. Wie sagt man wo zur Geldbörse oder dem Etui, in dem Schüler:innen ihre Schreibutensilien aufbewahren? Oder zur Steinschleuder? Auch Hausschuhe haben höchst unterschiedliche Namen und jeder hat seine Geschichte. Manche Bezeichnung, der man das heute gar nicht mehr anmerkt, hat einen Migrationshintergrund. 

Leicht verrückt wird’s im Kapitel über die Sitzgelegenheiten. Was in einzelnen Gegenden ein „Sessel“ ein „Stuhl“ oder ein Fauteuil ist, ist nicht leicht nachzuvollziehen. 

Und warum heißt der Reißnagel überhaupt Reißnagel? Man reißt doch gar nichts damit! In manchen Gegenden sagt man auch „Reißzwecke“ oder „Heftzwecke“ zu dem Ding. Ist „die Zwecke“ eigentlich die Frau von „der Zweck“? 😉 Man kommt auf dieser sprachlichen Exkursion schon auf ein paar abseitige Gedanken.

In einem der Kapitel geht es natürlich auch um Zeitangaben. Um dieses Thema kommt man nicht herum, wenn man über regionale sprachliche Besonderheiten schreibt. Sicher: Es kann zu Missverständnissen führen, wenn man mit Angaben wie „Viertel nach zehn“ aufgewachsen ist und Menschen aus anderen Regionen auf einmal „Viertel elf“ oder „Viertel über/ab zehn“ sagen. Woanders ist es eben anders. Das braucht man nicht zu werten. Ich habe noch nie verstanden, wieso man sich über diese regionalen Unterschiede in den sozialen Medien immer so furchtbar aufregen muss.

Dass man nicht nur bei uns im Schwäbischen „Viertel elf“ sagt, wenn man 10:15 Uhr meint, sondern dass sich diese Präferenz in einem breiten Streifen diagonal über die Deutschlandkarte zieht, ist mir übrigens erst im Erwachsenenalter bewusst geworden – als eine Freundin aus Frankfurt an der Oder die gleichen Zeitangaben benutzte wie wir in Württemberg.

Abb.: (c) Rowohlt Verlag, Foto: E. Nebel

Das Buch bietet einen informativen und vergnüglichen Streifzug durch die deutschen Dialekte. Hochwissenschaftlich ist es nicht gemeint, es ist für interessierte Laien geschrieben, die Spaß an der sprachlichen Vielfalt haben. Das sind sicher nicht diese kleinkarierten Leute, die durchdrehen, wenn jemand „von außerhalb“ andere Begriffe und Formulierungen verwendet als die, die sie von zuhause kennen. Wie man in anderen Gegenden spricht, mag ungewohnt sein, aber es ist kein Grund, die Nase zu rümpfen, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen oder gar ausfallend zu werden. Das sehen die Autoren dieses Buchs ebenso:

„Jede Region im deutschsprachigen Raum hat halt bzw. eben ihre eigene Art, den Dingen einen Namen zu geben. Nicht jeder babbelt so, wie der andere schwätzt.“ 

(Seite 8)

Adrian Leemann, Stephan Elspaß, Robert Möller und Timo Grossenbacher beschäftigen sich als Wissenschaftler mit Sprache. 

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Rezensentin: Edith Nebel 
E-Mail: EdithNebel@aol.com 
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